Herne. Die Chemieindustrie leidet - auch der Herner Evonik-Standort. Nun besuchte Vizekanzler Robert Habeck das Werk - und hörte von Nöten und Plänen.

Das Herner Evonik-Werk ist so etwas wie der Vorzeige-Standort des Essener Chemiekonzerns. An der Herzogstraße in Eickel hat sich Standortleiter Rainer Stahl vor geraumer Zeit auf den Weg gemacht, das Werk dem Ziel der Klimaneutralität näherzubringen. Dazu wurde eine Reihe von Projekten gestartet - mit so wohlklingenden Namen wie Sacher, TORTE oder H2annibal. Am Montag konnte Stahl diese Projekte zwei hochrangigen Gästen erläutern: Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sowie NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne).

Wasserstoffproduktion in ehemaliger Salzlagerhalle

Der Weg der beiden führte auch in die ehemalige Salzlagerhalle, die in ihren Dimensionen ein ganz klein wenig an die Bochumer Jahrhunderthalle erinnert. In den vergangenen Jahren ist die Halle nur noch als Lager genutzt worden, in Zukunft soll dort jener Stoff produziert werden, der Politik und Wirtschaft gleichermaßen elektrisiert: Wasserstoff. Evonik investiert in einen Elektrolyseur zur Erzeugung von grünem Wasserstoff, der in Produktion benötigt wird, Siemens Energy erforscht in einem begleitenden Projekt, wie sich diese Elektrolysetechnologie im industriellen Umfeld in der Chemie bewährt. Sowohl das Investitions- als auch Forschungsprojekt werden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit insgesamt 9,3 Millionen Euro gefördert. Die Gesamtinvestitionssumme liegt jenseits von 15 Millionen Euro.

An verschiedenen Stationen im Werk erläuterte Standortleiter Rainer Stahl (M.) Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Projekte für die Transformation des Werks.
An verschiedenen Stationen im Werk erläuterte Standortleiter Rainer Stahl (M.) Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Projekte für die Transformation des Werks. © Tobias Bolsmann

Doch „H2annibal“ - so der Projektname - offenbarte das Überthema, das über dem gesamten Besuch schwebte: die Energiepreise. Die bewegen sich seit dem Beginn des Ukraine-Krieges in Dimensionen, die die deutsche Chemieindustrie in arge Nöte bringt. So erzählte Claudine Mollenkopf, Divisions-Chefin für Special-Additive bei Evonik, im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion, dass das Herner Werk aufgrund der hohen Energiekosten nicht mehr exportieren könne - und die Anlage sei auf Export ausgelegt. Die Anlage sei zurzeit nicht gut ausgelastet. Im Herner Werk arbeiten rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Evonik-Chef Kullmann: Die Energiepreise sind zu hoch

Evonik-Konzernchef Christian Kullmann sprach Klartext: „Die Energiepreise sind zu hoch. Und die Risiken, dass sie dort bleiben, sind vorhanden.“ Deshalb sei eine beherzte Politik nötig, die alle Hebel in Bewegung setzt, um die Energiepreise zu senken. So müssten die Netzentgelte, bei denen eine Kostenexplosion drohen könnte, gemeinsam von Politik und Industrie eingedämmt werden. Was die Herner Belegschaft gerne gehört haben wird: Kullmann betonte zugleich, dass dieser Standort für Zukunft stehe. „Die grüne Transformation zu einem klimaneutralen Standort können wir hier Wahrheit werden lassen.“ Die Voraussetzungen seien vorhanden - mit einer engagierten Belegschaft und vor allem den richtigen Produkten. Herne sei der wichtigste Standort in Europa für die Produktion von Windradrotoren. Kullmann zeigte sich dankbar, dass der Bundeswirtschaftsminister Verständnis für die Nöte des Unternehmens gezeigt habe.

Das Herner Evonik-Werk leidet seit geraumer Zeit unter der geringen Auslastung.
Das Herner Evonik-Werk leidet seit geraumer Zeit unter der geringen Auslastung. © Tobias Bolsmannb

Habeck machte auch gar keinen Hehl daraus, dass die Nachwirkungen der hohen Energiepreise aus den Jahren 2022 und 2023 immer noch vorhanden sind. Die strukturelle Schwächephase der Wirtschaft werde verlängert, weil die Energiekosten immer noch höher liegen, als vor dem Beginn des Ukraine-Krieges. „Da kann ich allerdings weniger versprechen, weil es nicht in meiner Hand liegt“, so Habeck.

Habeck gibt Bekenntnis zur Chemieindustrie

Der Bundeswirtschaftsminister gab ein klares Bekenntnis zur chemischen und energieintensiven Industrie in Deutschland ab: Sie müsse geschützt werden und erhalten bleiben, und sie müsse entwickelt werden. In Deutschland und in Europa befände man sich in einem harten, harten Wettbewerb mit China und den USA: In Zukunft würden in der Hauptsache Produkte nachgefragt, die klimaneutral hergestellt worden seien. „Und dann sollen es deutsche Unternehmen wie Evonik sein, die die Produkte verkaufen. Deshalb ist es für mich eminent wichtig zu sehen, mit welchem Elan in Herne schon an der Veränderung gearbeitet wird.“ Er habe bei seinem Besuch Verständnis dafür entwickelt, wo es hakt. Nicht nur das, Habeck sagte auch Hilfe zu - indem er sich dafür einsetzen werde, die bürokratischen Vorgaben für die Wasserstoffproduktion - wie sie im Salzlager in Eickel geplant ist - zeitlich nach hinten zu verschieben.