Herne. Digitales Trinkgeld: Druck für Gäste oder Erleichterung? Warum Herner Gastronomen skeptisch gegenüber der neuen Option an Kartenlesegeräten sind.
„Passt so“, hieß es lange, wenn die Servicekraft im Restaurant die Rechnung angereicht hat. Üblich ist: Guter Service wird mit einem Trinkgeld entlohnt – entweder durch Aufrunden auf einen geraden Betrag oder auch nach der Zehn-Prozent-Regel. Vielen treibt genau das Schweißperlen auf die Stirn und wirft die Frage auf, wie viel Trinkgeld angemessen wäre. Durch einen Trend, der sich vor allem in Großstädten verbreitet, soll das einfacher werden: Das Kartenlesegerät fragt beim Bezahlen, wie hoch das Trinkgeld sein soll – und zwar mit vordefinierten Prozentbeträgen auf dem Display. Das sagen Herner Gastronominnen und Gastronomen zu diesem Trend.
Bargeldloses Trinkgeld: Trinkgeld nach Prozenten
Das bargeldlose Trinkgeldsystem kommt aus den USA und hat sich insbesondere in anderen Ländern und deutschen Großstädten bereits verbreitet. Und das nicht nur in den gewohnten Trinkgeld-Umgebungen wie Restaurants, sondern auch in klassischen Mitnahme-Geschäften wie Fastfood-Ketten und Bäckereien, in denen es bislang eher untypisch war, Trinkgeld zu geben.
Und so funktioniert das digitale Trinkgeldsystem: Vor den Augen der Servicekraft wählen die Gäste zwischen verschiedenen Optionen auf dem kleinen Berührungsbildschirm, wie viel Prozent der Summe sie an Trinkgeld geben wollen. Die Gastronominnen und Gastronomen entscheiden selbst, welche Auswahlmöglichkeiten auf dem Display zu sehen sind – zum Beispiel 7, 10 und 20 Prozent. Auf einer weniger auffälligen Taste steht dann meistens „Freie Eingabe“ oder „Kein Trinkgeld“.
Herne: Betriebe stehen dem digitalen Trinkgeldsystem skeptisch gegenüber
Oskar Steinmeister, Inhaber von Steinmeisters Biergarten, sagt, er habe das System zum ersten Mal in Prag gesehen. „Aus Kundensicht finde ich das frech. Kunden sollen selbst entscheiden, was ihnen der Service wert ist.“ Derzeit gehe er folglich nicht davon aus, das System in Zukunft einzuführen. „Das kann natürlich in zehn Jahren ganz anders aussehen.“ Dennoch: Im Pott genieße er vor allem die ehrliche Art der Gäste, die sich auch in der Trinkgeld-Kultur spiegele.
„Kunden sollen selbst entscheiden, was ihnen der Service wert ist.“
Ähnlich wie in Steinmeisters Biergarten scheint es in den meisten Herner Betrieben noch recht klassisch zu laufen: Die gewünschte Trinkgeldsumme wird – ob bar oder mit Karte – gegeben, am Ende des Tages oder Monats mit der Kasse verrechnet und an die Servicekräfte ausgezahlt. Wenn mit Karte bezahlt wird, gibt es die Option, der Kartenzahlung Trinkgeld hinzuzufügen.
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Auch das Wirtshaus in der Herner Innenstadt fahre damit gut. „Es gibt keinen Anlass, ein anderes System einzuführen“, sagt Inhaberin Britta Rommel. Der Gast soll selber entscheiden, was er als Geste für guten Service gibt und nicht den sozialen Druck verspüren, Trinkgeld geben zu müssen. Das stellt auch Markus Schneider, Geschäftsführer der Palastkantine, heraus und führt weiter aus: „Wenn mir so ein Computer vorschreiben würde, dass ich doch noch einen Euro mehr geben sollte, hätte ich schon keine Lust mehr.“ Denn obwohl die Gäste weiterhin selbst entscheiden, ob und wie viel Trinkgeld sie geben, kommen sie um die Geldfrage nicht herum. Gäste könnten sich dazu genötigt fühlen, mehr Trinkgeld zu geben, als sie eigentlich wollten.
Trinkgeld stockt das Einkommen auf
Auch heute ist Trinkgeld noch eine wichtige zusätzliche Einkommensquelle für viele Gastro-Angestellte als Differenz zum Lohn. Sinkt die Höhe des Trinkgelds durch Kartenzahlung? Studien zeigen zwar, dass bei Kartenzahlung weniger Trinkgeld gegeben werde, bestätigen konnten die befragten Gastronomen das jedoch nicht. „Es gibt eigentlichen keinen Unterschied zur Barzahlung“, sagt Britta Rommel vom Wirtshaus. Oskar Steinmeister sagt, er sei zufrieden mit dem Trinkgeld, auch „unabhängig der wirtschaftlichen Entwicklung“.
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Die Dehoga NRW, Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband von Gastronomie und Hotellerie, stellt im WAZ-Gespräch die Seite der Gastronominnen und Gastronomen heraus: „Erstmal sehen wir darin einen Vorteil, weil die Möglichkeit, Trinkgeld zu bezahlen, gerade in Zeiten, in denen immer mehr mit Karte bezahlt wird, erweitert wird. Für den Gastronomen bedeutet es Mehraufwand, weil die Trinkgeldabrechnung normalerweise die Beschäftigten ohne Beteiligung des Gastronomen untereinander regeln. Der Gastronom muss zusätzlich Kreditkartengebühren auf die Trinkgelder bezahlen“, sagt Pressesprecher Thorsten Hellwig.
Trinkgeld bleibt eine wichtige zusätzliche Einkommensquelle
Der Betreiber vom Meistertrunk in Eickel fügt noch einen weiteren Grund hinzu: „Private Gastronomen müssen die Systeme selber einkaufen.“ Mit seinem Kassensystem sei er noch nicht so weit, dennoch sehe er Vorteile in einem angepassten System: „Der Ablauf könnte dadurch schneller werden.“ Für Gäste könnte es auch praktisch sein, nicht mehr ausrechnen zu müssen, wie hoch ein angemessenes Trinkgeld wäre.
Der WAZ-Redaktion sind zwei gastronomische Betriebe in Herne bekannt, die das System haben: Café del Sol und Nährstoff-Reich. Gastro & Soul GmbH, die Firma hinter Café del Sol, und Nährstoff-Reich wollten sich beide auf WAZ-Anfrage nicht zu dem Thema äußern.