Hattingen. „Die Situation ist katastrophal, für Kinder fatal!“ Eltern aus Hattingen berichten, wie Kinder, Erzieherinnen & Familien unter dem System leiden.

Wie kann eine gute Kinderbetreuung sichergestellt werden? Zurzeit gibt es mehr Baustellen als Lösungen. Drei Mütter aus Hattingen berichten jetzt darüber, wie sehr ihre Familien unter dem aktuellen System leiden.

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„Die Situation ist ökonomisch katastrophal und für die Kinder fatal!“ „Inzwischen gehen einfach alle am Stock.“ Rabea Herzog (39), Carolin Tietz (36) und Dr. Nora Mitdank (42) sprechen für Hunderte Eltern in Hattingen und weit darüber hinaus. Immer wieder kann in der Kita ihrer Kinder nur Notbetreuung angeboten werden - und die Lage verschlimmert sich. Sie berichten, wie der aktuelle Kurs des Landes NRW Kinder, Erzieherinnen und unzählige Familien leiden lässt.

„Ich dachte, das gibt es nicht, dass die Kita zu ist“, sagt Carolin Tietz. Ihre Kinder sind zwei und vier Jahre alt und besuchen die Kita Südring in Hattingen. Doch allein seit Start des Kita-Jahres im August gab es achtmal eine Notbetreuung und mehrere Tage nur ein reduziertes Angebot.

„Als wir einen Kinderkrankenschein hatten, fragte der Arbeitgeber nur: ‚Muss das denn sein?“

Carolin Tietz
Mutter

Eines wollen die drei Hattinger Mütter ganz klarmachen: „Wir haben ganz tolle Erzieher und eine tolle Kita. Die Kinder sind dort total glücklich und wir geben sie gern dorthin“, betont Rabea Herzog. Sie ist aktuell noch in Elternzeit mit ihrem zweiten Kind, in Kürze aber wie die anderen Mütter wieder berufstätig. So das denn funktioniert.

Eltern zur Kita-Misere in Hattingen
Carolin Tietz (36), Rabea Herzog (39), und Nora Mitdank (42, v.l.) sprechen für Hunderte Eltern in Hattingen und weit darüber hinaus. Die Mütter berichten, wie Kinder, Erzieherinnen und Familien in der Kita-Misere leiden. © WAZ | Sabine Weidemann

Denn nicht selten kommt morgens, gerade, wenn alle Kinder in der Kita sind, der Anruf: „Wir haben zu wenig Personal, holt bitte eure Kinder ab.“ „Dann muss ich alles stehen und liegen lassen und hole das Kind ab“, berichtet die Hattingerin. Und dann? Viele Berufstätige versuchen, es irgendwie hinzubekommen, wissen die drei Mütter - hinzubekommen auch, um wenigstens an den Tagen, an denen es gar nicht ohne Kita geht, eine Betreuung sicher zu haben.

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Hinbekommen, das heißt: unbezahlte Freistellungen, Überstundenabbau oder mit dem Partner hintereinander arbeiten - sehr früh morgens und spät am Abend. Dazwischen werden die Kinder betreut. „Das kostet Kraft und tut auch dem Kind nicht gut“, unterstreicht Rabea Herzog. Sie kann nicht auf familiäre Hilfe zurückgreifen. Doch ohne die geht es bei vielen berufstätigen Eltern gar nicht.

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Nora Mitdank kann auf die Unterstützung der Großeltern zählen und arbeitet fast ausschließlich im Homeoffice. Carolin Tietz erklärt: „Ich kann nicht arbeiten, wenn die Kinder da sind.“ Ihre Mutter sei extra früher in Rente gegangen, um bei der Betreuung zu helfen. „Aber für sie ist das auch super stressig und anstrengend. Also schaue ich, dass ich irgendwie früher auf Arbeit rauskomme.“ „Es ist sehr kräftezehrend und ich sehe das nicht mehr ein“, ärgert sich auch Nora Mitdank.

