Herne. In einem Pilotprojekt soll ein Beirat Ideen für die Herner Blumenthal-Brache entwickeln. Was geplant ist und welche Rolle Gesine Schwan spielt.

Im Juni 2020 hat der Rat den Weg für eine „Internationale Technologiewelt“ auf der Industriebrache General Blumenthal geebnet und dabei auch die Initiierung eines „gesellschaftlichen Beteiligungsprozess“ beschlossen. Diesen hat die Stadt am Dienstag im Literaturhaus an der Bebelstraße gestartet: als von der Eon-Stiftung gefördertes Pilotprojekt mit wissenschaftlicher Begleitung durch Prof. Dr. Gesine Schwan.

Entwicklungsbeirat soll 30 Mitglieder haben

Direkt im Anschluss an ein erstes Gespräch mit lokalen Akteuren wie Bezirksbürgermeister Adi Plickert und Vertretern unter anderem von BUND, Seniorenbeirat, DGB, IHK sowie der für einen Stadtwald auf Blumenthal eintretenden Bürgerinitiative stellten Oberbürgermeister Frank Dudda, Gesine Schwan und Stephan Muschik (Eon-Stiftung) im Literaturhaus der Presse den Rahmen des Beteiligungsprozesses vor. Dieser von Gesine Schwans Hochschule Humboldt-Viadrina Governance Platform organisierte und von der Eon-Stiftung mit 50.000 Euro finanzierte Prozess sieht die Gründung eines „kommunalen Entwicklungsbeirats“ vor.

Prof. Dr. Gesine Schwan und Hernes Oberbürgermeister Frank Dudda stellten im Literaturhaus das Konzept des zu gründenden Entwicklungsbeirats vor.
Prof. Dr. Gesine Schwan und Hernes Oberbürgermeister Frank Dudda stellten im Literaturhaus das Konzept des zu gründenden Entwicklungsbeirats vor. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

In vier Workshops soll das Gremium ab April bis Jahresende Impulse und Ideen für die Industriebrache entwickeln. Dem über keine Entscheidungsbefugnisse verfügenden Beirat sollen 30 Mitglieder angehören. Dazu zählen neben Personen aus Vereinen, Verbänden und Unternehmen unter anderem auch jeweils ein Vertreter der Ratsfraktionen von SPD, CDU, Grünen und Linken sowie als auswärtige Experten Dortmunds Ex-OB Ulrich Sierau und der Bochumer Hochschul-Präsident Professor Ulrich Bock. Eingebunden werden sollen auch zwei interessierte Herner Bürgerinnen und Bürger, die sich für den Beirat bewerben können (siehe unten). Die Moderation übernehmen zwei Herner: Ex-Bildungsdezernentin Gudrun Thierhoff und Heinz Letat, der einst Arbeitsdirektor eines Chemie-Unternehmens war.

Projekt soll Modellcharakter haben

Als Leitmotiv für das Projekt zitiert OB Dudda einen Satz aus einem Buch von Gesine Schwan: „Es geht nicht um die Durchsetzung eines bestimmten Interesses, sondern um eine möglichst gute gemeinsame Zukunft.“ Beim Blumenthal-Projekt gebe es - wie auch zunehmend allgemein in der Gesellschaft - eine Vielzahl von Einzelinteressen. Als „ehrlicher Makler“ will die Stadt in dem Beirat die gesamte Bandbreite der Gesellschaft abbilden. Es handele sich um Experiment, bei dem im Idealfall ein „neuer kultureller Spirit“ für Herne sowie Impulse für eine „global nachhaltige Kommune“ entstehen.

Sie habe als Wissenschaftlerin bei kontroversen Themen die Erfahrungen macht, dass sich unterschiedliche Positionen gegenseitig befruchten können, wenn sie moderiert würden, sagt Gesine Schwan. Das Auftaktgespräch im Literaturhaus habe sie „überaus inspiriert“ und „elektrisiert“, sagt die 78-jährige Politikwissenschaftlerin, die 2004 und 2009 Kandidatin der SPD bei der Bundespräsidentenwahl war. Über das Herner Projekt hinaus werde angestrebt, ein Modell für einen Beirat zu schaffen, der sich jenseits der Entscheidungsgremien mit der gesamten Entwicklung einer Kommune befasst, so Schwan.

