Herne. Eine Blinddarm-OP ist ein Routine-Eingriff – aber nicht, wenn man schwanger ist. Wie eine junge Frau aus Herne um das Leben ihrer Tochter bangte.
Sie ist einer der häufigsten Gründe in Deutschland, aus denen Patienten im OP landen: die Blinddarmentzündung. Doch für Nina Sock war es alles andere als ein Routine-Eingriff. Denn die Hernerin war im sechsten Monat schwanger, als ihr Blinddarm zu platzen drohte. „Hätten wir einen Tag, vielleicht auch nur ein paar Stunden oder Minuten länger gewartet, hätten wir beide nicht überlebt.“ Nun hat sie ihre Geschichte in einem Buch veröffentlicht, um mit dem Erlebten „hoffentlich endlich abschließen zu können“.
Es war ein Samstagnachmittag im April 2018, als Nina Sock gemeinsam mit ihrem Mann das Babyzimmer für Töchterchen Sophie einrichtete. „Ich war so aufgeregt und wie so viele werdende Mamis im absoluten Nestbautrieb“, erzählt die 30-Jährige, damals im sechsten Monat schwanger. Daher habe sie es auch nicht lassen können, den großen beigefarbenen Teppich im Alleingang auszurollen, als ihr Mann für ein paar Minuten das Haus verlässt. „Plötzlich ist mir ganz übel geworden“, sagt Nina Sock – „nicht schlimm, schwanger eben“, habe sie gedacht.
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Doch zu der Übelkeit seien „heftige Schmerzen im Oberbauch“ dazugekommen, die im Laufe des Abends „nach unten, in die rechte Leiste“ gewandert seien. „Ich habe gedacht, ich hätte mich überanstrengt.“ Aber die Schmerzen bleiben: „In der Nacht habe ich kein Auge zugemacht“, sagt die Rechtsanwaltsfachangestellte, die trotz Drängen ihres Mannes nicht ins Krankenhaus fahren wollte. „Mein Mädchen strampelte fleißig, was für mich das Zeichen war, dass es ihr gut ging.“
„Was ist, wenn mein kleines Mädchen das nicht überlebt?“
Doch Nina Sock, die im Herner Stadtteil Baukau lebt, geht es von Stunde zu Stunde schlechter. Nachdem am Sonntagmittag auch das Fieberthermometer eine erhöhte Temperatur anzeigt, machen sie und ihr Mann sich auf den Weg ins Krankenhaus – ein Glück, wie sich später herausstellt. Als die junge Frau ihren Mutterpass sucht, laufen Tränen über ihr Gesicht. „Ich war am Ende meiner Kräfte. Hunderte Gedanken stiegen in meinen Kopf. Und ich hatte Angst.“
Im Marien Hospital in Herne angekommen, machen die Ärzte ein CTG, überprüfen die Herztöne und stellen fest: Dem ungeborenen Mädchen geht es prächtig. „Ich dachte: ‚Schön, dann kann ich ja wieder nach Hause‘“, sagt Nina Sock. Doch das Fieber steigt weiter an. Ein Arzt tastet den Bauch der schwangeren Frau ab, drückt ihr rechtes Bein Richtung Babybauch. „Ein heftiges Stechen durchbohrte mein ganzes Becken“, erinnert sich die Mutter an den schlimmen Schmerz.
Der Arzt greift zum Ultraschallgerät, doch Baby Sophie habe ihm die Sicht auf die Organe erschwert, erzählt Sock. Erst als das Mädchen ihre Beine „wie ein Klappmesser nach oben wirft“, erhält sie die Diagnose: Appendizitis, eine Entzündung des Wurmfortsatzes am Ende des Blinddarms. Not-OP.
