Herne. Aus US-Flugzeugen wurden in der 1950er und 1960er Jahren Luftbilder von Herne gemacht. 500 landeten im Stadtarchiv. Die WAZ zeigt eine Auswahl.
Im Herner Stadtarchiv schlummern alte Luftbildaufnahmen. In den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts planten der damalige Ruhrsiedlungsverband und die Landesvermessungsämter ein neues, präzises Kartenwerk – auch von Herne und Wanne-Eickel. Die Besonderheit: Möglich machte das ein „internationales Arrangement“, wie sowohl die Herner als auch die Wanne-Eickeler Zeitung vor 70 Jahren schrieben. Dazu flog ein amerikanisches Flugzeug kreuz und quer über die damals noch eigenständigen Städte und fotografierte Zechen, Häuser, Straßen, Bäume, Kanal oder Freiflächen. Nebeneffekt: Es entstanden rund 500 Luftbilder allein von Herne. Das Team des Stadtarchivs hat diese Aufnahmen ausgewertet und digitalisiert. Gerd Körner von der Geschichtsgruppe „Die Vier!“ hat die schönsten für die WAZ herausgesucht und beschrieben.
Rund um Schloß Strünkede
Im Mittelpunkt dieser Aufnahme von 1955 steht das Schloß Strünkede. Es wird eingerahmt von der Villa Hilgenstock (Villa Forell, 1) mit „Kutscherhaus“ (2), Schollbrockhaus (3) und dem Stadion von Westfalia Herne (4). Zu sehen sind auch die Bahnhofstraße (5) und die Forellstraße (6). Das Gelände gehört der Märkischen Steinkohlengewerkschaft. In der ehemaligen Villa Forell wohnt, standesgemäß, der Bergassessor Hilgenstock. Die Stadtverwaltung Herne plante bereits 1952, das Gelände in einen Grüngürtel umzuwandeln. Die „Märkische“ lehnt Verhandlungen darüber seinerzeit aber ab: Es wird vermutet, dass der „Zechenfürst“ in seiner Residenz ungestört bleiben wollte.
Neue Schulgebäude am Bahnhof
In den 1950er Jahren herrscht in Herne ein regelrechter Bauboom. Die Stadtverwaltung konzentriert sich besonders auf Schulneubauten. Dieses Foto von 1955 zeigt den fortgeschrittenen Neubau der kaufmännischen und der gewerblichen Berufsschule sowie der Realschule an der Moltkestraße (heute Westring). Die Straße endet damals – von Norden kommend – an dem Bahndamm am Herner Bahnhof. Links im Bild: drei so genannte Steigerhäuser für leitende Bedienstete der Märkischen Steinkohlengewerkschaft. Wo das rechte Steigerhaus stand, wurde 2022 die Herner Polizeiwache eröffnet.
Großmarkt am Rathaus
Es gab einmal einen Großmarkt mitten in Herne – am Rathaus an der Freiligrathstraße. Das Hauptgeschäft läuft in den frühen Morgenstunden, am Nachmittag – die Turmuhr auf diesem Bild von 1961 zeigt 12.50 Uhr – wird nur noch aufgeräumt. 1964 wird der Markt mit zwei Hallen und Bahnanschluss zum Gewerbegebiet auf das Gelände der ehemaligen Zeche Julia verlegt. Eröffnung dort: 15. April 1964.
Das alte Marienhospital
Im Jahre 1961 befindet sich des Marienhospital, ein großer Klinkerbau, noch mitten in Herne an der Schulstraße/Marienstraße (heute Glockenstraße). Ein Umzug ist aber längst geplant: Am Hölkeskampring, nicht weit entfernt, ist der Neubau zu diesem Zeitpunkt bereits weit fortgeschritten.
Weltkriegsbunker an der Freiligrathstraße
Die Bauprojekte in Herne waren nur mit neuen Büros für die Stadt zu stemmen: Ein Verwaltungsgebäude musste her, hier ein Bild von 1955. Der Weltkriegsbunker an der Freiligrathstraße, in unmittelbarer Nähe zum Rathaus (unten), sollte mit einer Aufstockung von drei Etagen die Lösung sein. Aus dem Bunker wurden Fenster herausgebrochen, eine Baulücke zwischen dem Bunker und der Sparkasse wurde für ein gemeinsames Treppenhaus genutzt, und aufs Dach des Bunkers wurden drei neue Büroetagen gesetzt.
Heutiges Funkenberg-Quartier
Die Köln-Mindener-Eisenbahn und der Rangierbahnhof trennen die Stadt 1961 in Nord und Süd. Nördlich der Bahngleise: die verlassenen Fabrikhallen der Firma Schüchtermann&Cremer-Baum. Heute entsteht dort das Funkenberg-Quartier. Südlich der Bahnanlagen in der Bildmitte liegen die Gebäude der Maschinenfabrik und Eisengießerei Beien, davor verläuft von links nach rechts die Vinckestraße. Herne hatte nicht nur viele Maschinenfabriken für den Bergbau, sondern eine eigene Molkerei/Milchverwertung südlich der Vinckestraße.