BUND-Vertreterin hat viele offene Fragen

Nach der Teilnahme an der Auftaktrunde lobt Ingrid Reckmeier (BUND) auf WAZ-Anfrage das „gute Gespräch“. Sie habe aber noch viele Fragen, die in der Kürze der Zeit nicht hätten beantwortet werden können. Positiv bewerte sie, dass unter anderem Moderatorin Gudrun Thierhoff betont habe, dass das Projekt nicht nur Alibicharakter haben soll.

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Wie berichtet, sieht die vom Rat im Juni 2020 gegen die Stimmen der Linkspartei beschlossene „Leitidee“ einer Internationale Technologiewelt unter anderem moderne Unternehmen, Wissenschaft, Wohnungen, Grünflächen und eine Hoch-/Seilbahn für die rund 30 Hektar große Industriebrache am Hauptbahnhof vor. Eine noch zu gründende Projektentwicklungsgesellschaft soll konkretere Pläne für die Blumenthal-Fläche erarbeiten, hieß es im Beschluss.

Interessierte Bürger können sich per Mail (beteiligung-blumenthal@herne.de) bewerben. Bei mehreren Bewerbungen entscheidet das Los.

>>> Vorwurf: Stadt missachtet bei Bürgeranhörung rechtliche Vorgaben

Im 2021 gestarteten formalen Planungsverfahren für die Entwicklung der Blumenthal-Brache hat die Stadt bei der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern aus Sicht der BI Stadtwald und des BUND einen klassischen Fehlstart hingelegt. Vorwurf: Die Stadt habe die Niederschrift einer ersten Bürgeranhörung im Rahmen der Bezirksvertretung Eickel nicht ordnungsgemäß erstellt und damit gegen rechtliche Vorgaben verstoßen.

Im Baugesetzbuch heißt es bezüglich solcher Anhörungen sehr deutlich: „Die Stellungnahmen der Bürger*innen sind in die Niederschrift aufzunehmen.“ Das ist im Oktober in Eickel in der Anhörung zum Regionalen Flächennutzungsplan nicht geschehen. Die Stadt hat in der Niederschrift zur Sitzung zwar ihre eigenen Antworten auf konkrete Fragen von Bürgern aufgeführt, nicht aber deren zahlreichen kritischen Stellungnahmen.

Die Inhalte der Stellungnahmen würden faktisch trotzdem in die nun von der Verwaltung zu erstellende Abwägung einfließen, weil sie im Rahmen des Verfahrens auch schriftlich eingebracht worden seien, erklärt Stadtsprecher Christoph Hüsken auf Anfrage. Es handele sich nicht um einen Verfahrensfehler; das habe eine neuerliche Prüfung innerhalb der Verwaltung ergeben.

Rolf Reinholz (BUND) kritisiert das Vorgehen der Stadt.
Rolf Reinholz (BUND) kritisiert das Vorgehen der Stadt. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Rolf Reinholz lässt dies – ebenso wie die Bürgerinitiative Stadtwald – nicht gelten. Er ist nicht nur Co-Sprecher der Herner Gruppe des Umweltverbandes BUND und Vorsitzender des Naturschutzbeirats, sondern war vor seiner Pensionierung als Stadtmitarbeiter jahrelang mit solchen Themen befasst. Hier liege ein klarer Verstoß vor, so seine Einschätzung. Das habe jüngst auch ein Stadtmitarbeiter ihm gegenüber eingeräumt.

Die Verwaltung laufe damit nicht nur Gefahr, dass das Verfahren angefochten wird, sondern wecke mit ihrem Verhalten auch das Misstrauen bei Bürgerinnen und Bürgern. „Hier ist offenbar eine Panne passiert. Ich verstehe nicht, dass dies nicht offen eingestanden wird“, so Reinholz zur WAZ.