Herne. Harmonie geht anders. Zwischen den Herner Ratskooperationspartnern SPD und CDU kracht es bisweilen gewaltig. Woran das liegt: eine Analyse.

Vor siebeneinhalb Monaten haben SPD und CDUdie Neuauflage ihrer Ratskooperation vor dem Herner Rathaus besiegelt. Bei politischen Beobachtern macht sich zunehmend das Gefühl breit, dass Rot-Schwarz seit der Kommunalwahl schon jetzt mehr Baustellen hatte als in den gesamten knapp sechs Jahren ihres Zweckbündnisses von 2014 bis 2020. Szenen einer Ehe – kommentiert und erläutert.

Der Affront

Eine Randepisode, aber eine mit Symbolkraft: Anfang März nahm der Planungsausschuss auf Vorschlag der SPD einen CDU-Antrag zum Circus Schnick-Schnack kurzerhand von der Tagesordnung. Die Union hatte es zuvor abgelehnt, dass ihre Fragen von der Stadt wegen der Pandemie nur schriftlich und nicht in der Sitzung beantworten werden. Die CDU schäumte, die SPD musste sich im Nachgang entschuldigen.

Rot gegen Schwarz

Konträre inhaltliche Positionen wurden bei Punkten wie der (von der SPD formulierten) Resolution für eine Kindergrundsicherung oder beim Weltkulturerbe deutlich, was sich auch in einem unterschiedlichen Abstimmungsverhalten niederschlug. Richtig gescheppert hat es dann jüngst bei der Diskussion um die Reform des Kommunalen Ordnungsdienstes (KOD). CDU-Fraktions-Chef Timon Radicke ergänzte die Vorschläge der Stadt in einem eigenen „Positionspapier“ unter anderem um die Forderung nach Schlagstöcken, was bei der SPD Schnappatmung auslöste. Meinungsverschiedenheiten werden neuerdings auch schon mal auf Facebook oder in Leserbriefen (SPD-Fraktions-Chef Udo Sobieski) ausgetragen.

Die Zerstörung der Harmonie

Die CDU war über den satirischen Beitrag von Hernes SPD-Chef Alexander Vogt - hier beim Parteitag im Mai 2021 - auf de Kanal TikTok not amused.
Die CDU war über den satirischen Beitrag von Hernes SPD-Chef Alexander Vogt - hier beim Parteitag im Mai 2021 - auf de Kanal TikTok not amused. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

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Nicht nur im Rat, sondern auch auf Parteiebene gab es Scharmützel, die das normale Maß der politischen Auseinandersetzung überschritten. So inszenierte SPD-Chef Alexander Vogt im Oktober kurz vor den Koalitionsgesprächen in Anlehnung an den YouTuber Rezo auf dem Social-Media-Kanal TikTok die „Herne-Edition“ der „Zerstörung der CDU“. Die CDU berief eine außerordentliche Vorstandssitzung ein und fragte, wie unter solchen Umständen eine vertrauensvolle Arbeit im Rat möglich sein soll. Vogt sprach von Satire, bemühte sich um Schadensbegrenzung und ruderte schließlich zurück.

Interne Baustellen I

Sind offene Konflikte und Stellungskämpfe zwischen den Ratspartnern auch eine Folge von fraktionsinternen Auseinandersetzungen und einer damit einhergehenden Verunsicherung? Das jüngste Abstimmungsergebnis der SPD-Fraktion über einen Ausschluss der Ratsfrau Nurten Özcelik – es ging 13 zu 13 aus – dokumentiert nicht nur die Spaltung in einer Sachfrage, sondern wie schon die Wahl des Fraktionsvorstandes im November die aktuelle Zerrissenheit der noch jungen Fraktion. Hinter vorgehaltener Hand stellen einige Genossen den Fraktionsvorsitzenden Udo Sobieski bereits in Frage.

Interne Baustellen II

Da war das Tischtuch noch nicht zerschnitten: Timon Radicke und Bettina Szelag am Abend der Kommunalwahl am 13. September 2020.
Da war das Tischtuch noch nicht zerschnitten: Timon Radicke und Bettina Szelag am Abend der Kommunalwahl am 13. September 2020. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Alles gut in der CDU-Fraktion? Nein! Mit der Demontage der früheren Fraktions-Chefin Bettina Szelag bei der Neuwahl des Fraktionsvorstandes ist im November eine Wunde aufgerissen worden, die wohl nicht mehr zu heilen ist. Hinzu kommt, dass Partei- und Fraktions-Chef Timon Radicke zwar Stärke demonstriert, aber nicht zuletzt durch seinen Zick-Zack-Kurs in der Frage einer erneuten Kandidatur für den CDU-Vorsitz Kredit verspielt hat. Wenn er - wie es viele erwarten - nach der Bundestagswahl Karriere in Bund oder Land machen sollte und die Zelte in Herne abbrechen müsste, hätte dies auch für die Ratskooperation Folgen. Denn: Ein geborener Nachfolger in der CDU-Fraktion ist für ihn weit und breit nicht in Sicht.

