Gelsenkirchen. Die AfD Gelsenkirchen will ein diszipliniertes Bild abgeben. Interne Dokumente zeigen aber, dass es zwischen wichtigen Mitgliedern heftig knallt.

Ein recht harmonisches Bild hat die AfD Gelsenkirchen auf ihrem Parteitag am 4. Dezember nach außen gegeben: Der 68-jährige Friedhelm Rikowski, Wunsch-Bundestagskandidat der Parteichefin Enxhi Seli-Zacharias, bekam mit 90-prozentiger Zustimmung ein Top-Ergebnis – nicht unbedingt ein Zeichen für großen Dissens in der Rechtsaußen-Partei. Nur wenige Tage zuvor allerdings hatte man die höchste Eskalationsstufe eines harten parteiinternen Konfliktes erreicht.

Sogar ein Sonderparteitag musste Ende November stattfinden. Sein Zweck: Die „Befriedung des Kreisvorstandes und der Ratsfraktion“. Es kriselt also zwischen wichtigen Köpfen aus Fraktion und Parteivorstand in Gelsenkirchen, wie interne Dokumente zeigen, die der WAZ vorliegen.

62 AfD-Mitglieder fordern Parteiausschluss des Gelsenkirchener Vize-Fraktionsvorsitzenden

Thomas Irmer, einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden in Gelsenkirchen, hatte die erforderlichen Unterschriften für den von ihm beantragten Sonderparteitag zusammenbekommen. Auf dem Parteitag wollte Irmer angebliche Unterstellungen, Beleidigungen und Verleumdungen aus dem Weg räumen, die aus seiner Sicht seit Frühling 2024 zu Unrecht gegen ihn erhoben worden sein sollen. Dahinter steckt auch die strittige Bewertung einer angeblichen 50-Euro-Zahlung.

Ihre Unterstützung für Irmers Antrag gegeben haben 19 weitere AfD-Mitglieder, darunter wichtige Politiker aus der Fraktion, etwa der Vorsitzende Jan Preuß, sein Vater Hartmut Preuß und der verkehrs- und kulturpolitische Sprecher der Fraktion, Mathias Pasdziorek.

Thomas Irmer
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD-Ratsfraktion in Gelsenkirchen, Thomas Irmer, steht im Mittelpunkt der parteiinternen Streitigkeiten. © AfD Gelsenkirchen

Auf der anderen Seite stehen 62 Parteimitglieder, die den Parteiausschluss von Irmer fordern. In einem Antrag, der mit den Worten „Wir wollen keine Brand- und Unruhestifter in der AfD Gelsenkirchen“ betitelt ist, wird Irmer vorgeworfen, die Partei spalten zu wollen und „die Reputation und das Ansehen des erfolgreichen und wachsenden Kreisverbandes Gelsenkirchen beschädigen zu wollen.“

Die Rede ist von angeblichen „Intrigen“, von „Verleumdungen“ und „boshaften Aktionen in diversen Whatsapp-Gruppen“. Die Vorstandsmitglieder vom Kreisverband selbst halten sich zwar zurück und haben den Antrag nicht unterschrieben, viele ihrer Lebensgefährten oder andere Mitglieder aus ihren Familien hingegen beteiligen sich mit ihrer Signatur.

Schmerzensgeld gefordert: AfD-Fraktionsvize schickt Anwälte auf Vorstandsmitglieder

Schließlich sind Mitglieder im Kreisvorstand Protagonisten in dem Konflikt, gegen zwei Vorstandsmitglieder geht Irmer sogar zivilrechtlich vor. Einmal ist es Beisitzer Randolf Dose, von dem Irmer über seinen Anwalt Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von knapp 600 Euro fordert, weil er ihn – teils bis unter die Gürtellinie – beleidigt haben soll. Aber auch Friedhelm Rikowski, Schatzmeister und frisch gewählter Bundestagskandidat für die Gelsenkirchener AfD, erhielt ein Schreiben von Irmers Anwalt. Er soll – ebenfalls wegen angeblich beleidigender Äußerungen – Schadensersatz und Schmerzensgeld an Irmer überweisen. Beide Vorstandsmitglieder weisen die Vorwürfe von sich.

