Duisburg. Rabia Araci drohte eine Frühgeburt in der 23. Woche. 56 Tage hält die Duisburgerin aber weiter durch: liegend und nahezu regungslos im Kreißsaal.
Wie jedes Mal freut sich Rabia Araci auf den Termin bei ihrer Frauenärztin. Vor allem auf ein neues Ultraschallbild ihrer kleinen Tochter, die sich in der 23. Schwangerschaftswoche immer deutlicher im Bauch bemerkbar macht. Und auf die beruhigenden Worte der Gynäkologin. Doch diesmal kommen sie nicht.
„Ihr Muttermund ist bereits teilweise geöffnet und die Fruchtblase rutscht. Sie müssen so schnell wie möglich ins Krankenhaus“, sagt die Ärztin. Panik steigt in der 28-Jährigen auf. Panik, die sie schon kennt. Sie war schon einmal schwanger, das Kind kam viel zu früh in der 26. Woche – und schaffte es nicht. Sie und ihr Mann Mete hatten damals lange gebraucht, um wieder ins Leben zurückzufinden.
Frühgeburt droht: Duisburgerin kommt sofort in eine Klinik
Direkt von der Praxis lässt sich die Duisburgerin in die Helios St. Johannes Klinik im Norden der Stadt einliefern. Das Krankenhaus ist als Perinatalzentrum Level 1 spezialisiert auf die Versorgung von Frühgeborenen. Das Team dort bestätigt die Diagnose der Frauenärztin: ein Vorfall der Fruchtblase, medizinisch Prolaps, verursacht durch eine Muttermundschwäche. Es besteht sofort Handlungsbedarf.
Der Muttermund schafft es nicht, die immer schwerer werdende Fruchtblase zu halten und sie droht im weiteren Verlauf zu platzen, was eine viel zu frühe Geburtseinleitung zu Folge hätte. Gespürt hat Rabia Araci vorher nichts. Außer einem leichten Druck, den aber viele Schwangeren spüren, allein aufgrund des Gewichts des wachsenden Kindes.
„Bei jedem Ziehen dachte ich, unsere Kleine schafft es nicht“
Für die 28-Jährige bedeutet die Diagnose absoluter Stillstand. Sie darf zunächst nur liegen und soll sich so wenig wie möglich bewegen, denn jede Druckveränderung im Unterleib kann die Fruchtblase beschädigen. Dazu bekommt sie Antibiotika und Wehenhemmer sowie Lungenreifespritzen für das Ungeborene.
Mutter und Kind wohnen quasi im Kreißsaal, Besuch vom werdenden Vater ist aufgrund der Pandemie nur eingeschränkt erlaubt. Für Rabia eine nervenaufreibende Zeit: „Vor allem die Ängste haben mich fast verrückt gemacht. Bei jedem Ziehen dachte ich, unsere Kleine schafft es nicht.“
23. Schwangerschaftswoche gilt als Grenze der Lebensfähigkeit
Das Klinikteam rechnet jeden Tag damit, dass das kleine Mädchen zur Welt kommt, mit gerade einmal rund 600 Gramm und somit als extremes Frühchen. „Wir haben jeden Tag mit der Familie gezittert und uns auf die Ankunft und Versorgung des Kindes vorbereitet“, sagt Dr. Metin Degirmenci, Oberarzt der Kinderklinik und Leiter der Perinatalstation.
In Deutschland gilt das Erreichen der 23. Schwangerschaftswoche als Grenze der Lebensfähigkeit von Frühgeborenen mit medizinischer Hilfe. Und auch dann schaffen es viele nicht oder behalten starke Beeinträchtigungen zurück.
Acht Wochen Bettruhe bis die Fruchtblase platzt
Stunde um Stunde, Tage um Tage und am Ende acht Wochen hält Rabia Araci nach ihrer Ankunft in der Klinik in ihrem Kreißsaalbett durch. Bis zur 31. Schwangerschaftswoche. Schon am Nachmittag spürt Rabia die ersten unregelmäßigen Wehen, am frühen Abend platzt die Fruchtblase, die Geburt lässt sich nun nicht mehr aufhalten.
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Das Klinikteam wägt gemeinsam mit den Eltern ab und entscheidet sich schließlich für einen Kaiserschnitt, denn die Anstrengungen einer natürlichen Geburt könnten eine zu große Belastung sein. Um 19.56 Uhr schließlich kommt die kleine Esmira mit 1650 Gramm und 41 Zentimetern auf die Welt. „Sie schrie, sie atmete, sie lebte. Das war das einzige, was in dem Moment zählte“, beschreibt die Mutter den Moment.
Mutter und Kind stehen vor der Entlassung
Zur Überwachung kommt das kleine Mädchen sofort auf die Perinatalstation: Drei Tage lang helfen ihr Geräte beim Atmen, dann schafft sie es selbstständig. Zur Überwachung bleibt sie aber noch weitere drei Wochen auf der Intensivstation. Für die Eltern eine emotionale Herausforderung: „Die ständige Angst, dass sie es doch nicht schaffen würde, war riesengroß.“
Doch Esmira nimmt an Gewicht zu, Mutter und Kind können im nächsten Schritt auf die Normalstation. Endlich zusammen, Tag und Nacht. „Ich kann es immer noch nicht glauben, dass wir all das wirklich überwunden haben.“ Knapp 2300 Gramm wiegt die Kleine nun und die beiden stehen kurz vor der Entlassung nach Hause.
>> BESONDERE BEOBACHTUNG FÜR FRÜHGEBORENE
• Nach der Entlassung wird die Familie von der Klinik weiterhin begleitet. Zudem bekommt Esmira in den ersten Wochen noch ein mobiles Überwachungsgerät mit, das ihre Atmung im Schlaf kontrolliert. Frühchen können gerade zu Beginn noch unter kleinen Atemaussetzern leiden, weil bestimmte Areale im Gehirn noch nachreifen müssen.
• Ein Perinatalzentrum vereint die Fachbereiche Geburtsmedizin und Kinderheilkunde unter einem Dach zur optimalen Versorgung von Mutter und Kind. Am Helios Klinikum Duisburg ist ein Perinatalzentrum Level 1 angegliedert. Dort können auch extreme Frühchen mit etwa 500 Gramm Geburtsgewicht medizinisch versorgt werden.