Gelsenkirchen. Es wird eng in Gelsenkirchener Notunterkünften. Trotzdem hat eine Dezernentin die Anmietung einer neuen Einrichtung gestoppt. Das ist der Grund.

Kein eigenes Bett, kein eigenes Bad, überhaupt kein privater Rückzugsraum: Immer mehr Menschen in Gelsenkirchen sind wohnungslos. Ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren dramatisch gestiegen. Seit 2019 hat sich etwa die Belegung der Männer-Einrichtungen Caub- und Heistraße im Jahresdurchschnitt auf 75 verdreifacht. In der Folge wird der Platz in den städtischen Unterkünften allmählich knapp. Eine Verwaltungs-Initiative zur Eröffnung eines neuen Hauses in Bismarck hat Sozialdezernentin Andrea Henze allerdings vor Kurzem gestoppt. Das ist der Grund.

Der Tagesordnungspunkt „Anmietung des Mietobjektes zum Betrieb einer Obdachlosenunterkunft“ stand im Sommer im nichtöffentlichen Teil des Liegenschaftsausschusses. Wie Recherchen der Redaktion ergaben, handelt es sich dabei um ein leerstehendes Objekt am Brockskamp, dessen Eigentümer die Gelsenkirchener Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft mbH (GGW) ist und das vor etlichen Jahren schon einmal als Einrichtung für Wohnungslose genutzt wurde. Angedacht war, dort (möglichst barrierearm) bis zu 48 Plätze für Männer zur Verfügung zu stellen.

Hilfe für Menschen, die etwa plötzlich vom Partner vor die Tür gesetzt werden

Hintergrund ist der wachsende Bedarf an Unterkünften, wie eine Statistik aus dem Referat Soziales belegt: Waren es 2017 im Jahresdurchschnitt noch 100 Wohnungslose, die die Verwaltung unterbringen musste, so kletterte die Zahl recht kontinuierlich (2000: 122; 2022: 133) auf den bisherigen Höchstwert von 187 Personen in 2023. Und auch im laufenden Jahr zeichnet sich ein Anstieg ab: Bis September hat die Verwaltung bereits 183 Wohnungslose gezählt, darunter nicht nur alleinstehende Frauen und Männer, sondern auch Familien mit Kindern.

„Das sind etwa Personen, die von ihrem Partner vor die Tür gesetzt, Opfer von Bränden wurden oder wegen einer Räumungsklage ihre Wohnungen verlassen mussten“, erläutert Dietmar Klobuschinski, Leiter der Abteilung Flüchtlinge und Wohnungslose. Für Flüchtlinge stünden andere Einrichtungen zur Verfügung.

Die Zahl der wohnungslosen Männer ist in Gelsenkirchen rasant angestiegen

„Besonders auffällig ist die Entwicklung bei obdachlosen Männern“, erläutert Sozialdezernentin Henze. Während sich die Zahl der Belegungen bei diesen von 2019 an verdreifacht habe, lasse sich bei Frauen ein (geringerer) Anstieg von acht auf 13 Belegungen in der Einrichtung am Nordring feststellen. Allerdings: Bis September 2024 sind es bereits 17 Frauen, die im Jahresdurchschnitt untergebracht werden mussten.

Dass die Belegungszahlen in den städtischen Notunterkünften zwischen 2021 (121) und 2023 (187) so sprunghaft angestiegen ist, führt Klobuschinski darauf zurück, „dass Vermieter während der Coronakrise die Füße noch still gehalten haben, wenn Miet- und Energieschulden aufgelaufen sind; nach dem Ende der Pandemie war deren Geduld jedoch zu Ende.“ Auch seien vermehrt Wohnungslose von ihren Freunden vor die Tür gesetzt worden, weil die Mietnebenkosten in der Energiekrise so explodiert sind.

