Hattingen. Haus Bredenscheid im Schulenbergwald in Hattingen war Erholungsheim und Tagungsstätte des Chemiekonzerns Evonik. Jetzt wechselt es den Besitzer.
Beim Namen des neuen Besitzers und natürlich auch beim Verkaufspreis für Haus Bredenscheid hält sich Evonik bedeckt. Nur so viel sagt Hans Kreul, Leiter der Standortkommunikation des Chemieunternehmens mit Sitz in Essen: „Die Verhandlungen stehen kurz vor dem Abschluss.“ Gut möglich, dass die idyllische Immobilie in den nächsten Wochen schon den Eigentümer wechselt.
So lange bleibt offen, welche Verwendung der neue Besitzer für das alte Haus Bredenscheid vorgesehen hat. Seit vielen Monaten schon wird das Gebäude auf Immobilienseiten im Internet angeboten. Das „exklusive ländliche Anwesen im Ballungsraum Rhein-Ruhr“ verfügt über 28 Zimmer mit einer Gesamtwohnfläche von 1369 Quadratmetern.
Als Kaufpreis hat Evonik 2,8 Millionen Euro aufgerufen
Das ebenso repräsentative wie denkmalgeschützte Haus liegt recht abgelegen im Schulenbergwald auf einem riesigen Grundstück von 265.758 Quadratmetern. Als Kaufpreis hat Evonik 2,8 Millionen Euro aufgerufen.
1,75 Goldmark pro Übernachtung – gestaffelt nach Einkommen – zahlten die ersten Gäste, die 1909 in Haus Bredenscheid Urlaub machten. Da hatte Karl Goldschmidt das Anwesen als Erholungsheim für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gekauft und hergerichtet.
Pensions- und Betriebskrankenkasse gegründet
Der Sohn des Firmengründers Theodor Goldschmidt, der die „Chemische Fabrik“ 1847 in Berlin gegründet hatte, etablierte am Anfang des 20. Jahrhunderts weitere soziale Innovationen. Er gründete eine Pensions- und Betriebskrankenkasse und führte fortschrittliche Urlaubsregelungen ein.
Hattinger Denkmäler und ihre Geschichten
Die Stadt Hattingen ist bekannt für ihre gut erhaltene Altstadt mit ihren zahlreichen Fachwerkhäusern. Doch auch außerhalb des historischen Stadtkerns finden sich zahlreiche denkmalgeschützte Häuser: 317 Baudenkmäler sind offiziell eingetragen, über 70 haben Sabine Kruse und Sabine Weidemann besucht.In ihrem Buch erzählen sie von den Besuchen in den Häusern und von den Begegnungen mit deren Bewohnern. Ihre Texte berichten von zufällig hinter einem Schrank entdeckten Räumen, von Falltüren und schmalen Stiegen, von doppelten Hausnummern und allerlei mehr Kuriositäten – und lassen so die Geschichte(n) der Gebäude lebendig werden. Ein Großteil der erfolgreichen WAZ-Serie „Hattinger Denkmäler“ ist in diesem Buch gesammelt enthalten und lädt ein zum Schmökern und Entdecken.Das Buch ist im Klartext Verlag erschienen und kostet 18,95 Euro. ISBN: 978-3-8375-1803-0.
„Im Gegenzug erwartete er allerdings auch von den Mitarbeitern, dass sie sich von gewerkschaftlichen Aktivitäten und der Sozialdemokratie fernhielten“, hat Evonik Industries, das aus der einstigen Golfschmidt AG hervorging, in der Unternehmenschronik notiert.
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„Für die damalige Zeit war das Erholungsheim im Grünen luxuriös ausgestattet und sollte so motivierend wirken und die Arbeitsmoral steigern. Übrigens obwohl es noch jahrelang lediglich einen großen Gemeinschafts-Waschraum gab“, schreibt WAZ-Redakteurin Sabine Weidemann in dem 2017 erschienenen Buch „Hattinger Denkmäler und ihre Geschichten“.
Zufluchtsort für evangelische Waisen
Darin erfährt man auch, dass es im Zweiten Weltkrieg zunächst vorbei war mit dem Urlaub im Hattinger Wald. Nach einem schweren Bombenangriff auf Essen im Jahr 1943 benötigte die Stadt das Haus, um evangelische Waisen aus einem zerstörten Kinderheim unterzubringen. Um die 70 Kinder wohnten daraufhin in dem Fachwerkgebäude. Vorübergehend hat hier auch eine der bekanntesten Hattingerinnen gelebt – Marie-Luise Marjan.
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Und als Kinderheim spielt das Haus zudem in einem Roman eine Rolle. „Hitler and Mars Bars“ von Dianne Ascroft erzählt die Geschichte des Waisenjungen Erich, die in eben jenem Haus in Bredenscheid beginnt.
Urlaube im Ausland
Geschichten könne das Haus nun wirklich viele erzählen, sagt auch Hans Kreul von Evonik. In den 1960er-Jahren verlor der Standort als Urlaubsdomizil für Goldschmidt-Beschäftigte immer mehr an Bedeutung. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnten sich Urlaube im Ausland leisten. Haus Bredenscheid wurde nicht mehr gebucht“, erzählt Kreul.
Also baute man das Gebäude zum Zentrum für Seminare und Tagungen um. Diese Nutzung hielt sich, bis die Corona-Pandemie auch solche Veranstaltungen unmöglich machte. Seit eineinhalb Jahren steht Haus Bredenscheid leer. Welche Art von Leben dort nun wieder einzieht, wird sich in den nächsten Wochen entscheiden.