Gelsenkirchen. Vor 25 Jahren gewann ein CDU-Kandidat erst- und bisher letztmals die Oberbürgermeisterwahl in Gelsenkirchen. Wittke: „Das hat die SPD verändert.“
„Gelsenkirchen hat seit gestern Abend, 18.58 Uhr, einen neuen Oberbürgermeister: Oliver Wittke (33) schaffte die Sensation, zum ersten Mal stellt die CDU den ersten Bürger der Stadt.“ So titelte die WAZ am 27. September 1999, nach einem bitteren Wahlabend für die SPD überall im Land und einem fast flächendeckenden Sieg der CDU. Dabei war das Ergebnis der Oberbürgermeister-Stichwahl 1999 in Gelsenkirchen denkbar knapp: Am Ende hatte der CDU-Kandidat mit 123 Stimmen die Nase vorn: 50 zu 49,9 Prozent ging das Duell zwischen Wittke und Dr. Klaus Haertel (SPD) aus.
Was Oliver Wittke vor 25 Jahren gelungen ist, hat seither kein Christdemokrat in Gelsenkirchen mehr geschafft: „Aber die Arroganz der Macht ist seither gebrochen. Mein Wahlsieg hat die Sozialdemokratie in der Stadt nachhaltig verändert“, ist sich Wittke sicher, der sich im WAZ-Gespräch ein Vierteljahrhundert nach der historischen Kommunalwahl gerne an jenen Abend erinnert.
Oliver Wittke: „Die Arroganz der Macht der SPD gebrochen“
„Ich weiß noch gut, dass es eine Weile gedauert hat, bis das Ergebnis der letzten Wahlkreise bekanntgegeben wurde“, sagt der heutige VRR-Chef, als wolle er andeuten, dass im Hintergrund mancher einen Moment gebraucht hätte, um erstmal zu verdauen, dass tatsächlich der CDU-Mann die Wahl gewonnen hatte.
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Dabei sahen die Prognosen auch im Vorfeld der Wahl nicht besonders günstig aus für die SPD. Die Partei regierte seit 1998 im Bund unter Kanzler Gerhard Schröder. In der Anfangszeit gab es bereits einige unpopuläre Entscheidungen, die Rentenreform und die Steuerpolitik kamen vor allem in der traditionellen Wählerschaft der SPD schlecht an. Auch auf Landesebene stand die NRW-SPD unter Ministerpräsident Wolfgang Clement zunehmend in der Kritik. Clement setzte auf eine wirtschaftsliberale Politik, die Sparmaßnahmen und Reformen beinhaltete, was ebenfalls bei vielen Wählern auf Ablehnung stieß, besonders in den traditionellen Arbeiterregionen.
Unter dem bundes- und landespolitischen Druck gelang es dem jungen Oliver Wittke in Gelsenkirchen Geschichte zu schreiben. Eine Geschichte, die sich, wie der Ex-OB und frühere Minister heute erinnert, schon bei der ersten Sitzung des Verwaltungsvorstandes fortschrieb: „Außer mir saßen dort ausschließlich Sozialdemokraten, Dezernenten, Amtsleiter, Geschäftsführer städtischer Unternehmen - alle hatten ein SPD-Parteibuch und plötzlich siezten sich alle. Diese Stadtverwaltung war gleichgeschaltet, von der Putzfrau bis zum Oberbürgermeister hatten alle das rote Parteibuch. Die SPD hatte diese Stadt entmündigt. Das haben wir verändert, indem diese Stadt bunter geworden ist. Das hat ihr gutgetan“, sagt Wittke.
Und so berichtete unsere Redaktion damals: „Abwarten, heißt die Devise im Hans-Sachs-Haus. Der 1. Oktober, Tag des Amtsantritts von Oliver Wittke, wird mit Spannung erwartet. Die Mitarbeiter wissen nicht, wo sie dran sind, sagt Personalratsvorsitzender Jürgen Micheel, der so schnell wie möglich das Gespräch mit Wittke suchen, den Neuling in der Kommunalverwaltung beschnuppern will.“
Oliver Wittke: „Das war wohl mein größter Fehler als Oberbürgermeister in Gelsenkirchen“
In den folgenden fünf Jahren seiner Amtszeit sei die möglicherweise größte Errungenschaft gewesen, dass sich das Miteinander der Parteien in Gelsenkirchen enorm verändert habe. Wo die SPD früher hochnäsig allein geherrscht habe, sei fortan ein ganz anderer Stil erwachsen, meint Wittke. Während der Christdemokrat rückblickend vor allem stolz darauf ist, „das bürgerschaftliche Engagement in der Stadt gestärkt zu haben oder etwa die Neue Synagoge auf den Weg gebracht und den Umbau des Ruhr Zoos zur Zoom Erlebniswelt forciert zu haben“, räumt er auch ein, dass der Umbau des Hans-Sachs-Hauses wohl sein „größter Fehler“ gewesen sei.
