Herne. Im Ruhestand hat Rolf Reinholz eine neue Aufgabe übernommen: den Vorsitz des Naturschutzbeirates. Ein Gespräch über dessen Rolle in Herne.
Rolf Reinholz (66) hat im Februar Hiltrud Buddemeier nach 36 Jahren an der Spitze des Naturschutzbeirates der Stadt Herne abgelöst. Dessen Arbeit hat er schon als städtischer Mitarbeiter viele Jahre begleitet. Ute Eickenbusch sprach mit ihm über Möglichkeiten und Grenzen des Naturschutzes in der Großstadt Herne. „Ich denke, da kann ich noch einiges Positives bewirken“, sagt er über sein neues Amt.
Herr Reinholz, wozu ist der Naturschutzbeirat da?
Die Aufgabe des Naturschutzbeirates ist nach § 70 des Landesnaturschutzgesetzes die unabhängige Vertretung der Belange von Natur und Landschaft. Der Beirat ist ein Beratungsgremium, das die Untere Naturschutzbehörde berät.
Wie sehen Sie dessen Möglichkeiten?
Die Stadt Herne ist nicht an die Beratung gebunden. Wenn der Beirat Beschlüsse fasst, kann man sie berücksichtigen oder man kann es bleiben lassen. Ich habe beides erlebt. In den ersten Jahren gab es ein großes Interesse. Da hat die Verwaltung bestimmte Fragen in den Beirat gegeben, damit er sich damit beschäftigt. In den letzten Jahren war das eher umgekehrt, ist mein Eindruck: Dass man den Beirat an bestimmten Fragen nicht beteiligen möchte. Ich denke, dass ich da ein bisschen was tun kann, um das Verhältnis zu verbessern.
Wird der Beirat als lästig empfunden?
Genau. Wir sind in einer Demokratie und ich finde es wichtig, dass die Gremien alle Fakten kennen. Das ist nicht immer der Fall. Bestimmte Dinge werden ausgeblendet, weil dadurch Projekte gefährdet sein könnten.
Welchen Stellenwert genießt der Naturschutz, seit das Umweltamt und das Stadtplanungsamt zusammengelegt worden sind?
Ich persönlich halte das für eine sehr unglückliche Lösung, weil ein Interessenkonflikt besteht. Wir hatten anfangs eine dezentrale Lösung, die Aufgaben des Umweltschutzes waren auf mehrere Ämter verteilt - Planungsamt, Ordnungsamt, Stadtgrün - dann kam das Umweltamt 1988. Da habe ich auch eine gewisse Konkurrenzsituation gesehen. Ich habe vorher eine Aufbruchsstimmung erlebt in der Stadtverwaltung. Die Leute in den verschiedenen Ämtern haben sich für Naturschutz eingesetzt. Mein Bestreben ist es, das Verhältnis zwischen Beirat und Verwaltung zu verbessern. Im Beirat ist unheimlich viel Kompetenz vertreten: Wir haben acht Mitglieder von der Naturschutzseite und acht aus dem Bereich Landwirte, Waldbauern, Gartenbau, Imker, Angler und Sport.
Zur Person
Rolf Reinholz war nach seiner Ausbildung in der Wanne-Eickeler und Herner Stadtverwaltung 47 Jahre bei der Stadt Herne als Kommunalbeamter in verschiedenen Ämtern tätig, darunter Ordnungsamt (Untere Landschaftsbehörde), Umweltamt, Straßenverkehrsamt, Amt für Angelegenheiten der Bezirksverwaltungsstellen, Ratsamt, Stadtkasse und Stadtgrün. Seit September 2019 ist er im Ruhestand.
Er betreute den Naturschutzbeirat als Mitarbeiter der Stadt 20 Jahre lang. Mitglied werden durfte er erst nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst.
Reinholz gehört mit Ingrid Reckmeier, Ursula Kippelt und Tatjana Schrade zum Vorstand des Herner BUND, dessen Kreisgruppengründung er initiiert hat.
Er ist verheiratet, hat vier Kinder und ein Enkelkind und lebt in Eickel.
Wie ist das Interesse der Parteien an Naturschutzfragen?
Das ist von Personen abhängig. Im Prinzip sind alle für Naturschutz - in der Praxis gibt es große Unterschiede. Wenn es konkret wird, sind andere Interessen wichtiger. Herne ist mit über 3000 Einwohnern pro Quadratkilometer die am dichtesten besiedelte Stadt in Nordrhein-Westfalen (Platz 7 in Deutschland). Wir brauchen Gewerbeflächen, Wohnbauflächen und Freiräume in der Natur - das beißt sich. Deshalb ist es wichtig, dass man bei den Flächen überlegt: Was ist die beste Nutzung im Gesamtinteresse? Wenn ich daran denke, dass die Stadt Herne in den 70ern den U-Bahn-Aushub in den Voßnacken gekippt hat, ist das ein Beispiel für eine schlecht durchdachte Flächennutzung. Da wurden Quellen überkippt und die größten Orchideenwiesen im Ruhrgebiet. Man hat die Fläche als Gewerbegebiet ausgewiesen, später wurde das Naturschutzgebiet. Da konnte man die letzten Reste retten, aber das war ein massiver Eingriff.
Fallen Ihnen aktuelle Fälle ein, wo nicht im Sinne des Naturschutzes gehandelt wurde?
Wir haben ein Klimaschutzkonzept. Wenn man das ernst nehmen würde, dürfte man keine Freiflächen mehr bebauen und keine gesunden Bäume mehr fällen.
Apropos: Immer mehr Bürger sind sauer, wenn Bäumen gefällt werden, wie am Europaplatz oder jetzt am Stadtgarten. Wie sehen Sie das?
