Hattingen. Wie ein Hund zur Waffe wird, erlebt eine Seniorin in Hattingen. Vor Gericht wird über die Ausbildung der Polizeihunde & Verantwortung diskutiert.
Wann tut ein Polizeihund seine Arbeit zum Schutz der Allgemeinheit – und wann wird er mit genau dem gleichen Verhalten zur gefährlichen Waffe? Schmerzlich erfahren musste das Ursula Christina Langenfeld in Hattingen. Die heute 74-Jährige wird vor fast genau einem Jahr von einem Polizeihund attackiert und übel zugerichtet. Über die Frage, welche Schuld am Verhalten des Hundes sein Diensthundeführer trägt, wurde jetzt vor Gericht gestritten.
Polizeihunde wie der Belgische Schäferhund (Malinois), um den es in diesem Prozess geht, sind darauf trainiert, im Ernstfall schnell zu reagieren. „Es ist ein sensibles, hochtrainiertes und kaum vorstellbar kampfbereites Tier“, formuliert es der Verteidiger des 45-jährigen Polizisten, dessen Hund in Hattingen angriff. Trainiert werden sie darauf, mutmaßliche Täter zu stellen, anzubellen und - wenn sich der Täter bewegt - auch zuzubeißen.
Dass es sich im Fall, der sich am 30. September 2023 auf dem Parkplatz an der Munscheidstraße in Winz-Baak ereignete, nicht um einen Autoknacker, sondern eine arglose Seniorin handelte, konnte der Hund nicht wissen. „Das Verhaltes des Hundes ist ein Produkt dessen, was wir aus ihm machen“, erklärt der stellvertretende Leiter der Diensthundestaffel, Vorgesetzter des Angeklagten, vor Gericht. „Es ist total schlimm, was passiert ist. Wir alle sind mitgenommen. Wäre es ein PKW-Aufbrecher gewesen, wäre der Hund für seinen Erfolg gefeiert worden. So hat es eine furchtbare Tragik“, fasst er zusammen.
Alle Beteiligte bestätigen, den Hund treffe keine Schuld, er hat nichts falsch gemacht. Er habe reagiert, wie er es gelernt hat. Mit schrecklichen Folgen für Ursula Langenfeld.
„Es ist total schlimm, was passiert ist. Wir alle sind mitgenommen. Wäre es ein PKW-Aufbrecher gewesen, wäre der Hund für seinen Erfolg gefeiert worden. So hat es eine furchtbare Tragik.“
Die zierliche Frau will einen Umschlag aus ihrem Auto holen, ist auf der Beifahrerseite ihres Autos für den angeklagten Hundeführer nicht sichtbar. Der hat seinen 35 Kilogramm schweren Malinois-Rüden zwar an der ausziehbaren Leine, die aber ist nicht straff gespannt, sondern auf knappe drei Meter eingestellt. Die Seniorin hantiert an ihrem Auto, schließt ab und will weitergehen. Plötzlich schießt der Polizeihund vor, stürmt um das Heck des Autos und fällt die damals 73-Jährige an.
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Ihre Abwehrbewegung wertet er als Angriff, beißt in ihren Arm, ein Stück der Fingerkuppe ab und verbeißt sich in ihren Haaren. Er zerrt derart am Kopf der geschockten Frau, dass ihr die halbe Kopfhaut heruntergerissen wird. Erst da kann der Hundeführer das Tier mit einem Griff ins Halsband stoppen, das anschließend wieder brav neben ihm sitzt, während der Polizist und Zeugen sich um das Opfer kümmern und den Notruf wählen.
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Tatsächlich sind es ähnliche Situationen, im Vorgehen gegen Autodiebe, die auch Teil des Trainings der Polizeihunde sind. Dabei, so wird vor Gericht erläutert, muss der Hund nicht auf ein Kommando warten, sondern kann selbst entscheiden und vermeintliche Täter attackieren, wenn er seinen Hundeführer bedroht sieht. Gerade dieser Punkt sei jahrzehntelang diskutiert worden, erläutert der Hundestaffelleiter. Nachdem Täter aber Hunde und auch einen Polizisten getötet hätten, während der Hund auf ein Kommando wartete, habe man sich für die aktuelle Art der Ausbildung der 330 Polizeihunde im Land entschieden, betont er.