„Von da an ging alles ganz schnell“, erinnert sich die 30-Jährige. Die Ärzte hätten ihr erklärt, dass es zwei Möglichkeiten gibt: Entweder sie entfernen den entzündeten Wurmfortsatz mithilfe der sogenannten Schlüsselloch-Methode, machen also drei kleine Schnitte. Oder aber sie verschaffen sich mit einem etwa fünf Zentimeter langen Schnitt Zugang zum unteren Bauchraum. „Ich fing fürchterlich an zu weinen. Was ist, wenn mein kleines Mädchen das nicht überlebt?“
Blinddarmentzündung während der Schwangerschaft tritt sehr selten auf
Prof. Dr. Dirk Bausch ist Direktor der Chirurgischen Klinik im Marien Hospital in Herne. Die Wahrscheinlichkeit für eine Blinddarmentzündung während der Schwangerschaft liege, sagt er, zwischen 0,05 und 0,07 Prozent. „Sie tritt also sehr selten auf.“ Eine Operation – offen oder minimal-invasiv – sei in der Regel aber unumgänglich.
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Wird die Entzündung nicht behandelt, kann das für Mutter und Kind lebensbedrohlich werden. Ein Blinddarmbruch oder eine Früh- oder Fehlgeburt können die Folgen sein. Doch wie jede Operation birgt auch eine Blinddarm-OP selbst gewisse Risiken. So liegt das Risiko einer Früh- oder Fehlgeburt bei einer Blinddarm-Operation in der Schwangerschaft laut dem Direktor der Chirurgischen Klinik in Herne zwischen zwei und acht Prozent.
„Ich habe die Ärzte angefleht, im Zweifelsfall mein Baby und nicht mich leben zu lassen“, erinnert sich Nina Sock an ihre Angst um Töchterchen Sophie. Erst als sie wenig später in den OP geschoben wird, habe sie sich beruhigt. „Ich wusste, ich kann jetzt nichts mehr tun, außer den Ärzten zu vertrauen.“
Entzündeter Blinddarm: „Eine tickende Zeitbombe“
Und es geht alles gut. Nur zweieinhalb Stunden später erwacht die damals 27-Jährige aus der Narkose, erkundigt sich sofort nach dem Wohlbefinden ihres ungeborenen Mädchens. „Ihrem Kind geht es sehr gut“, hätten die Ärzte ihr versichert. Aber: „Die Nacht von Sonntag auf Montag hätten wir nicht überlebt“, sagt Nina Sock und streichelt ihrer Tochter über die Wange. Der Blinddarm in ihrem Bauch sei „eine tickende Zeitbombe“ gewesen.
Die kommenden Wochen bis zur Geburt sind von Ängsten und Sorgen geprägt. Die entzündeten Wunden, die schmerzhaften Tritte des kleinen Mädchens im Bauch und die Angst, ihr Baby doch noch zu verlieren, machen der werdenden Mutter schwer zu schaffen.
Trotz der Blinddarm-OP, die die Ärzte minimal-invasiv durchführten, kann die Hernerin ihre Tochter im August normal zur Welt bringen. „Ich hatte 18 Stunden Horror-Wehen.“ Doch als die kleine Sophie endlich das Licht der Welt erblickt, gibt es keinen Schrei – ein erneuter Schock. „Sie hatte die Nabelschnur zweimal um den Hals gewickelt und war ganz blau“, erzählt Nina Sock, sichtlich froh darüber, dass es der Zweijährigen heute gut geht.
„Ich war mir sicher, ich will nie wieder schwanger werden“, sagt die 30-Jährige und lacht, denn nur etwa ein Jahr später wird sie erneut schwanger, Sohn Alexander ist heute 13 Monate alt. Und: „Ich bin wieder schwanger“, verrät Nina Sock ihr kleines Geheimnis. Um ihren Blinddarm muss sie sich jedenfalls keine Sorgen mehr machen.
WEITERE INFORMATIONEN
Im Februar 2021 ist das Buch „Einfach Leben – Wahre Begebenheiten“ erschienen. 15 Autoren, darunter die Hernerin Nina Sock, erzählen darin ihr persönlichen Geschichten; schöne, bewegende und traurige Ereignisse, die ihr Leben geprägt und oft auch verändert haben.
Das Taschenbuch, 168 Seiten, Edition Paashaas Verlag, kostet 9,95 Euro.