Herne. Herne hat sich an vielen Stellen völlig verändert - das zeigen alte Luftbilder. Was die Stadt früher geprägt hat - und was heute an diesen Stellen steht.
Deutsche Fachleute haben mit englischen Luftbildkameras in den 1950er und 1960er Jahren Herne von oben fotografiert. Dazu flog ein US-Flugzeug kreuz und quer über die beiden damals noch eigenständigen Städte und fotografierte die Landschaft mit ihren Häusern, Straßen, Zechen, Bäumen, den Kanal oder die Freiflächen. Die Aufnahmen landeten später im Herner Stadtarchiv – ein Schatz für die nachfolgenden Generationen. Das Team des Stadtarchivs hat die Aufnahmen ausgewertet und digitalisiert. Gerd Körner von der Geschichtsgruppe „Die Vier!“ hat für die WAZ weitere spannende Bilder herausgesucht und beschrieben.
1 und 4: Schraubenwerk Dorn
Übernommen wurde die Schraubenfabrik Dorn 1900 von der Herner Muttern- und Schraubenfabrik, sagt Gerd Körner von der Geschichtsgruppe „Die Vier!“. Produziert worden seien dort, an der heutigen Bahnhofstraße, hauptsächlich Schrauben, Muttern und Nieten für den Bergbau, den Eisenbahnbau sowie für den Brücken- und Schiffsbau. Ende 1993 schloss der einst bedeutende eisenverarbeitende Bergbau-Zulieferer für immer seine Werkstore. Seither standen die Hallen leer und verfielen. Nun soll auf der Brache nördlich des Herner Bahnhofs eine Wohnsiedlung entstehen, auch ein Quartierspark ist geplant. Auf dem Foto ist das werkseigene Schwimmbad gut zu erkennen
2: Bahnanschluss für die Industriebetriebe und Bahnhof für den „Piepenfritz-Express“
Dreimal täglich, sagt Körner, sei eine Werkseisenbahn von der Haltestelle Halstrick zu den Zechen Friedrich der Große 1/2 und 3/4 und zurückgefahren. Der Herner Stadtanzeiger schrieb am 20. Februar 1952: „Diese Bahnverbindung verdankt ihre Existenz einer Notlösung, als es im und nach dem Krieg für die Bergleute immer schwieriger wurde, Bereifungen für ihre Fahrräder zu bekommen.“
3: Victor Halstrick KG
Das Unternehmen Victor Halstrick sei 1869 gegründet worden, so Körner. Schwerpunkt sei die Fabrikation von Grubenwagen für den Kohlen-, Erz- und Kalibergbau gewesen. 1973 sei Schicht im Schacht gewesen: „Einstellung der Produktion“. Auf dem ehemaligen Gelände an der Roonstraße befindet sich heute ein Lidl-Markt, gut erkennbar durch den weithin sichtbaren Spitzbunker mit dem Lidl-Schild.
5 und 6: Ölmühle Funkenberg und Herner Dampf-Waschanstalt
Die Ölmühle, so das Mitglied der Geschichtsgruppe, sei um 1539 von der Witwe des „tollen“ Jobst von Strünkede, Margarete von Asbeck, gebaut worden. 1789 habe der Ölmüller Johann Wilhelm Funkenberg die Mühle in Erbpacht erhalten, 1811 sei sie in den Besitz der Familie Funkenberg übergegangen. Die Mühle habe dazu gedient, aus dem Leinsamen oder dem Raps der örtlichen Bauern Öl zu schlagen. 1841 sei die Mühle an Georg Weusthoff verkauft worden, der sie zu einer Korn- und Ölmühle ausgebaut habe: „Hierzu wurde eine Dampfmaschine angeschafft, wahrscheinlich die erste Dampfmaschine, die in Herne lief“, so Körner. 1857 habe die „Herner Dampfmühlen-Handlungs-Kommandit-Gesellschaft“ die Mühle gekauft und zu einem industriellen Großbetrieb ausgebaut. Später sei die Firma in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, und 1888 sei der Mühlenbetrieb schließlich eingestellt worden.
