Herne. Das Bündnis Sahra Wagenknecht gibt es seit Anfang 2024. Wie läuft es in Herne? Warum die Bilanz von zwei Mitgliedern nicht durchweg positiv ist.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist Anfang 2024 in Berlin aus der Taufe gehoben worden. Zu den handverlesenen 450 Gründungsmitgliedern der Partei zählten immerhin zehn Hernerinnen und Herner mit den früheren Verdi-Leuten Norbert Arndt (68) und Michael Wiese (70) an der Spitze. Feste Strukturen gibt es vor Ort allerdings auch heute, mehr als ein halbes Jahr danach, noch immer nicht. Wo steht das Herner BSW?
Sie steht kurz vor ihrer zweiten Veranstaltung. So lautet die tagesaktuelle Antwort auf diese Frage. Für Mittwoch, 31. Juli, lädt die Gruppierung alle Unterstützer und Interessierten zu einer öffentlichen BSW-Versammlung in die „Zille“, Willi-Pohlmann-Platz 1, ein. Ab 18 Uhr ist dort Amid Rabieh zu Gast. Der frühere Linken-Politiker - er war unter anderem Vorsitzender des Bochumer Kreisverbandes - ist beim Bündnis einer der Stellvertreter Sahra Wagenknechts..
Der Blick solle sich am Mittwochabend in der Zille aber nicht nur auf den Bund und die wohl für Herbst anstehende Gründung eines Landesverbandes in NRW richten, sondern auch auf Herne, sagt Norbert Arndt. Mit festen Strukturen sei vor Ort bis Anfang 2025 zu rechnen. In den Fokus rückten dann die Kommunalwahl und die Bundestagswahl im Herbst, bei denen das BSW in Herne bekanntlich antreten möchte.
Mitglieder darf das BSW in Herne bislang nicht aufnehmen
Auch wenn sie es nicht als offene Kritik formulieren, so ist Arndt und Wiese doch anzumerken: Sie scharren kräftig mit den Hufen, der Aufbau von Strukturen geht ihnen nicht schnell genug. Bis heute dürfen sie vor Ort keine Mitglieder aufnehmen oder Sympathisanten in irgendeiner anderen Form die Zugehörigkeit zum BSW bescheinigen.
Einige Aktivitäten hat das BSW trotzdem vorzuweisen, allen voran die Premierenveranstaltung zur Europawahl mit der Bundestagsabgeordneten und Wagenknecht-Vertrauten Sevim Dağdelen. In der Zille habe man monatliche Stammtische durchgeführt, die künftig durch „Unterstützer-Treffen“ im ehemaligen Kolpinghaus in Wanne ersetzt werden sollen. Und sie seien mit Info-Ständen in der Innenstadt präsent gewesen, insbesondere vor der Europawahl.
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Aus dem Stand 4,9 Prozent erhielt die BSW Anfang Mai bei der Europawahl in Herne. „Ein außerordentlich respektables Ergebnis“, sagte Arndt damals. Doch auch über einen Mangel an verbalem Zuspruch könnten sie sich nicht beklagen. Die Reaktionen von Bürgerinnen und Bürgern seien sehr positiv. Insbesondere bei älteren Menschen kämen sie gut an. Und: Ihre bisherigen Unterstützerinnen und Unterstützer stammten überwiegend aus dem gewerkschaftlichen Milieu, so wie sie.
Putin-freundlich und in Teilen rechtspopulistisch? Hernes BSW weist das zurück
Mit zwei Kritikpunkten sieht sich das BSW häufig öffentlich konfrontiert: Das Bündnis sei Putin-freundlich und es fische am rechten Rand. Das Herner Duo will das nicht stehen lassen. „Es geht nicht darum, Putin und seine Rolle kleinzureden. Russland verantwortet einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, der viele Opfer gefordert hat“, sagt Wiese. Aber: Dieser Krieg müsse beendet werden. „Wir glauben nicht daran, dass dies auf dem Schlachtfeld passiert.“ Diplomatie und Verhandlungen müssten endlich Vorrang erhalten.
Auch den Vorwurf des „rechten Populismus“ weist das örtliche BSW zurück. Sie ließen sich nicht in die rechte Ecke stellen. „Die Schnittmengen zwischen der AfD und den bürgerlichen Parteien sind wesentlich größer“, so Arndt. Und: Menschen, die die AfD gewählt haben oder sich in Umfragen für sie aussprechen, könnten nicht von heute auf morgen alle Nazis geworden sein. „Sie haben doch früher andere Parteien gewählt.“ Auch diesen Menschen wolle das BSW ein Angebot machen. Und Michael Wiese glaubt, dass die Aufhebung der sozialen Spaltung ein wesentliches Element zur Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus wäre.
Forderung nach einer vierten Gesamtschule in Herne
Sie gingen davon aus, so das Duo, dass das BSW mittelfristig einen anderen Partei-Namen tragen werde. „Ich hätte ein Problem damit, wenn es keine Umbenennung geben würde“, sagt Wiese. Und die Positionen der Partei? Ins Gespräch mit der WAZ geht Norbert Arndt mit einer langen Liste an Inhalten und Zielen. Er fordert unter anderem „Vernunft in der Sozialpolitik“ und verweist darauf, dass in Herne jedes dritte bis vierte Kind als arm gelte. Viele Familien könnten sich keinen Urlaub mehr leisten, gleichzeitig gebe es aber in Deutschland immer mehr Milliardäre. Er geißelt das Rentensystem und die marode Infrastruktur. Und er fordert - wie der DGB vor der Kommunalwahl 2020 - eine vierte Gesamtschule für Herne.
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Derartige Anliegen auch persönlich in den Rat der Stadt einzubringen, sei nicht ihr Ziel, betonen Arndt und Wiese. Aber: Sie zögen eine Kandidatur bei der Kommunalwahl in Erwägung, falls es nicht gelinge, genügend geeignete Hernerinnen und Herner zu finden.
>>> Herner, Gewerkschafter, Ex-Genossen
- Sowohl Michael Wiese als auch Norbert Arndt standen bis zu ihrer Rente bei Verdi (früher: ÖTV) in Lohn und Brot.
- Wiese verantwortete vor seinem Ruhestand für die Gewerkschaft die Tarifpolitik in NRW. Zuvor war er unter anderem in Herne Vorsitzender des Personalrats und DGB-Chef. Arndt arbeitete zuletzt als Verdi-Sekretär in Herne.
- Noch eine Gemeinsamkeit: Beide gehörten einmal der SPD an. Wiese trat Ende 2023 nach 30-jähriger Mitgliedschaft aus, Arndt - einst bei der DKP aktiv - 2022 nach der „Zeitenwende“-Rede von Kanzler Olaf Scholz.