Herne. 20 Jahre an der MOB in Herne: Ein Gespräch mit Hans-Jakob Tebarth über Digitalisierung, Zukunft und Unterschiede zwischen Slawen und Deutschen.
Der promovierte Historiker Hans-Jakob Tebarth (64) geht nach 20 Jahren (zehn davon als Direktor) an der Martin-Opitz-Bibliothek (MOB) in den Ruhestand. Mit WAZ-Redakteurin Nikolina Miscevic sprach er im Interview über die Bedeutung von Digitalisierung, die Zukunft der MOB und die Unterschiede zwischen Slawen und Deutschen.
Woher kommt Ihre Verbindung zum Osten Europas?
Ich bin ganz im Westen Deutschlands aufgewachsen, in Schaephuysen am Niederrhein. Als Kind bin ich häufiger mal für eine alte Nachbarin einkaufen gegangen, eine Schlesierin aus Beuthen. Wenn man so will, war das mein erster Berührungspunkt mit Osteuropa.
Und das hat Sie so nachhaltig geprägt, dass Sie Historiker mit dem Schwerpunkt Osteuropa wurden?
Ich habe zunächst ganz brav auf Lehramt studiert. Als es hieß, dass in NRW erstmal keine neuen Lehrer angestellt werden, bin ich zum geisteswissenschaftlichen Zweig gewechselt. Geschichte, Geografie, Politikwissenschaften habe ich dann im Magister gemacht, Russisch habe ich immer weiter gelernt parallel. Ich wäre nach dem Doktorat gerne an der Uni geblieben, aber es gab keine Stellen. So habe ich dann erstmal in Bonn bei einer Kulturstiftung angefangen.
Danach kam dann die MOB. Erinnern Sie sich noch an Ihre Anfangszeit in Herne?
Auf jeden Fall – das erste richtige Erlebnis hatte ich eigentlich im Rathaus. Da war irgendeine Feierstunde, es wurden alle möglichen Leute empfangen. Bei uns hieß es dann „Ach ihr seid von der MOB“, wir wurden also direkt geduzt, das fand ich toll. In Bonn gab es gar kein „Du“.
Wie haben Sie Herne in Ihrer Zeit hier erlebt?
Für mich ist Herne immer eine ehrliche Arbeiterstadt gewesen mit erstaunlich viel Kultur. Die Stadt hat einiges zu bieten, das hätte ich anfangs nicht gedacht. Da kannte ich Herne nur von Durchfahrten.
Wie nehmen Sie das Naturell der Hernerinnen und Herne wahr?
Ziemlich herzlich und ehrlich. Das kann natürlich auch mit der Nutzerstruktur hier in der Bibliothek zusammenhängen, aber ich bin sehr gut aufgenommen worden. Es gab kein Fremdeln. Das ist nicht selbstverständlich.
Was waren die größten Errungenschaften in Ihrer Zeit bei der MOB?
Ich bin als stellvertretender Direktor hier angefangen und was ich sofort gemacht habe, war, dass ich Digitalisierung eingeführt habe. Das gab es gar nicht. Den ersten Scanner habe ich 2002 gekauft, in meinem ersten Jahr hier. Wir haben dann auch recht schnell Digitalisate anbieten können.
Waren Sie damit ein Vorreiter?
Das hat sich echt ausgezahlt, kann man so sagen. Letztlich ist die Bibliothek, steht auch in den Papieren der Bundesregierung, für diesen Zuwendungsbereich die zentrale Bibliothek. Das war sie vorher auch schon, dann aber eben als Digitalisierungsstandort. Die MOB ist bei der Deutschen Digitalen Bibliothek, die mehr schlecht als recht anläuft und auch viel zu spät war, sofort mit drin gewesen und liefert auch weiterhin konstant.
Sind Sie mit Ihrem Streben nach Digitalisierung auch mal auf Widerstand gestoßen?
