Gelsenkirchen-Horst. „Seit ich herkomme, fühle ich mich gerettet“: Diese Gelsenkirchener Einrichtung muss immer öfter schließen. Welche Menschen das besonders trifft.
Er klingt ein bisschen nach heiler Welt, der Name „Regenbogenhaus“, nach Kindheits-Idylle in Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt. Doch unbeschwert geht‘s selten zu im Alltag der bedürftigen Besucherinnen und Besucher. Sie erleben Not in vielerlei Hinsicht. Und da bekommt die Bezeichnung der Horster Anlaufstelle dann doch ihren Sinn. Sie bietet ein frisch zubereitetes Mittagessen, Gemeinschaft, Gespräche, damit durchaus Hoffnung, und das 365 Tage im Jahr. Jedenfalls bislang. Seit einiger Zeit jedoch muss die Einrichtung immer mal wieder schließen, ausgerechnet zum 30. Jubiläum.
„Wir haben nicht mehr genügend Ehrenamtliche, um den Betrieb wirklich jeden Tag sicherstellen zu können“, bedauert Heike Lorenz, Leiterin der Beratenden Dienste im Diakoniewerk Gelsenkirchen und Wattenscheid als neuem Träger; der bisherige Trägerverein wird aktuell aufgelöst, weil sich kein Vorsitzender mehr gefunden habe. Besonders am Wochenende werde der Betrieb schwierig, weil die Helfenden dann Zeit für ihre Familien bräuchten. „Also kommt es vor, dass wir an zwei Wochenenden im Monat komplett schließen müssen, denn die hauptamtliche Kraft mit einem Stellenumfang von 25 Stunden reicht nicht aus“, berichtet Günter Scheidler, bis 2021 selbst Leiter des „Regenbogenhauses“ und seither als einer von jetzt 16 Ehrenamtlichen vor Ort aktiv.
Schließung des Gelsenkirchener „Regenbogenhauses“ trifft besonders Wohnungslose hart
Besonders hart trifft dies die Wohnungslosen unter den Besuchenden – darunter auch Seniorinnen und Senioren mit knapper Rente – aber nicht nur sie. Viele sind froh um jede Minute, die sie während der Öffnungszeiten von 9 bis 14 Uhr in den Souterrain-Räumen an der Straße Auf dem Schollbruch 47c verbringen können. „Ich komme fast jeden Tag hierher. Hier kann ich mich austauschen mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht haben“, sagt etwa Holger (47).
Tablettensüchtig und psychisch krank, lange wohnungslos, hat er mit Hilfe der „Regenbogenhaus“-Verantwortlichen vor rund einem Jahr eine Wohnung in Beckhausen gefunden. Das Frühstück und Mittagessen aber, der Kaffee zum Aufwärmen, das Karten-Spielen oder Filme-Gucken in der Einrichtung, all diese Lichtblicke in seinem früheren Leben als Nichtsesshafter, die möchte er nicht mehr missen – auch wenn er Wäschekammer, Dusche, Waschmaschine und Trockner nun nicht mehr in Anspruch zu nehmen braucht. „Seitdem ich hierherkomme, fühle ich mich irgendwie gerettet. Die Ehrenamtlichen sind so liebenswürdig, sie bringen sich mit so viel Herzblut ein“, schwärmt er mit einem breiten Lächeln, und seine blauen Augen leuchten.
Stammgast von Gelsenkirchener Einrichtung schwärmt von „richtig guter Hausmannskost“

Auch René (43), ebenfalls schon lange Stammgast, fühlt sich sehr wohl hier. „Ich habe bis auf einen Bruder keine eigene Familie mehr und wäre sonst viel allein in meiner Wohnung. Hier habe ich immer jemanden zum Reden. Außerdem schmeckt das Essen toll. Richtig gute Hausmannskost“, so der Horster, der seine Ausbildung zum Metallbauer einst abgebrochen und danach in vielen verschiedenen Jobs gearbeitet hat, bis er herzkrank geworden sei.