Rechtliche Schritte zulasten Irmers wurden wegen des 50-Euro-Betrags eingeleitet, um den es auch auf dem Sonderparteitag ging. Dabei dreht es sich unter anderem um die Frage, ob es sich bei den 50 Euro um eine Spende an die AfD gehalten hat oder ob sie als Zuwendung für eine Gruppe namens „Brigade Nachbarschaftshilfe“ gedacht war. Irmer wird unter anderem auch vorgeworfen, abfällige Äußerungen über Enxhi Seli-Zacharias im Hinblick auf ihre albanische Herkunft getätigt zu haben.

Irmers Unzufriedenheit über Seli-Zacharias‘ Kreisverband hingegen drückt sich auch in einem Schreiben aus, in dem er um Verschiebung des von ihm selbst beantragten Sonderparteitages bittet. Für den Parteitag sei ein Datum gewählt worden, an dem er nachweislich aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen könne. Für ihn ist das ein Zeichen dafür, dass ihm Mitglieder des Kreisvorstandes „vorsätzlich und zutiefst undemokratisch mein Rederrecht verweigern wollen“, wie es in einem Schreiben heißt.

Sonderparteitag der AfD Gelsenkirchen nimmt Antrag auf Parteiausschlussverfahren an

Stattgefunden hat der Sonderparteitag unter Ausschluss der Öffentlichkeit dennoch am 27. November. Wie die Redaktion erfahren konnte, wurde dieser nur von einem Teil der Mitglieder besucht, die Irmers Antrag für den Parteitag ursprünglich unterstützt hatten, auch Irmer selbst nahm – wie angekündigt – nicht teil. Die Aussprache über die angeblichen Verleumdungen, die – je nach Sichtweise – entweder Irmer als Opfer oder als Täter zeigen, verblieb trotzdem auf der Tagesordnung. Irmers wenig anwesende Unterstützer sollen den Parteitag dann größtenteils verlassen haben.

Angenommen wurde dann auch der Antrag auf Irmers Parteiausschluss. Der Parteivorstand um Seli-Zacharias muss sich nun mit ihm befassen. Entsprechende Verfahren gelten als kompliziert und langwierig.

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Die WAZ hat sowohl den Kreisvorstand als auch Thomas Irmer und Fraktionschef Jan Preuß um Stellungnahmen gebeten. Unsere Redaktion wollte unter anderem wissen, wie jeweils das aktuelle Verhältnis zwischen Fraktion und Kreisvorstand bewertet wird, was die Betroffenen zu den jeweiligen Vorwürfen sagen und welche Konsequenzen sie persönlich daraus ziehen.

Stellungnahme: AfD-Kreisverband und Fraktion wollen weiter „gedeihlich zusammenarbeiten“

Auf die einzelnen Fragen eingegangen sind die Politiker nicht. Erhalten hat die Redaktion stattdessen eine kurze gemeinsame Erklärung von Enxhi Seli-Zacharias, Randolf Dose, Friedhelm Rikowski, Jan Preuß und Thomas Irmer. Wörtlich heißt es darin: „Sie haben uns Fragen zur Bewertung partei-interner Vorgänge und den persönlichen Verhältnissen zueinander gestellt. Grundsätzlich kommentieren wir gegenüber der Presse keine solchen Vorgänge oder Inhalte von Parteitagen – mit Ausnahme der Ergebnisse von Vorstandswahlen.“ Wie in jeder Partei gebe es zwischen den Mitgliedern hin und wieder Differenzen. Man wolle jedoch weiterhin „professionell und gedeihlich“ zusammenarbeiten.

Die Eskalation des Partei-Streites kommt für den erfolgsverwöhnten AfD Kreisverband ungelegen: Nicht nur steigt bald die heiße Phase für den Bundestagswahlkampf, Anfang 2025 soll auch die AfD-Liste für die Kommunalwahl aufgestellt werden. Noch ist nicht bekannt, wer für die AfD als OB-Kandidat antreten will.

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