Herne. Schon seit Monaten sind Senioren in ihren Wohnungen gefangen, der Aufzug ist defekt. Sie sprechen von Freiheitsberaubung. Was der Besitzer sagt.

Bereits seit Mitte Juni sind sie in ihren Wohnungen gefangen: Die Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses an der Hermann-Löns-Straße 1 in Herne-Mitte können seit mehr als zwei Monaten das fünfstöckige Haus nicht mehr verlassen, weil der Aufzug defekt ist. „Das ist für mich Freiheitsberaubung“, sagt eine Bewohnerin mit Tränen in den Augen. Aus Verzweiflung hat sie sich an die WAZ gewandt. „Ich war das letzte Mal am 10. Juni vor der Tür.“ Das fehlende Ersatzteil sollte eigentlich nach einigen Wochen da sein. Passiert ist bisher: nichts.

Für viele der Bewohnerinnen und Bewohner bedeutet das, dass sie in ihren Wohnungen gefangen sind. Die Bewohnerin, die ihren Namen nicht in der WAZ lesen möchte, kann nicht mehr laufen, ist auf einen Rollator angewiesen. Ohne diesen kann sie sich nicht fortbewegen. Sie bekomme Unterstützung von ihrer Familie. Kinder und Enkel kauften für sie ein oder besorgten Medikamente. Arztbesuche hingegen seien im Moment nicht möglich. „Einen Termin musste ich nun schon zum zweiten Mal verschieben.“ Und noch viel schlimmer: „Man wird einsam.“

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Bei dem Gespräch mit der WAZ ist die über 80-Jährige sichtlich bewegt. „Ich weine viel.“ Sie wolle doch einfach nur mal wieder vor die Tür. Auch den meisten anderen ihrer Nachbarinnen und Nachbarn gehe es so. Selbst die, die noch laufen könnten, schafften den Anstieg in den dritten, vierten oder fünften Stock nicht mehr oder nur sehr beschwerlich. „Das ist eine Zumutung“, sagt auch ihre Schwiegertochter, die sich um die Seniorin kümmert.

Denn bei dem Haus handelt es sich um ein „Seniorenquartier“ - das Wort steht groß an der Eingangstür. Dort steht auch: „Wohnen mit Service“. „Von diesem Service merken wir überhaupt nichts“, sagt die Schwiegertochter.

Bewohner kümmert sich um die Nachbarn

Auch mit einem anderen Nachbarn hat die WAZ gesprochen. „Das alles hätte verhindert werden können“, sagt er. Das ärgere ihn am meisten. Denn der Aufzug habe schon seit vielen Wochen Ärger gemacht. Regelmäßig seien Bewohnerinnen, Bewohner und Angehörige darin stecken geblieben. Im Nachbarhaus, das von derselben Hausverwaltung betreut werde, habe es einen ähnlichen Vorfall gegeben. Doch hätten die Bewohner ganze vier Monate ohne Fahrstuhl leben müssen.

Dieses Mehrfamilienhaus können viele der Bewohnerinnen und Bewohner seit Monaten nicht mehr verlassen.
Dieses Mehrfamilienhaus können viele der Bewohnerinnen und Bewohner seit Monaten nicht mehr verlassen. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

So oft wie möglich versuche der Herner, der selbst nur sehr beschwerlich gehen kann, seine Nachbarn in den oberen Etagen zu besuchen. Da er aber selbst auf Sauerstoff angewiesen ist, sei das eine Herausforderung. Zwischen den einzelnen Etagen brauche er manchmal zehn bis fünfzehn Minuten Pause. „Meine Nachbarn verlassen sich auf mich, aber ewig kann ich das leider auch nicht mehr leisten“, sagt er verzweifelt.

Aufzug soll Ende August wieder zur Verfügung stehen

Und was sagt die Hausverwaltung dazu? Christian Buderus ist Miteigentümer des Hauses. Verwaltet werde es von der Hausverwaltung IKZ aus Dortmund. Der Aufzug stehe wegen eines technischen Defekts still. Der Hersteller, die Firma Thyssen Krupp Elevator (TKE), die alleinigen Zugriff auf die Ersatzteile habe, habe ihm mitgeteilt, dass vermutlich der Frequenzumformer oder eine Platine defekt sei und diese nicht auf Lager verfügbar seien, so Buderus. Die Beschaffung würde voraussichtlich mindestens sechs bis acht Wochen betragen, zuzüglich des Einbaus. Bei dem Aufzug handele es sich um ein geschlossenes System. Fremde Anbieter hätten keinen Zugriff auf die Programmierung, und der Austausch defekter Bauteile sei nur für TKE möglich.

In jeder Etage steht ein Stuhl, damit die Bewohnerinnen und Bewohner zwischendurch Pausen machen können.
In jeder Etage steht ein Stuhl, damit die Bewohnerinnen und Bewohner zwischendurch Pausen machen können. © Lea Wittor | WAZ

„Wegen der Monopolstellung von TKE und der langen und unsicheren Lieferzeit haben wir uns dazu entschieden, zwei Angebote für die Komplettsanierung des Aufzuges einzuholen“, erklärt der Eigentümer. Den Zuschlag für die Sanierung des Aufzuges habe die Firma Rösner aus Castrop-Rauxel erhalten. Verbaut werde nun ein offenes System, welches von fast jeder Aufzugfirma gewartet und instandgehalten werden könne. „Wir haben uns dazu entschieden, die komplette Technik auszutauschen, da das verbaute System nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik entspricht und die Ersatzteilbeschaffung nach Aussage von TKE - wegen Ablauf des Produktlebenszyklus - nicht mehr gewährleistet ist.“

Die Kosten für die komplette Sanierung des Aufzuges betragen laut Buderus aktuell 36.000 Euro. Weder TKE noch Rösner hätten die für die Instandsetzung benötigten Waren auf Lager. Die Lieferzeit der Aufzugsteile liege bei sechs bis zehn Wochen. Nach Rücksprache mit der Firma Rösner warte diese auf ein letztes Bauteil. Die Lieferung sei für nächste Woche vorgesehen. „Sofort nach Verfügbarkeit des fehlenden Teils beginnt die Firma Rösner mit der Sanierung des Aufzugs. Nach jetzigem Stand steht der Aufzug ab Ende August wieder zur Verfügung“, so Buderus.

Die Mieter würden von IKZ regelmäßig mittels Aushangs informiert. Außerdem sei das im Haus ansässige Pflegebüro auf die Mieter zugegangen und habe Hilfe angeboten. Nach Aussage des Pflegebüros seien 90 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner durch Pflegedienst, Angehörige oder Nachbarn versorgt. „Ich verstehe die Ungeduld der Mieter, aber die benötigten Aufzugkomponenten haben leider längere Lieferzeiten“, so Buderus.