Dass er zur Not im „Regenbogenhaus“ unter den Verantwortlichen immer einen Ansprechpartner für kleine und große Sorgen fände, beruhigt ihn. „Dafür bin ich sehr dankbar, denn auf der Straße sind oft unehrliche Leute unterwegs, richtige Ratten. Die Ehrenamtlichen hier aber sind richtig gute Jungs!“
Gelsenkirchener Ehrenamtliche will von ihrem Glück etwas „zurückgeben“

Dass er damit auch die vielen Frauen unter den Helfenden meint, ist klar. Gabriela Schuppiens etwa, die an diesem Morgen in einem riesigen Topf in der Küche Bigosch kocht, einen deftigen polnischen Eintopf mit Fleisch, Weißkohl und Sauerkraut. Seit sechs Jahren engagiert sich die Horsterin jeden Dienstag für einige Stunden vor Ort, „um von dem Glück, das ich habe, etwas zurückzugeben“, wie sie sagt.
„Ich habe ein Dach über dem Kopf, eine Familie, ich habe so viel, was andere nicht haben. Und ich bekomme hier so viel zurück, etwa wenn ich begrüßt werde mit ,Guten Morgen, lieber Engel!‘ Da macht das Ganze einfach Spaß.“
Gekocht wird, was an Lebensmittel-Spenden eingegangen ist
Für 15 bis 30 oder sogar mehr Hungrige zu kochen, musste die 60-Jährige freilich erst lernen. „Die ersten zwei Jahre habe ich nur als Küchenhilfe gearbeitet, viel geschnippelt und geschält. Dabei habe ich mir von den anderen viel abgeguckt, sodass ich mich dann auch ans Zubereiten gewagt habe.“ Offenbar mit Erfolg, denn der rötlich eingefärbte Bigosch, für den die Besucher einen Euro zahlen, er duftet köstlich, und als die ersten Gäste den Löffel zum Mund führen, gehen einige Daumen begeistert nach oben.
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Leberkäse, Hähnchen mit Reis, Erbsensuppe, Spaghetti Bolognese: Was auf den Tisch kommt, darüber entscheiden die Vorräte aus gespendeten Lebensmitteln; manchmal wird auch improvisiert. „Wir beziehen den Großteil von der Tafel, einiges stammt auch vom Verein ,Warm durch die Nacht‘. Und einmal im Monat spendet ,Schalke hilft‘ uns ein Essen, das von einem Caterer angeliefert wird. Dann ist es rappelvoll hier, auch weil hin und wieder bekanntere Schalker vorbeischauen“, erzählt Heike Lorenz. Ein Schwätzchen mit Olaf Thon, dazu etwas Besonderes auf der Gabel: Das lassen sich nur wenige entgehen.
Ehrenamtliche sollten Not der Menschen aushalten können
Sie hofft, die Türen bald wieder an jedem Wochenende öffnen zu können. Acht Jahre selbst in der Obdachlosenhilfe tätig, weiß sie nur zu gut: Was der evangelische Pfarrer Ernst-Udo Metz als früherer Trägervereins-Vorsitzender formuliert hat („Das Haus gibt Halt, Hilfe und Hoffnung“), das gilt nach wie vor, zumal in Zeiten steigender Wohnungslosen-Zahlen und Altersarmut. Ihr ist aber auch klar: „Die Ehrenamtlichen schauen der Not der Menschen direkt ins Gesicht. Sie müssen Krankheiten, auch psychische, Sucht, Not und Hilflosigkeit aushalten können. Denn manchmal können wir nur begleiten, die Situation aber nicht ändern.“ Nötig sei es mitunter auch, bei sich anbahnenden Konflikten durchgreifen zu können. „Hart, aber herzlich reagieren, vor allen Dingen auf Augenhöhe“, nennt das Scheidler.
Wer aber offen sei für andere und bereit, in der Küche mit anzupacken oder im Essens- und Aufenthaltsraum mit den Besuchern ins Gespräch zu kommen, der bekomme viel zurück. Der Name „Regenbogenhaus“, er soll schließlich Programm sein auch für die Helfenden selbst.
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