Aktuell sind die Gelsenkirchener Notunterkünfte zu 77 Prozent ausgelastet - Tendenz steigend

Insgesamt betreibt die Stadt vier Gemeinschaftsunterkünfte (Nordring 55, Caubstraße 28, Heistraße 7 und 9) und nutzt zwölf Wohnhäuser mit insgesamt 30 Einheiten für Menschen, die von jetzt auf gleich kein Dach mehr über dem Kopf haben. Für alleinstehende Frauen stehen 28 Plätze zur Verfügung (Nordring), für Männer 72 (Caubstraße, Heistraße 7). Im Haus Heistraße 9 können bis zu 40 Personen untergebracht werden. Gesamt-Auslastung am 9. Oktober: 77 Prozent.

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Obwohl also aktuell noch Plätze frei sind, wird es nach vielen Jahren sinkender Wohnungslosen-Zahlen wieder enger in den Unterkünften, zumal in Herbst und Winter. Zwar habe man bislang auch in Spitzenzeiten immer noch eine Unterbringung organisieren können („wir weisen Menschen in Wohnungsnot niemals ab“), doch um sich für die Zukunft zu wappnen, ist die Idee entstanden, die frühere Einrichtung am Brockkamp erneut anzumieten und wiederzubeleben.

Gelsenkirchener Sozialdezernentin will erst Wohnungslosen-Arbeit der Stadt überprüfen lassen

Warum Sozialdezernentin Henze die Initiative dann gestoppt hat? „Weil wir nicht den zweiten Schritt vor dem ersten machen und schon Fakten schaffen wollen“, erklärt sie im Gespräch mit der Redaktion. „Wir möchten Wohnungslosigkeit nicht nur unter dem Aspekt der Unterbringung in einer Notsituation sehen, sondern das Thema ganzheitlich angehen.“ Konkret geht es ihr beim „ersten Schritt“ darum, die Arbeit der Zentralen Fachstelle für Wohnungsnotfälle (ZFW) zunächst von außen begutachten zu lassen, um dann gegebenenfalls Nachjustierungen oder Kursänderungen vorzunehmen.

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Als Kooperationspartner hat sich die Verwaltung dafür den Verein „Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung“ (GISS) ins Boot geholt. Dieser soll Stärken und Schwächen der ZFW analysieren und dabei die Passgenauigkeit der Unterbringungs-, Beratungs- und Unterstützungsstrukturen überprüfen. „Ziel ist es, die Arbeit zu optimieren, die Netzwerkarbeit auszubauen und zielgruppenspezifische Hilfsangebote zu integrieren“, so Klobuschinski.

Große Wohnungslosen-Konferenz soll alle Gelsenkirchener Akteure an einen Tisch holen

Im Sommer 2025 sollen erste Ergebnisse vorliegen. Dann will Henze auch unter dem Motto „Gut Bedacht in Gelsenkirchen“ eine Wohnungslosen-Konferenz mit sämtlichen Akteuren und Trägern veranstalten. Mit dabei sein sollen etwa die Vereine „Warm durch die Nacht“, „Arzt Mobil“, das Sozialwerk St. Georg, Bethel.regional, die Drogenberatung, die Dr. Helmut-Wagner-Stiftung („Housing First“) die Beratungsstellen Weißes Haus, Wilhelm-Sternemann-Haus sowie Regenbogenhaus, GGW und Caritasverband, der beim Projekt „Probewohnen“ oder der Landesinitiative „Endlich ein Zuhause“ mit der Stadt kooperiert, sowie die Pfarrei St. Urbanus, auf deren Hasseler Grundstück gerade Tiny-Houses entstehen. Erst danach sollen Entscheidungen über die mögliche Eröffnung weiterer Einrichtungen getroffen werden - wie dem Haus am Brockskamp.

Resultat von GISS-Gutachten und Konferenz könnten aber ebenso neue Kooperationen oder andere Schwerpunktsetzungen sein, so Henze. „Wir wollen vom Menschen und seinem Bedarf her denken. Erst danach geht‘s an die Strukturen.“

Wohnungslose auf der Suche nach einer Unterkunft können sich bei der Stadt melden. Telefon für Männer: 0209 86157 oder 8007432 (montags bis freitags, 15.30 bis 22 Uhr). Telefon für Frauen: 0209 169-2150 (montags bis freitags), 0209 86157 (samstags/sonntags)