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Das Gelände sei dann in den Grundbesitz der bekannten Herner Familie Schlenkhoff übergegangen. Sie habe dort zunächst eine Dampf-Wäscherei betrieben: „Dort wurde Weißwäsche für Hotels und wichtige Persönlichkeiten der Herner Gesellschaft gebügelt.“ Längst vorbei: Heute befindet sich dort das Verlagshaus der Neuen Wirtschafts-Briefe (NWB), die die Zeitschrift für Steuer- und Wirtschaftsrecht herausbringen.
7: Schüchtermann & Kremer-Baum
Die Gesellschaft Schüchtermann & Kremer-Baum habe sich zu einem bedeutenden Unternehmen entwickelt, das sich hauptsächlich mit der Kohleaufbereitung befasst habe: „Dazu gehörten Kokereimaschinen, Filter- und Transportanlagen“, so Körner. Anfang der 1930er Jahre sei ein großer Teil der Firma stillgelegt und die Produktion in Dortmund konzentriert worden. 1963 schließlich sei das Herner Werk endgültig stillgelegt worden. Ein Teil der Maschinen sei an die benachbarte Gewerkschaft Dorn verkauft worden. Auch dieser Bereich gehört zum neuen Quartier, das rund um das ehemalige Unternehmen Dorn entsteht.
8: Trasse der künftigen A42
Die A42 trennte den nördlichen Teil von der restlichen Stadt. Der Bau der Autobahn begann 1965 im Bereich Herne, drei Jahre später wurde die Strecke als Landesstraße freigegeben und dann 1969 zur Autobahn hochgestuft. 1971 wurde dann die erste Teilstrecke zwischen dem Kreuz Essen-Nord und dem Kreuz Herne vollständig freigegeben. 1975 folgte die Teilstrecke vom Kreuz Herne bis zum Autobahnkreuz Castrop-Rauxel-Ost.
9: Holzhandlung Schlenkhoff (ehemals Lansing)
Die Halle befand sich an der Ronnstraße - dort, wo früher der sogenannte Stichkanal endete. Zum Stichkanal: Der Stichkanal oder Zweigkanal war das Endstück des Dortmund-Ems-Kanals. Er endete an der heutigen Brücke A42/Bahnhofstraße und war eine rund sieben Kilometer lange Wasserstraße zwischen Baukau und dem alten Schiffshebewerk Henrichenburg. Gebaut wurde der Kanal von 1893 bis 1896. Die Holzhandlung sei eine beliebte Anlaufstelle gewesen: „Baumärkte gab es zu der Zeit noch nicht“, sagt Gerd Körner.
10: Beien
Die Eisengießerei und Maschinenfabrik Beien wurde 1885 gegründet. Bis 1951, so Körner, sei die Belegschaft auf 400 Beschäftigte angewachsen. Produziert worden seien dort unter anderem Maschinen für die Kohlengewinnung und Druckluftmotoren. 1976/77 dann das Aus: Die Produktion sei eingestellt und nach Castrop Rauxel verlagert worden. Nach dem Abbruch der 14 Hallen entstand an der Bahnlinie der Wohnpark „Altes Beien-Gelände“ mit 65 Einfamilienhäusern.
11: Milchverwertung Herne
Die Herner Milchverwertung/Molkerei an der Ecke Vinckestraße/Ecke Horsthauser Straße habe in Spitzenzeiten täglich 40.000 Liter Milch produziert. „Die Rohmilch wurde aus dem Münsterland angeliefert“, sagt Körner. Bis zur Einführung von Flaschenmilch oder verpackter Milch seien die Herner Bürgerinnen und Bürger von 62 Milchhändlerinnen und -händlern, auch Milchbauern genannt, versorgt worden. „Insgesamt gab es 48 Läden im Stadtgebiet“. Hinzu gekommen seien 14 Verkaufsstellen auf der Straße. Überall hätten die Menschen die Milch lose in Milchkännchen abholen können. „Ein großer Abnehmer“, so Körner, „waren die Herner und Wanner Schulen.“ 62 Prozent aller Kinder bekamen so ein Milchfrühstück. Zuletzt sei das Unternehmen von der Firma Westmilch betrieben worden. Nach dem Aus für die Milchverwertung seien die Gebäude 1982 abgerissen worden.