Bei meinem Chef hatte ich keine Probleme, er hat sogar direkt die Mittel freigegeben und das war viel Geld, Bibliothekstechnik ist teuer. Es gab so einige Mitarbeiterinnen, die Veränderungen fürchteten, die sich nicht zutrauten, damit umzugehen. Aber letztlich ist das keine Hexerei, man darf keine Angst vor dem Fortschritt haben. Damals gab es im Verbundkatalog 200.000 Titel, jetzt sind es 1,2 Millionen – da war klar, ohne Digitalisierung kann es nicht laufen.
Ohne Digitalisierung standen Bibliotheken also früher oder später vor dem Aus?
Die ganzen Bibliotheken, die damals den Umschwung verpennt haben, die sind praktisch eingestampft worden. Es gibt die Bücher zwar noch, aber da kommt keiner mehr mal eben so dran.
Macht das die MOB als Standort, der eine Nische bedient, umso bedeutsamer?
Die MOB hat ein Alleinstellungsmerkmal, ganz klar. Das ist die zentrale Bibliothek für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa.
Und auf Herne gemünzt?
Herne will Wissenschaftsstandort werden und hat die Polizeihochschule in Teilen hier. Das soll aber auch weiter in den wissenschaftlichen Bereich gehen, das ist lukrativer. Langfristig, denke ich, wird die MOB dazu noch mehr beitragen als bislang.
Ist gerade mit Blick auf die Zukunft die Anerkennung als An-Institut der Ruhr-Uni Bochum und die geplante Professur Ihrer Nachfolge ein wichtiger Schritt?
Ich halte das für eine sehr wichtige Entwicklung. Da habe ich auch viel Arbeit investiert. Das An-Institut ist schon da, damit verbunden ist eine zusätzliche Person. Dadurch soll unter anderem die Forschungsarbeit hier aus dem Haus vorangetrieben werden.
Was haben Sie im Ruhestand vor?
Erstmal habe ich vor, mich mindestens ein halbes Jahr komplett rauszuziehen, damit die Leute hier nicht meinen, ich wollte gucken und kontrollieren. Durch einige Posten, in Stiftungen und Vorständen, die ich voraussichtlich erst im Laufe des Jahres werde abgeben können, bin ich dann doch noch vergleichsweise involviert in der MOB.
Glauben Sie, Ihren Ruhestand trotz alldem genießen zu können?
So ganz bin ich die Arbeit noch nicht los (lacht). Hier soll eine Professur als Nachfolge eingerichtet werden, da werde ich auch unterstützen – natürlich ehrenamtlich. Beratend werde ich auch noch zur Seite stehen. Wenn es nicht anders als erwartet kommt, sind das wenige Sitzungen. Das schaffe ich schon.
Und den Rest der Zeit?
Von einem Oldtimer träume ich auch schon ganz lange und einen Hund hätte ich auch wieder gerne. Nur miefig hinter dem Schreibtisch sitzen war nie mein Ding. Mein Motorrad möchte ich wieder mehr benutzen. Ich bin damit schon bis nach Weißrussland gefahren und plane schon auch noch eine lange Tour, vielleicht zum Nordkap und wieder zurück. Da muss aber ordentlich Sitzvermögen mitbringen.
Sie sind regelmäßig in Osteuropa, privat und beruflich. Inwiefern unterscheidet sich die deutsche Mentalität von der slawischen?
Ich habe Osteuropa immer als wärmer erlebt als Deutschland, deutlich wärmer. In Weißrussland bin ich auf meiner Motorradtour immer bei Privatleuten untergekommen. Es ist vielleicht ein bisschen Plattitüde, aber ich habe etwa von den Russen viel fürs Leben gelernt. Wenn es heißt, es geht nicht, dann ist das nicht das Ende eines Vorhabens. Es heißt nur, dass es so nicht geht. Die Frage ist dann: Wie machen wir das jetzt? Eigentlich geht da immer alles, auch wenn die Mittel meist viel eingeschränkter sind.
>>> Zur Person:
- Hans-Jakob Tebarth lebt mit seiner Ehefrau in Schaephuysen am Niederrhein und hat zwei erwachsene Töchter.
- Sein Studium der Neueren, Mittleren und Osteuropäischen Geschichte sowie Geografie absolvierte er an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.