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Der ursprüngliche Plan war, das Rathaus denkmalgerecht zu sanieren. Man rechnete mit Kosten von 44 Millionen Euro, der damalige Oberbürgermeister Oliver Wittke plante eine Finanzierung über ein Miet-Rückmiet-Modell mit Public-Private-Partnership (PPP). Ein Plan, der scheiterte. Aus den kalkulierten 44 Millionen wurden in der extremsten Schätzung 143 Millionen Euro. 2005 zog der neu gewählte Rat mit dem neuen Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) die Reißleine und kündigte den PPP-Vertrag. „Bei Neubauten sind PPP-Modelle keine schlechte Alternative, bei so aufwändigen Sanierungen, wo man am Anfang nicht genau weiß, was alles auf einen zukommt, war das ein Fehler“, so Wittke heute.
Was die Bilanz Wittkes als Gelsenkirchens Oberbürgermeister angeht, so ging und geht die Wahrnehmung freilich weit auseinander, je nachdem, wen man fragt. So ist etwa aus einer Rede Frank Baranowskis vom 11. Mai 2004 folgendes dokumentiert: „Die SPD muss vor einer Leistungsbilanz der CDU-Stadtregierung keine Angst haben. Das ist nicht mehr als ein großes, leeres Blatt.“ Von den Wahlversprechen Wittkes aus dem Jahr 1999 sei nicht viel übrig geblieben. „Versprochen und gebrochen“, so Baranowskis Fazit.
Bei der CDU sieht man das naturgemäß anders und hofft, 2025 seit langer Zeit wieder den Oberbürgermeister in Gelsenkirchen stellen zu dürfen. Was die Bilanz der amtierenden Oberbürgermeisterin, Karin Welge, angeht, da klingt CDU-Parteichef Sascha Kurth allerdings ähnlich wie Baranowski seinerzeit.
Wittke: Hätte gerne noch mehr Zeit gehabt, um Gelsenkirchen voranzubringen
Oliver Wittke räumt ein, dass er gerne noch mehr Zeit gehabt hätte, um „Gelsenkirchen weiter voranzubringen“, der Politik blieb der Bueraner aber bekanntlich aber auch nach seiner Zeit als OB noch treu. Wittke wechselte in die Landespolitik und war von 2005 bis 2009 Minister für Bauen und Verkehr im Kabinett von Jürgen Rüttgers.
Im November 2008 wurde er in Meschede-Olpe innerorts mit 109 km/h geblitzt und musste seinen Führerschein für zwei Monate abgeben und ein Bußgeld entrichten. Das Vergehen Wittkes führte zu heftiger öffentlicher Kritik und Rücktrittsforderungen, die er zunächst ablehnte. Nachdem später bekannt wurde, dass Wittke bereits in seiner Zeit als Oberbürgermeister von Gelsenkirchen wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes auf der A2 bei Herten für einen Monat der Führerschein entzogen worden war, trat Wittke am 11. Februar 2009 vom Ministeramt zurück. Er erklärte, dass er seiner Vorbildfunktion nicht mehr gerecht werden könne.
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Seine politische Karriere vergleicht Wittke durchaus mit einer Achterbahnfahrt. Oft ganz oben, immer in Bewegung, aber auch mit rasanten Abstürzen: Der CDU-Politiker hat viel erreicht in Stadt, Land und Bund, war Oberbürgermeister, Abgeordneter, Landes-Minister – und zwischendurch immer mal wieder raus aus dem politischen Geschäft und beruflich aus Gelsenkirchen. Sein Lebensmittelpunkt hat er aber immer hier gehabt. Denn: „Abends bei unseren Freunden auf deren Bauernhof in Bülse zu sitzen, mit Blick über die Felder nach Gladbeck auf die untergehende Sonne, dazu ein Bier und eine Bratwurst. Das ist Heimat.“