Zeche Mont-Cenis
1961 mitten in Sodingen: Zu sehen ist auf dem Luftbild die Zeche Mont Cenis mit ihrer großen Abraumhalde. Die Menschen wohnen damals dort, wo sie Arbeit finden. Im oberen Bildteil in der Mitte zu sehen ist auch der Hochbunker. Er wird gerade zum We-House umgebaut.
Bebauung an der Bahnhofstraße
Ein Blick über die Häuser auf der Bahnhofstraße (unten quer am Rand der Schlossparks Strünkede) im Jahr 1959, davor die Querstraßen Hafenstraße (l.), Jobststraße (2.v.l.), Auguststraße (3.v.l.) und Leibnizstraße (r.). Oben rechts ist die Abraumhalde der Zeche Friedrich der Große I/II. Im Bild die ersten Neubauten: die Gemeinschaftsschule Georgstraße (Ohmstraße) mit Sporthalle und Schulkindergarten am Ende der Jobststraße (l.), dahinter der Sportplatz von Fortuna Herne.
Das Ledigenheim
Horsthausen an der Grenze zu Baukau: Das Foto anno 1962 zeigt das Ledigenheim, liebevoll auch „Bullenkloster“ genannt. Die Gewerkschaft Friedrich der Große baut das Gebäude mit 200 Wohnungen 1918 für ihre Arbeiter, 1974 wird das Gebäude abgerissen. Links und unterhalb des Ledigenheims sind zwei Sportplätze, ganz unten links eine Gärtnerei. Heute befindet sich auf dem Gelände unter anderem das Fußballzentrum Horsthausen, der „grüne Bereich“ der Wewole und eine Streuobstwiese.
Roonstraße/Bahnhofstraße
Außer den Zechen prägten insbesondere Zulieferbetriebe für den Bergbau das Stadtbild: Links im Bild von 1961 die Roonstraße, unten die Bahnhofstraße mit der Victor Halstrick KG (heute Toom-Markt). Rechts daneben: die Schraubenwerke Dorn mit werkseigenem Schwimmbad.
>>> WEITERE INFORMATIONEN: Zum Hintergrund der Bilder
„Deutsche Fachleute fotografierten mit englischen Luftbildkameras Herne von oben“, berichtet Gerd Körner, Mitglied der Herner Geschichtsgruppe „Die Vier!“, der die Fotos sichtete. Das Flugzeug und der Pilot seien aus den USA gekommen. In einem speziellen Verfahren seien die Luftbilder auf auf einen Tisch projiziert, mit Hilfe von Raumsichtgeräten abgetastet und ausgemessen worden. „Das Ergebnis war ein präzises Kartenwerk“, so Körner. Maßstab: 1:5000.
„Das Luftbild“, so erklärten es die Herner- und Wanne-Eickeler Zeitung im Mai 1952, „ist heute zu einer erstrangigen Unterlage für neue Kartenwerke geworden: es erspart den enormen Aufwand für vielköpfige Vermesserteams.“ Und weiter: „Denn, wie besser als aus der Vogelschau offenbart sich das Antlitz der Erde in seinen wahren Zügen?“
Als „Abfallprodukt“ der Kartographie durch Luftbildaufnahmen seien später „500 einzigartige Fotos von Herne“ ins städtische Archiv gewandert. Die Aufnahmen zeigten Objekte erstmals in richtiger Größe und Lage zueinander. Zu sehen seien Gebäude und Einrichtungen, die es heute so nicht mehr gebe oder die ihr Aussehen verändert haben: „Ein wahrer Schatz stadtgeschichtlicher Dokumentation“, so Körner. Um anzufügen: „Viel zu schade, um in einem Archiv abgelegt zu verstauben.“
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Infos für „die alten Hasen vom Fotofach“ gaben die Zeitung den Leserinnen und Lesern auch. Die Kameras, die Herne und Wanne-Eickel aus der Luft aufnahmen, verwendeten Negative von 18 x 18 Zentimetern und Objektive mit einer Lichtstärke 1:4,5, Brennweiten von 21 Zentimetern. „Farb-Linsen schalten das blaue Luftlicht und den Dunst aus, so daß die Bilder kontrastreich und feingezeichnet sind“, kommentierten die Zeitungen. Wanne-Eickeler Luftbildaufnahmen aus dieser Zeit seien bedauerlicherweise nicht im Stadtarchiv gelandet, berichtet Stadtarchivar Jürgen Hagen. Ob es so einen „Schatz“ überhaupt gibt und wo dieser möglicherweise noch schlummert, werde einer späteren Spurensuche vorbehalten bleiben.
Bis 1990 übrigens duften Luftaufnahmen nur nach Genehmigung durch den Regierungspräsidenten veröffentlicht werden, erinnert Gerd Körner. Nach Artikel 37 des 3. Rechtsbereinigungsgesetzes sei die Genehmigungspflicht dann entfallen.