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„Mehr Frauen in Führungspositionen. Das geht gar nicht“, sagt Carolin Tietz. Sie selbst hat zudem die Erfahrung eines Stellenwechsels nach der Elternzeit gemacht. „Das stresst enorm. Man will sich beim neuen Job ja nicht direkt abmelden, weil die Kita zu ist.“

Auch die Arbeitgeber der Männer zeigten wenig Verständnis für die schwierige Situation der Familien. „Meinen Mann wurde das Homeoffice gestrichen und der Arbeitgeber rührt sich keinen Millimeter“, berichtet Rabea Herzog. Sowohl sie als auch ihr Mann haben ihre Arbeitszeit reduzieren müssen, um die Betreuung gestemmt zu kriegen. Carolin Tietz ergänzt: „Als wir einen Kinderkrankenschein hatten, fragte der Arbeitgeber nur: ‚Muss das denn sein?‘“

„Wir hören immer nur: ‚Das geht nicht. Die Kinder können zwar nicht betreut werden, aber eure Vorschläge, die gehen auch nicht.“

Rabea Herzog
Mutter

Nicht nur ökonomisch sei die Lage ein Desaster, weiß Nora Mitdank. Auch die Kinder bekommen das fehlerhafte System zu spüren. „Alles ist knapp auf Kante genäht. Das bedeutet immer Stress und das macht krank“, sagt Tietz und Mitdank unterstreicht: „Es gibt keine Kontinuität und Kinder brauchen Förderung.“

Die 39-jährige Rabea Herzog erinnert sich an die Reaktion ihrer sensiblen Dreijährigen auf die Situation in der Kita: Wenn es nicht läuft, wie sie es gewohnt ist, geht sie nicht hin. „Sie hat so gelitten, abends geweint und wollte morgens nicht hin“, erzählt sie. Weil nur einige Kinder in die Notbetreuung dürfen, fragten die anderen zudem nach: „Warum darf der und der in die Kita und ich nicht?“ Auch fielen Angebote, wie der Waldtag für die Kinder oder auch Elterngespräche, aus.

Land und Bund versprechen Milliarden

Erneut hat der Bund den Ländern in der vergangenen Woche Hilfe bei der Verbesserung der Qualität in der Kindertagesbetreuung versprochen. Im Zuge des dritten „Kita-Qualitätsgesetzes“ sollen die Länder in den kommenden zwei Jahren wieder insgesamt vier Milliarden Euro bekommen. Verbessert werden soll u.a. die Personalsituation in Kitas, aber auch Maßnahmen zur Beitragsentlastung sind vorgesehen. Das Land NRW finanziert z.B. das vorletzte beitragsfreie Kita-Jahr anteilig aus diesen Geldern.

In der vergangenen Woche sicherte das Land NRW den Städten eine Milliarde Euro als Ausgleichszahlung für die U3-Betreuung zu. Der sogenannte Belastungsausgleich Jugendhilfe (BAG-JH) soll dazu dienen, den örtlichen Trägern die notwendigen Kosten für den Ausbau und Betrieb der U3-Betreuung in Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflege zu erstatten.

Den Erzieherinnen und Kitas wollen die Mütter dabei ausdrücklich keinen Vorwurf machen. „Die brennen selbst aus“, beobachten sie. Dennoch kann es so nicht weitergehen. Sie fordern von den Verantwortlichen: „Man muss kreativ sein und über neue Konzepte nachdenken.“

Der Vorschlag der Mütter: Das Personal vom Papierkram entlasten. Und in den Bereichen, die keine Fachausbildung erfordern, mehr Möglichkeiten schaffen, auch ehrenamtliche Hilfe anzunehmen. „Wir hören immer nur: ‚Das geht nicht. Die Kinder können zwar nicht betreut werden, aber eure Vorschläge, die gehen auch nicht‘“, sind die Frauen frustriert.

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Immer eine Rolle spielt auch das Geld. Die Hattingerinnen erklären das, was im Zuge der Kita-Proteste vor dem Landtag im vergangenen Jahr auch die Kita-Träger angesprochen haben: „Wir wären auch bereit, mehr zu zahlen, um eine garantierte Betreuung zu bekommen.“ Dass sich das nicht jeder leisten kann, ist den Frauen bewusst, doch eine Lösung muss gefunden werden. Denn schon vor mehr als einem Jahr mahnten Träger in ganz NRW: Das Kita-System steht vor dem Kollaps! Dass die Ausfallzeiten inzwischen merklich steigen, bestätigt diese Einschätzung.