Herne/Gelsenkirchen. Was für eine Kombination: Das neue Stück vom Herner Theater Kohlenpott vereint Pinocchio und Western. So lief die Premiere, weitere Termine.

Carlo Collodis 1881 entstandene Geschichte über die Holzpuppe Pinocchio ist ein Klassiker. Kann man dieser inzwischen millionenfach für Theater, Film, Literatur, Comic und Eiscafé adaptierten Figur überhaupt noch irgendetwas Neues abgewinnen? Das Herner Theater Kohlenpott hat bei der Premiere von „Pinocchio - ein Road-Trip“ in den Flottmann-Hallen eine eindeutige Antwort gegeben: jaaaa!

Der von den Autoren Henner Kallmeyer und Frank Hörner (auch Regie) gewählte Dreh bei dieser Co-Produktion mit dem Gelsenkirchener Consol Theater ist auf den ersten Blick irritierend: Sie haben den Stoff in eine im Wilden Westen spielende Rahmenhandlung integriert. Wenn sich der imaginäre Vorhang öffnet, sind Zweifel schnell verflogen. Der rasante Roadtrip für Kinder ab sechs Jahren fasziniert (auch Erwachsene) von der ersten Sekunde an.

Regisseur Frank Hörner schrieb mit Henner Kallmeyer den Text für die Herner „Pinocchio“-Inszenierung.
Regisseur Frank Hörner schrieb mit Henner Kallmeyer den Text für die Herner „Pinocchio“-Inszenierung. © FUNKE Foto Services | Christof Koepsel

Am Anfang ist das Lagerfeuer und ein „Howdy“: Zwei Cowgirls (Svea Kirschmeier und Zeynep Topal) begrüßen zwei Fremde (Sefa Küskü und Gareth Charles), die zu ihnen stoßen und sich als ehrliche Holzfäller ausgeben. Mit der Frage „Kennt ihr eigentlich die Geschichte von Gepetto?“ und der Einleitung „Es war einmal ein Stück Holz ...“ nimmt das Bühnengeschehen an Fahrt auf. Ohne Brüche lassen Hörner und Kallmeyer die durch die Bank spielfreudigen Darstellerinnen und Darsteller zwischen dem Western-Thema und dem Abenteuer von Holzpuppe (Küskü) & Holzschnitzer (Charles) hin und her springen.

Mit humoristischen Einschüben und diversen Gegenwartsbezügen veredelt das Team um Hörner die allzu bekannte Geschichte. Eine wichtige Rolle spielen die auf eine Kaktee (oder ist es ein Micky-Maus-Kopf?) projizierten Videos (Patrick Praschma) und diverse musikalisch-tänzerische Ausflüge ins Country-Genre inklusive musizierender Texas Longhorns. Vor allem Svea Kirschmeier setzt hier Akzente, die mit Sebastian Maier auch für die musikalische Leitung verantwortlich zeichnet. Wie sie, auf einer XXXL-Baked-Beans-Dose thronend, zur Banjobegleitung eine Ballade intoniert, das lässt nur Menschen mit einem Herz aus Holz kalt. Doch auch die Ausstattung - Franziska Gebhardt und Natalia Nordheimer (Bühne) sowie Jana Januschewski-Moze (Kostüm) - und die technische Leitung (Philipp Wistinghausen) tragen dazu bei, dass der Applaus nach der rund einstündigen Premiere kaum enden will.


Auch getanzt und gesungen wird in der „Pinocchio“-Adaption von Frank Hörner und Henner Kallmeyer.
Auch getanzt und gesungen wird in der „Pinocchio“-Adaption von Frank Hörner und Henner Kallmeyer. © Young-Soo Chang

Warum der Western-Bezug? „Das wollte ich schon immer mal machen“, plauderte Regisseur Frank Hörner nach der Aufführung aus dem Nähkästchen. Er möge die Western-Ästhetik mit den wortkargen und sich taxierenden Figuren, die aber stets gefährliche Situationen heraufbeschwören könnten. Und er wähle für seine Aufführungen gerne Rahmenhandlungen aus, die sich an der Ursprungsstory rieben.

Auch wenn Hörner und Kallmeyer den Holzhammer im Werkzeugkasten lassen, so vermitteln sie mit „ihrem“ Pinocchio dennoch Denkanstöße. Diese kreisen vor allem um die Fragen „Was ist Wahrheit?“ und „Was ist echt?“, legen aber auch nahe: Das Gefühl, wichtig zu sein, kann vor allem im Miteinander gespiegelt werden. Mit der Botschaft von Collodis Vorlage hat das nur bedingt zu tun. Und so ist es auch kein Zufall, dass Cowboy/Pinocchio Küskü am Ende ausruft: „Oh Gott, wir haben den ganzen Teil mit der Nase vergessen!“

Weitere Termine von „Pinocchio - ein Road-Trip“: in den Herner Flottmann-Hallen vom 8. bis 11. Dezember sowie im Gelsenkirchener Consol Theater vom 1. bis 6. Dezember sowie vom 16. bis 18. Dezember. Weitere Informationen: theater-kohlenpott.de und consoltheater.de.

Henner Kallmeyer hat fürs Theater Kohlenpott bereits den Text für das Stück „Troja“ geschrieben.
Henner Kallmeyer hat fürs Theater Kohlenpott bereits den Text für das Stück „Troja“ geschrieben. © FUNKE Foto Services | Ulrich von Born

>>> Svea Kirschmeier erneut für den „Faust“ nominiert

Svea Kirschmeier ist in diesen Tagen eine außergewöhnliche Ehre zuteilgeworden. Die 24-Jährige, die ihre Bühnenkarriere am Herner Theater Kohlenpott gestartet hat, ist wie schon 2024 erneut für den renommierten deutschen Theaterpreis „Der Faust“ in der Rubrik „Darsteller:in Theater für junges Publikum“ nominiert worden. Die Preisverleihung findet am 16. November statt. Die Jury zeigte sich beeindruckt von ihrer Leistung in „Shame - The Musical“ am Jungen Ensemble Stuttgart. Kirschmeier spielt darin nicht nur eine Hauptrolle, sondern hat auch - wie bei „Pinocchio“ - die musikalische Leitung.

Erneut beim „Faust“ dabei: Svea Kirschmeier. Im vergangenen Jahr war sie für ihre Rolle in der Produktion „Petra Pan“ (Kinder- und Jugendtheater Comedia, Köln) nominiert worden.
Erneut beim „Faust“ dabei: Svea Kirschmeier. Im vergangenen Jahr war sie für ihre Rolle in der Produktion „Petra Pan“ (Kinder- und Jugendtheater Comedia, Köln) nominiert worden. © Christopher Horne

Auch das Theater Kohlenpott ist (mal wieder) nominiert worden. Mit dem ebenfalls von Henner Kallmeyer geschriebenen Stück „Troja“ nimmt das Herner Ensemble im Mai 2025 in Berlin an „Augenblick mal!“ teil, dem alle zwei Jahre stattfindenden Treffen für junges Theater. Nicht die erste Auszeichnung: Für „Troja“ gewann Kallmeyer im Juni beim „Stücke“-Wettbewerb in Mülheim den Preis der Jugendjury und scheiterte im Rennen um den Hauptpreis nur knapp.