Gladbeck. Um den Etat der Stadt Gladbeck gab’s Streit, ein Links-Rechts-Bündnis sagte Ja. Die WAZ sprach mit SPD-Fraktionschef Wedekind, wie es weitergeht.

Seit einem Jahr arbeitet nun der neue Rat in Gladbeck ohne eine feste Mehrheit – besonders deutlich wurde dies bei den Haushaltsberatungen, bei denen es zuletzt – nach langer Zeit des Lobes über die neue Harmonie im Rat – ordentlich Streit gab. Der Etat wurde in der Folge im Vergleich auch nur mit knapper Mehrheit und durch ein nie dagewesenes Links-Rechts-Bündnis verabschiedet. Die WAZ sprach mit Wolfgang Wedekind, dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion – der nach wie vor größten Fraktion im Rat.

Herr Wedekind, sind Sie trotz der knappen Mehrheit zufrieden mit dem verabschiedeten Etat?

Wedekind: Ja, das sind wir, auch wenn wir uns eine stärkere Unterstützung gewünscht hätten. Aber der städtische Haushalt 2022 ist eine ausgewogene Mischung aus Finanz-, Personal- und Entwicklungsverantwortung für die Zukunft unserer Stadt. Die Mehrheit, die sich gefunden hat, ist erstaunlich. Aber wichtig ist, dass es sie gibt. Ohne Etat könnte die Stadt ab Januar nicht mehr agieren.

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Wedekind: Die CDU lieferte keinerlei Begründung für ihre Haushaltsforderungen

Wolfgang Wedekind, Vorsitzender der SPD-Ratsfraktion, im Gespräch mit der WAZ.
Wolfgang Wedekind, Vorsitzender der SPD-Ratsfraktion, im Gespräch mit der WAZ. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Was sagen Sie zu der Kritik von CDU und Grünen und ihr Nein zum Etat?

Beide Fraktionen haben keinerlei konkrete Änderungen zum Haushalt gestellt. Während die Grünen nur ihr allgemeines Unbehagen zur Finanzlage geäußert haben, hat die CDU-Fraktion keinerlei Begründungen oder Zahlen geliefert, wie denn der Haushalt aussehen könnte. Außerdem finde ich die Kritik der Grünen ungerecht, wenn man bedenkt, dass sie in 21 der vergangenen 26 Jahre mit in der Stadtregierung saßen. Zudem ist unstrittig, dass die Finanzmisere nicht parteipolitisch verursacht wurde. Die hohen Soziallasten und gesetzlichen Vorgaben von Bund und Land werden unzureichend ausgeglichen. Das überfordert die Stadt seit vielen Jahren.

Dennoch: Wäre angesichts von 8,6 Millionen Euro neuen Corona-Schulden nicht ein Zeichen der Sparsamkeit nötig gewesen?

Der Eindruck, es würde nicht gespart, ist falsch. Die Stadt hat in den zurückliegenden Jahren 150 Millionen Euro gespart. Ja, die coronabedingten Schäden werden und könnten auch nicht von der Stadt allein ausgeglichen werden, aber der Weg über die Sonderschulden ist gangbar, der gibt in einem bescheidenen Umfang einen Spielraum, um auch zukünftig in der Lage zu sein, die Aufgaben der Stadt zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger erfüllen zu können. Wir müssen alle Kräfte in der Stadt bündeln, um diesen schmalen Grat zwischen Haushaltskonsolidierung und sinnvollen Zukunftsinvestitionen zu gehen.

„110.000 Überstunden: Die Mitarbeitenden der Verwaltung gehen auf dem Zahnfleisch“

Der Stadtrat hat bei seiner Sitzung in der Stadthalle (hier ein Foto vom vergangenen Jahr) mit den Stimmen von SPD, FDP, Linken, ABD und eines AfD-Ratsherrn den Etat 2022 beschlossen.
Der Stadtrat hat bei seiner Sitzung in der Stadthalle (hier ein Foto vom vergangenen Jahr) mit den Stimmen von SPD, FDP, Linken, ABD und eines AfD-Ratsherrn den Etat 2022 beschlossen. © Unbekannt | Stadt Gladbeck

Aber sind nicht netto 20 zusätzliche Jobs im Stellenplan zu üppig?

Angesichts von mehr als 110.000 Überstunden Ende 2020 wird klar, dass die Mitarbeitenden der Verwaltung auf dem Zahnfleisch gehen. Die Vielfalt der Aufgaben, insbesondere auch viele neue Projekte, die entscheidend für die Zukunftsfähigkeit der Stadt sind, machen es dringend notwendig, Stellen neu zu schaffen. Auch die von der Politik in Form von – zugegeben – häufigeren Prüfaufträgen geforderten Mehrleistungen für eine lebenswertere Stadt machen eine gute Personalausstattung notwendig. Wir gehen jedenfalls den Irrweg des Kaputtsparens nicht mit.

Sehen Sie Chancen, dass der neue Bundeskanzler Scholz sein Versprechen aus Wahlkampfzeiten hält, sich um die Altschulden der Kommunen zu kümmern?

Ich meine, die Ampel steht da auf grün: Mit Olaf Scholz werden wir endlich zu einer Lösung kommen. Aber zum Altschuldenschnitt gehört auch unbedingt eine Neuordnung der Finanzströme, damit wir nicht wieder strukturell bedingt neue Schulden machen müssen.

SPD-Fraktionschef: Politische Vielfalt ist die Triebfeder für Fortschritt

Gibt es noch Gemeinsamkeiten mit den Grünen oder wird das „Regieren“ mit bunten Mehrheiten zukunftsfähig?

Ich sehe noch Chancen mit den Grünen, da es durchaus Schnittmengen gibt. Andererseits ist der Bürgerwille vielfältiger geworden, was sich im Rat durch die vielen Parteien und Fraktionen zeigt. So gesehen haben wir als Politik den Arbeitsauftrag, diese bunteren und vielfältigeren Interessen zu berücksichtigen. Dieses Regieren ist zeitaufwendiger zu organisieren, da liegt aber auch eine Chance. Ich bin der festen Überzeugung, dass bei einem respektvollen Umgang und gegenseitigem Zuhören vielfach bessere Lösungen herauskommen, als dass bei einer fest gefügten „Herrschaftsmehrheit“ der Fall ist.

Erfordert das aber nicht zu viele Kompromisse oder ein Bedienen von Spezial- oder Eigeninteressen?

Man muss beachten: Das Wählerverhalten hat sich geändert und auch die so genannte „bürgerliche Mitte“ ist wesentlich differenzierter geworden, was das politische Meinungsbild angeht. Wenn es um Fortschritt geht, so war Vielfalt schon immer eine entscheidende Triebfeder dafür. Das sollten wir auch für unsere Stadt Gladbeck nutzen.

Keine Dissonanzen mehr

Die Dissonanzen in der SPD-Fraktion der vergangenen Monate hält Fraktionschef Wolfgang Wedekind für inzwischen ausgeräumt. „Das war eine Phase, als es um die Neuaufstellung der Fraktion ging“, sagte der 59-jährige Sozialdemokrat im WAZ-Gespräch.Inhaltlich-politische Flügelkämpfe habe es ohnehin nicht gegeben. Die strukturellen Probleme im ersten Jahr der neuen Fraktion seien aber mittlerweile „durch inhaltliche Arbeit ausgeräumt“. Inzwischen gebe es in der Fraktion große Mehrheiten oder sogar einstimmige Beschlüsse.