Herne. In einem Herner Obdachlosenheim soll ein Syrer einen Landsmann fast erstochen haben. Zu Prozessbeginn gelten besondere Sicherungsmaßnahmen.
Vor fünfeinhalb Monaten kommt es in der Obdachlosenunterkunft an der Buschkampstraße zu einer lebensgefährlichen Bluttat. Jetzt steht ein 27-jähriger Geflüchteter aus Syrien in Bochum vor Gericht. Es geht um drei Messerstiche in den Rücken und versuchten Mord. Und um einen womöglich unberechenbaren und hochgefährlichen Täter – der sich zum Prozessauftakt in Schweigen hüllt.
Die Hände und Füße mit Schellen gefesselt, den Kopf verdeckt durch die gefütterte Kapuze eines Winterparkas: Mit vorsichtigen, kleinen Schritten betritt der Angeklagte am Montag, 1. Juli, an der Seite von Justizwachtmeistern den Gerichtssaal A0.15 am Bochumer Landgericht. Es herrschen besondere Sicherheitsmaßnahmen. Wie es hieß, soll der Syrer zuletzt in der Haftanstalt völlig ausgerastet sein und „seine Zelle zerlegt haben“. Der Vorsitzende Richter der 3. Strafkammer, Nils Feldhaus, ermahnt den 27-Jährigen eindringlich, sich vor Gericht ordentlich zu benehmen, er andernfalls noch weitaus schärfere Maßnahmen zu spüren bekomme. Der Angeklagte nickt kurz und verfolgt den weiteren Prozessverlauf danach mit kühlem, fast schon teilnahmslosem Blick.
Es gab kurz vorher noch eine verbale Aussprache wegen Probleme im täglichen Zusammenleben
Die Anklage, die Staatsanwalt Stephan Mark verliest, beinhaltet massive Vorwürfe. Es geht um die Nacht auf den 19. Januar. Schon zuvor soll der 27-Jährige mehrfach mit einem Landsmann (damals 25) aneinandergeraten sein. Am fraglichen Abend gab es laut Anklage erneut „eine verbale Aussprache wegen verschiedener Probleme im täglichen Zusammenleben“. Obwohl die Streitigkeiten danach mehr oder weniger bereinigt schienen, sollen sich kurz danach die Ereignisse überschlagen haben. Der 27-Jährige soll sich in der Einrichtung gegen 2.40 Uhr von hinten an den anderen Mitbewohner angeschlichen und dem Mann „mit Tötungsabsicht“ drei Messerstiche in den Rücken versetzt haben. Tatwaffe soll ein Messer mit einer Klingenlänge von zwölf Zentimetern gewesen sein. Erst als ein anderer Bewohner dazwischen ging, soll der 27-Jährige von seinem Opfer abgelassen haben.
Der schwer verletzt zusammengebrochene Mann wurde damals sofort in eine Herner Klinik gebracht, musste dort notoperiert werden. Einer der Stiche hatte sich in die Lunge gebohrt und zu einem Hämatopneumothorax (Luft und Blut im Brustkorb) geführt. „Es bestand akute Lebensgefahr“, heißt es in der Anklageschrift wörtlich. Der Angeklagte wurde noch in der Tatnacht festgenommen und sitzt seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft. Auf der Suche nach dem Tatmesser hatte der 27-Jährige Polizisten damals noch vor seinem Weitertransport auf die Wache zu einer Mülltonne an einem Wohnhaus an der nahen Rottbruchstraße geführt. Dort konnten die Beamten ein „weiß rotes Küchenmesser mit Blutanhaftungen“ sichern.
Opfer arg- und wehrlos: Anklage sieht Mordmerkmal der Heimtücke als erfüllt an
Um was es bei den offenbar schon länger schwelenden Streitigkeiten zwischen den beiden syrischen Geflüchteten ging, lässt die Anklageschrift offen. Der Vorwurf des versuchten Mordes stützt sich hauptsächlich auf die Art und Weise des Messerangriffs – von hinten. Die Staatsanwaltschaft sieht das Mordmerkmal der „Heimtücke“ verwirklicht, weil das spätere Opfer trotz aller vorherigen Streitigkeiten in der konkreten Situation keinen Messerangriff erwarten konnte.
Zur Frage, inwieweit der Angeklagte möglicherweise psychisch gestört beziehungsweise eingeschränkt gewesen sein könnte, haben die Richter eine Sachverständige eingeschaltet. Mit einem Urteil ist voraussichtlich frühestens Ende Juli zu rechnen.