Was sagen die Fraktions-Chefs?

Sowohl Udo Sobieski als auch Timon Radicke betonen, dass sie als Fraktionsvorsitzende auf der Arbeitsebene ein hervorragendes Verhältnis haben. Der Sozialdemokrat kann auch nicht erkennen, dass es tiefere Konflikte zwischen den Ratspartnern gibt. Er versucht Zahlen sprechen zu lassen: Seit der Wahl habe man 27 Anträge gemeinsamen verabschiedet, rechnet Sobieski vor. Nur in zwei Einzelpunkten – Kindergrundsicherung und Weltkulturerbe - sei man nicht einer Meinung gewesen. Besonders positiv hebt er hervor, dass sich die CDU in dem gemeinsamen Vorstoß zum Schutz von Geflüchteten ihrer Verantwortung gestellt habe.

„Es wäre vermessen zu glauben, dass zwei so unterschiedliche Partner immer einer Meinung sind und dass es nicht mal Reibereien gibt“, sagt Sobieski. In den wichtigen Fragen herrsche aber Geschlossenheit – so wie zuletzt bei der Wahl des (von der SPD vorgeschlagenen) neuen Bildungsdezernenten Andreas Merkendorf. Einen Unterschied zur ersten Auflage von Rot-Schwarz sieht er aber sehr wohl: „Der Ton ist offener und direkter geworden.“

Bei Timon Radicke klingt dies so: Die CDU-Fraktion habe sich im März zusammengesetzt und eine Art Agenda mit inhaltlichen Punkten gesetzt, die bis zur Sommerpause im Rat und den Ausschüssen abgearbeitet worden seien, sagt er. Das Ziel: Die CDU wolle nicht mehr wie früher in der „reaktiven Phase“ verharren, sondern aktiv agieren. „Das ist uns gelungen“, bilanziert er. Fortsetzung folgt: Nach der Sommerpause werde eine neue „Agenda“ erstellt, kündigt der CDU-Chef an.

Droht eine Scheidung?

An einem Aus dürften beide Seiten derzeit kein Interesse haben – schon allein deshalb, weil es gilt, den eigenen Einfluss im Verwaltungsvorstand und damit auch Macht zu sichern. 2023 steht die Wiederwahl des auf CDU-Ticket fahrenden Dezernenten Frank Burbulla an, 2024 scheiden mit Hans Werner Klee und Karlheinz Friedrichs zwei SPD-Dezernenten altersbedingt aus. Ein fliegender Wechsel zu den Grünen dürfte für die SPD mit dem Verlust eines Sitzes im Verwaltungsvorstands verbunden sein. Unabhängig davon wäre Rot-Grün allein deshalb nicht denkbar, weil der starke Mann in Herne - OB Frank Dudda - dies verhindern würde.

>>> Das sagt der Oppositionsführer

„Mit Verwunderung“ blicke er als Außenstehender auf die rot-schwarzen Differenzen, sagt Thomas Reinke (Grüne), Vorsitzender der mit Abstand größten Oppositionsfraktion. Es überrasche ihn, wie häufig Meinungsverschiedenheiten sichtbar und öffentlich ausgetragen würden – nicht nur bei Abstimmungen, sondern auch in sozialen Medien oder gar Leserbriefen.

Thomas Reinke ist Fraktions-Vorsitzender der Grünen, der mit Abstand größten Oppositionspartei im Rat. Auch die Grünen verhandelten im vergangenen Jahr mit der SPD über eine Zusammenarbeit. Die SPD entschied sich aber letztlich für die bei der Kommunalwahl arg gestutzte Union.
Thomas Reinke ist Fraktions-Vorsitzender der Grünen, der mit Abstand größten Oppositionspartei im Rat. Auch die Grünen verhandelten im vergangenen Jahr mit der SPD über eine Zusammenarbeit. Die SPD entschied sich aber letztlich für die bei der Kommunalwahl arg gestutzte Union. © FUNKE Foto Services | Kerstin Buchwieser

Ob das „Wahlkampfgetöse“ vor den Urnengängen in Bund (26. September) und Land (15. Mai) sei oder ob sich dahinter tiefergehende, gar koalitionsgefährdende Konflikte verbergen, könne er nicht beurteilen. Fest stehe für ihn: „Unter Rot-Grün hat es so etwas früher im Rat nicht gegeben - mit Ausnahme des ganz großen Knalls am Ende.“

Seine Fraktion profitiere von den rot-schwarzen Eheproblemen; mehrmals sei es schon zu rot-grünen Mehrheiten gekommen. Reinkes entspanntes Fazit: „Von mir aus können sie gerne so weitermachen.“