Ich habe 1978/1979 die erste Baumschutzsatzung auf den Weg gebracht. Baumschutz ist sehr wichtig, die Baumschutzsatzung ist aber auch ein schwaches Instrument. Wenn Flächen bebaubar sind, kann man Bäume nicht retten. Die Baumschutzsatzung ist 2016 stark geschwächt worden durch die Politik. Im Umkreis von fünf Metern um die Gebäude kann man ohne weitere Begründung beantragen, dass die Bäume gefällt werden. Auf der anderen Seite hat man das Problem mit den Ersatzpflanzungen. Wo wollen Sie heute noch Ersatzbäume pflanzen? Einen großen Baum zu ersetzen, ist unheimlich schwierig und langwierig. Ich habe auch manchmal den Eindruck, dass viele Planer Bäume nicht wahrnehmen.
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Ihre Vorgängerin Hiltrud Buddemeier hat immer wieder die Schottergärten kritisiert. Ist das auch Ihr Anliegen?
Ja. Im Bebauungsplan werden Flächenanteile festgelegt, die bebaut werden dürfen, aber am Ende ist es viel mehr. Dann kommen Gartenhäuser dazu, es werden Zuwegungen gepflastert und dann noch ein Schottergarten vor dem Haus. Dadurch wird die Stadt zusätzlich aufgeheizt, während Grün zur Kühlung beiträgt. Für den Artenschutz ist das eine Katastrophe, weil die Vögel in vielen Gärten keine Nahrung finden. Alle klagen über das Artensterben, aber wir machen aus der Stadt eine Wüste.
Und was macht man dagegen?
Das ist auch eine Aufgabe des Beirats, dass man aufklärt und positive Beispiele bringt. Wenn man etwas für den Artenschutz und ein besseres Stadtklima tun will, sollte man auf Versiegelung von Freiflächen verzichten und einheimische und standortgerechte Pflanzen bevorzugen, welche Insekten und Vögeln Nahrung und Nistmöglichkeiten bieten. Im Lehrgarten am Haus der Natur, aber auch in den Kleingartenanlagen, kann man positive Beispiele sehen. Die von Stadtgrün in den letzten Jahren im öffentlichen Raum angelegten Blühwiesen sind hier auch hervorzuheben und kommen bei der Bevölkerung gut an. Derartige Maßnahmen sollten intensiviert werden.
Steht Herne beim Artenschutz durch die dichte Bebauung besonders schlecht da?
Wir sind relativ dicht bebaut, aber haben immer noch Grünanteile dazwischen. In den Innenstädten von Dortmund oder Essen sieht es viel schlimmer aus. Wir haben noch Potenzial in Herne. Ich habe selbst sechs Amphibienarten im Garten, Grasfrösche, Wasserfrösche, Berg- und Teichmolche sowie Erd- und Kreuzkröten.
Kürzlich haben wir von dem bedrohten Feuersalamander erfahren. Geht diese Tierart verloren?
Für Herne fürchte ich das schon. Das Problem ist, dass Molche und Salamander aus Asien importiert werden. Wenn sie ausgesetzt werden, werden Erreger übertragen auf einheimische Tiere und die haben keine Abwehrkräfte. Es ist zu befürchten, dass wir 100 Prozent Ausfälle haben. Im Voßnacken haben wir etwas Ähnliches erlebt. Da hatten wir 2000 bis 3000 Erdkröten und der Bestand ist total zusammengebrochen, weil Leute amerikanische Sonnenbarsche in den Teich ausgesetzt haben. Das sind Laichräuber, die fressen alles weg. Da sterben die Amphibien irgendwann aus. Und dadurch, dass der Teich ausgetrocknet ist, sind die Sonnenbarsche jetzt auch weg.
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Was muss in puncto Naturschutz in Herne unbedingt passieren?
Ich denke, dass der Naturschutz in Herne nicht 100-prozentig angekommen ist. Bei Stadtgrün wurde das Personal, Gärtner und Gärtnerinnen, über die letzten Jahrzehnte zusammengestrichen. Es gibt keine „manuellen Kräfte“, die für Naturschutzarbeiten zuständig sind. Es müsste Personal da sein, um bestimmte Aufgaben draußen zu übernehmen. Zum Beispiel haben wir im Voßnacken japanischen Knöterich, der ist sehr schwer zu bekämpfen. Die ganze Frage der eingewanderten Pflanzen liegt brach. Da sollte es Personal geben, das mit der Schippe arbeitet. Das kann nicht nur den Verbänden überlassen werden, sondern das ist auch die Aufgabe der Stadt.
Muss der Naturschutz immer nur verteidigen?
Beim Artenschutz haben wir eine starke Position, das ist EU-Recht. Wenn ich an das Blumenthal-Gelände denke: Da haben wir Kreuzkröten und Mauereidechsen, die sind besonders geschützt. Da wurde bei den bisherigen Planungen das Augenmerk noch nicht so richtig drauf gerichtet. Es muss sichergestellt sein, dass die Bestände nicht untergehen und denen Lebensraum zur Verfügung steht. Wenn ich Biotope für bestimmte Tiere erhalten möchte, wie im Voßnacken, muss ich pflegend eingreifen, dass der Lebensraum erhalten bleibt. Man muss mehr agieren und nicht nur verteidigen. Für die naturnahen Flächen wäre es wichtig, ein Pflegekonzept zu entwickeln, welches den Flächenerhalt im Sinne des Natur- und Artenschutzes, aber auch als Erholungsfläche für die Bevölkerung zum Ziel hat. Hierfür müssen finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung stehen.