Herne. In Herne demonstrierten rund 3500 Impfgegner mit einem Zug durch Wanne-Eickel. Wieso die Gegendemo am Buschmannshof eine „Enttäuschung“ war.
„Einen Scheiß muss ich“, schallt eine metallisch-verzerrte Frauenstimme durch ein Megafon über den Kirmesplatz auf Crange. Dort, wo sonst Kirmes und Weihnachtszauber steigen, fanden am Sonntagnachmittag laut Angaben der Polizei 3500 Gegnerinnen und Gegner der Impflicht zusammen. Unter dem Titel „Der Pott erwacht“ standen sie gegen die Corona-Maßnahmen ein und zogen durch Wanne-Eickel.
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Zwei von ihnen sind Claudia und Ralf Rump. Das Ehepaar ist aus Duisburg angereist, verweist in den Plakaten, die über ihren Oberkörpern baumeln, auf das Grundgesetz und die freie Impfentscheidung. „Mit der Impfpflicht wird an unseren Grundrechten gerüttelt“, sagt Ralf Rump. „Herr Spahn hat noch versprochen, dass es keine Impfpflicht geben würde – wie soll man da das Vertrauen in die Politik behalten?“ Die beiden 60 plus – ihr genaues Alter behalten sie für sich – sind ungeimpft.
„Wir sind grundsätzlich gegen die Pharmaindustrie, hinterfragen viel, schon immer“, erklärt Claudia Rump, die als Erzieherin arbeitet. „Wir haben Angst“, sagt sie. „Aber nicht vor dem Virus.“ Vielmehr sei neben der individuellen Freiheit auch die objektive Berichterstattung der Presse in Gefahr, vieles sei „Meinungsmache“. „Aber“, ordnet Ralf Rump ein, „ich bin kein Verschwörungstheoretiker, um Gottes Willen!“
Impfgegner in Herne: „Das ist mir meine Überzeugung wert“
Barbara Reidick-Gretzka beruft sich ebenfalls auf die Grundrechte, „aus meiner Sicht sind die mit der Impfpflicht in Gefahr.“ Eine Impfung komme für sie nicht in Frage, ihren Job am Empfang eines Friseursalons habe die Oberhausenerin verloren. Aber das sei ihre Überzeugung wert. „In Oberhausen laufe ich jeden Mittwoch beim Spaziergang mit und dass ich heute hier bin, war für mich von vornerein klar“, sagt die 57-Jährige.
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Auf dem Kirmesplatz herrscht lebendiges Treiben; Musik, Sprechchöre und Trommelmusik treffen aus verschiedenen Richtungen aufeinander. Von jungen über alte Menschen, Gruppen, Familien und Pärchen ist alles dabei. Etwas am Rande des Geschehens steht junge Familie mit zwei Kindern, das Mädchen hält bunte Ballons in der Hand, der kleine Junge schaut sich mit großen Augen um. Die Mutter, die ihren Namen lieber nicht veröffentlicht wissen möchte, sei heute für ihre Kinder hier. „Es ist wichtig, dass wir über die Gesundheit unserer Kinder selbst entscheiden dürfen. Die Maskenpflicht in der Schule beispielsweise sei unverhältnismäßig. „Es ist ja erwiesen, dass Kinder nicht so stark unter einer Infektion leiden“, sagt die Mutter einer Siebenjährigen und eines Zweijährigen. Ihren Sohn habe sie aufgrund der Corona-Auflagen noch nicht in die Kita geschickt. „Zum Glück können wir uns das mit unseren Jobs erlauben.“
Demo in Herne: Maskenpflicht gilt für alle
Über eine Lautsprecheranlage verkündet der Veranstalter gegen 15 Uhr, dass sich der Zug nun in Bewegung setzt. Nach Rücksprache mit der Polizei sei er dazu verpflichtet, auf die Maskenpflicht zu verweisen: Weil mehr als 750 Impfgegnerinnen und -gegner nach Crange gekommen sind, gilt bei der Demo eine Maskenpflicht. Ein Ordner fordert die Menschen am Mikro dazu auf, Masken zu tragen: „Jeder muss diesen Scheiß jetzt mitmachen, um zu zeigen, dass wir uns auch an sinnlose Regeln halten können.“
Ein Banner mit der Aufschrift „Wir sind die rote Linie – friedlich und bestimmt“ steht der scheinbar endlosen Kolonne an Menschen voran, gefolgt von einem weißen Van mit der Aufschrift „An uns zerbrechen eure Nadeln!“. Über die Heidstraße und die Wanner Straße ziehen die Impfgegner von der Dorstener Straße bis zur Berliner Straße und wieder zurück. Immer wieder schauen Anwohnerinnen und Anwohner aus ihren Fenstern zu, Passantinnen und Passanten bleiben stehen. „Wahnsinn“, sagt eine Frau, die mit Partner und Kinderwagen unterwegs ist. „Haben die keine anderen Sorgen in dieser Zeit?“
„Demokratiefest“ als Gegenveranstaltung: Wenig Zulauf
Am Buschmannshof sind ebenfalls Menschen zusammengekommen. Das Bündnis Herne hatte zeitgleich zur Teilnahme an einem „Demokratiefest“ unter dem Motto „Packt den Pott nicht an!“ aufgerufen. Ein interreligiöses Friedensgebet in der Christuskirche, Redebeiträge des Veranstalters, von Gewerkschaften und Kirchen sowie mehrere Musik-Acts gehörten zum Programm. Laut Polizei hatten sich dort bis 15 Uhr rund 240 Menschen versammelt, darunter auch Matthias Lorbiecki. Der Herner wolle sich solidarisch zeigen und ein Zeichen setzen. Außerdem sehe er die Bewegung der Impfgegnerinnen und Impfgegner kritisch: „Zum Teil sind diese Gruppen von Rechten unterwandert, das bereitet mir schon Sorge“, sagt er.
Die 23-Jährige Julia Nonn steht mit ihrer Freundin Henriette aus Gelsenkirchen am Buschmannshof und findet klare Worte: „Jeder darf für seine Interessen demonstrieren. Aber nicht, wenn man mit Nazis mitläuft. Das ist eine Gefahr für die Demokratie.“ Umso wichtiger sei es, den Gegnerinnen und Gegnern von Corona-Maßnahmen entgegenzutreten, „auch wenn wir hier leider nicht annähernd so viele sind.“
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Ein Sprecher von Bündnis Herne zeigte sich von der Resonanz des „Demokratiefests“ enttäuscht. Er hätte sich mehr Zuspruch gewünscht und sei gleichzeitig „erschüttert“ über die hohe Zahl der Impfgegnerinnen und -gegner. Offensichtlich seien sie über die Stadtgrenzen hinaus sehr mobilisierungsfähig. Unter den Teilnehmenden der „Großdemo“ sei auch die „etablierte Klientel“, also auch Querdenker und Verschwörungstheoretiker. Immerhin: Die Demonstrantinnen und Demonstranten bildeten nicht die Stimmung in Herne ab – eben weil sie aus dem gesamten Ruhrgebiet angereist seien.
>>> Einzelne Strafanzeigen
- Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort. Wie viele Beamtinnen und Beamte im Einsatz waren, sagte ein Polizeisprecher nicht.
- Die Demonstrationen verliefen friedlich. Es werde vermutlich nur die „eine oder andere Strafanzeige“ geben, sagt ein Polizeisprecher auf Nachfrage.