Hattingen. Bei der Mafia-Razzia im Mai 2023 wurde der Hauptbeschuldigte aus Hattingen festgenommen. Er sitzt in Haft. So hat sein Netzwerk funktioniert.
Man mag es sich nicht vorstellen können, doch es stimmt: Die Mafia sitzt in Hattingen! Bei einer Großrazzia gegen die organisierte Kriminalität der italienischen Mafia-Organisation ‘Ndrangheta in ganz Europa wird in dieser ruhigen Stadt an der Ruhr ein 62 Jahre alter Mann widerstandslos festgenommen. Nach Angaben des Landeskriminalamts ist er der Hauptbeschuldigte im Rahmen der Ermittlungen.
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Der Mann sei dringend verdächtig, „als führender Kopf ein professionell agierendes internationales Betäubungsmittel-Netzwerk betrieben und insbesondere Kokain für hochrangige Mitglieder der ‘Ndrangheta geschmuggelt zu haben“, teilt das Landeskriminalamt mit. Von mindestens 1,9 Tonnen ist inzwischen die Rede.
Anwohner der Südstadt bekommen Einsatz mit
Anwohner der Südstadt haben in der Nacht zum 3. Mai 2023 den Polizeieinsatz zwar wahrgenommen, worum es dabei genau ging, kam indes erst nach und nach ans Tageslicht. Seitdem sitzt der inzwischen 63-Jährige – wie weitere Beschuldigte – in Untersuchungshaft. Die Ermittlungen laufen, Anklage ist aber noch nicht erhoben. Wie der mutmaßliche Schmuggler gearbeitet und den Ermittlern ins Netz gegangen sein soll, zeigt sich jedoch in einem anderen Mafia-Verfahren, das am Landgericht Dortmund gegen die Betreiber einer Eisdiele in Siegen läuft.
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Still ruht der Fischteich. Im Angelparadies Steinbachtal in Breckerfeld, weitab von Hattingen also, ist an diesem Juli-Tag kein Fisch und kein Mensch zu sehen. Nur das Wasser plätschert. Das abgelegene Areal, das im Zusammenhang mit Ermittlungen stillgelegt wurde, wirkt heruntergekommen. 40 Millionen Euro Umsatz in drei Jahren sollen hier vom Eigentümer – eben dem angeklagten Hattinger – erwirtschaftet worden sein. Darauf deutet hier indes nichts hin.
Hauptaufgabe Geldflüsse des Netzwerkes koordinieren
Aufgabe des Hauptbeschuldigten sei gewesen, „über die Eingliederung von Personen ins Netzwerk zu entscheiden, Kontakt zu internationalen Auftraggebern zu halten, die Geldflüsse des Netzwerkes zu koordinieren und den reibungslosen Ablauf der einzelnen Schmuggelfahrten zu gewährleisten“, heißt es am Tag der Verhaftung.
Am Anfang steht eine Autopanne – in Italien. Wie zwei Ermittler des Landeskriminalamts an verschiedenen Prozesstagen vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts berichten, sollen italienische Behörden mutmaßliche Mafiosi abgehört haben. Dabei sollen sie im Dezember 2019 ein Gespräch belauscht haben, in dem sich ein italienischer Staatsbürger, mutmaßlich führender Kopf bei der ‘Ndrangheta im internationalen Kokainhandel, mit zwei Frauen aus Wuppertal und Dortmund unterhalten hat.
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Die beiden sollen als Drogenkurierinnen im Einsatz gewesen sein, als ihr umgebauter Audi Q7 mit Wuppertaler Kennzeichen in Kalabrien eine Autopanne hat. Sie sollen Teil einer „deutschen Kuriergruppierung“ mit sieben bis zehn Mitgliedern gewesen sein und Kurierfahrten für Mafiaclans aus San Luca getätigt haben, das als Hochburg der ’Ndrangheta gilt. „Bargeld nach Deutschland, Kokain nach Italien“, so einer der Ermittler.
Hattinger hat die Kurierfahrten organisiert
Organisator der Kurierfahrten soll der Hauptbeschuldigte aus Hattingen sein. Der Ermittlungsführer beim LKA spricht in seiner Zeugenaussage vor dem Landgericht stets vom „Rädelsführer“. Er habe die Kuriere immer zu zweit und in hochwertigen Fahrzeugen „losgeschickt“, sagt ein anderer Ermittler.
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Die Kurier-Fahrzeuge sollen in Spanien für etwa 10.000 Euro umgebaut worden sein. Die Drogenverstecke seien „von außen bei Fahrzeugkontrollen“ nicht als solche zu erkennen gewesen sein, so der Chefermittler vor Gericht. Sie seien „nicht so einfach“ zu öffnen gewesen, „nur mit mechanischen Mitteln“.
Der Hattinger „Rädelsführer“ habe die Kuriere zudem vor den Fahrten „angeleitet“, zum Beispiel, welche „Legenden“ sie bei Grenz- und sonstigen Kontrollen auftischen könnten: etwa „von einem Kurzurlaub oder von der Erschließung neuer Einkaufsquellen von Fisch für die Angelparadies GmbH“. Der Hattinger habe den Kurieren auch mit auf den Weg gegeben, „direkt nach Auslieferung des Kokains Italien zu verlassen und immer wieder einen anderen Grenzübergang zu nutzen“.
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Neben dem Hauptbeschuldigten, dessen Anwalt nicht auf eine Gesprächsanfrage reagierte, erging auch Haftbefehl gegen die Ehefrau des Angelparadies-Eigentümers. Dieser wurde allerdings gegen Meldeauflagen außer Vollzug gesetzt.
Das Angelparadies wurde im Zuge der Ermittlungen durchsucht, die Staatsanwaltschaft veranlasste die Eintragung eines Beschlagnahmevermerks im Grundbuch. „Der Beschuldigte ist weiterhin Eigentümer des Grundstücks, er kann es aber aufgrund des Beschlagnahmevermerks nicht veräußern“, so Staatsanwalt Julius Sterzel.
(mit Text von Rolf Hansmann und Jan Reinhold)