Was im Einsatz sinnvoll ist, macht die Hunde damit aber auch zur potenziellen Gefahr. Die Verantwortung trägt der Hundeführer. „Sie hätten den Hund nicht in diese missverständliche Lage bringen dürfen“, betont Richter Johannes Kimmeskamp an den Angeklagten gewandt. Heißt konkret: Eben weil solche Situationen auch zum Training des Hundes gehören, müsse er auf einem Parkplatz, auf dem sich Menschen bewegen, an der ganz kurzen Leine geführt werden. Da sei im Alltag nicht umsetzbar, wetterte die Verteidigung. Man könne nicht um jede Ecke sehen.
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Der Richter sieht den Vorwurf der fahrlässiger Körperverletzung dennoch bestätigt. Er spricht eine Verwarnung gegen den Polizeibeamten aus. Sollte der sich innerhalb eines Jahres etwas zu Schulden kommen lassen, muss er 2000 Euro zahlen. Den gleichen Betrag muss er auch als Schadenersatz an Ursula Langenfeld zahlen. Deren Anwalt Bastian Junghölter hatte beim Land NRW bereits eine Entschädigung in Höhe von 35.000 für sie erkämpft. Erst kurz vor Prozessbeginn habe das Land nach erster Gegenwehr eingelenkt und der Zahlung zugestimmt, sagt er. Noch ist das Geld nicht auf dem Konto der Seniorin angekommen.
Weiterer Zwischenfall mit dem Hund
Nach dem Angriff seines Hundes auf die Seniorin meldete der angeklagte Polizist auch einen weiteren Zwischenfall mit dem Tier nur zwei Wochen zuvor. Im spielerischen Training hatte ihn sein Diensthund gebissen. Aus Frust, weil er nicht an sein Spielzeug kam, vermutet der Angeklagte.
Sein Vorgesetzter erklärte, das habe der Beamte damals nicht gemeldet, sei dazu aber auch nicht verpflichtet gewesen. Solche Zwischenfälle passierten immer wieder und es liege im Ermessen des Hundeführers, einzuschätzen, ob ein größeres Problem besteht. Bisher habe es aber nie Probleme mit dem Hund gegeben. Alle seien deshalb sehr überrascht und geschockt gewesen.
Das Land muss außerdem mögliche Folgekosten tragen. Der Hattingerin musste großflächig Haut vom Oberschenkel auf dem Kopf transplantiert werden. Sie trägt heute eine Perücke, die sie aus Scham auch vor Gericht nicht abnehmen möchte. Die gezeigten Fotos zeigen aber eine große Narbe, die sich um den halben Kopf zieht. Ursula Langenfeld ist nach dem Urteil, gegen das der Angeklagte keinen Widerspruch einlegen will, nur froh, dass nun alles vorbei ist.
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Der Polizeibeamte entschuldigte sich aufrichtig bei der Frau. Er hatte freiwillig seinen Hund, der drei Jahre bei ihm gelebt hatte, abgegeben und den Dienst als Hundeführer quittiert. Sein Vorgesetzter erklärte vor Gericht, der Angeklagte sei stets ein sehr guter und erfahrener Hundeführer gewesen. Er selbst hätte das Team Hund-Herrchen vermutlich nicht getrennt und das nur auf ausdrücklichen Wunsch des 45-Jährigen gemacht. Der habe die Verantwortung nicht mehr tragen können.
Auch der Hund sei nur aufgrund des medialen Interesses „in Rente“ zurück zum Züchter geschickt worden. Aber: Die ganze Hundestaffel habe aus dem Fall vieles gelernt und sei alarmiert. Richter und Nebenklage wollen das Urteil auch als Warnung verstanden wissen, in Zukunft noch mehr Sorgfalt im Umgang mit den Tieren walten zu lassen.