Gelsenkirchen. Wie kann es besser laufen mit dem Spracherwerb bei Flüchtlingen und Migranten in Gelsenkirchen? Vielleicht so, wie es eine Influencerin vormacht.

Hausverbot hatte er in einem Supermarkt bekommen - aber warum nur? Ein Azubi, der noch nicht lange in Deutschland war und von Michael Mrowietz vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) betreut wurde, kam einmal aufgelöst zu ihm. Was hatte er nur falsch gemacht? Er habe doch nur wissen wollen, was die Öffnungszeiten des Ladens sind und deswegen mit der Kassiererin gesprochen. „Aber er fragte eben nicht: ,Wann schließt der Laden?‘, sondern: ,Wann du Feierabend?‘ Und die Dame dachte dann, er baggert sie an.“

Solche Missverständnisse gibt es in allen Sprachen. Aber könnte man sie reduzieren, wenn man anders an den Spracherwerb herangehen würde? Wenn man die ohnehin schwierige deutsche Sprache weniger verkopft vermitteln würde? Dass ganz andere Herangehensweisen notwendig wären, um Flüchtlingen und Migranten schneller Deutsch beizubringen, machten Experten beim Aktionstag Migrationsberatung im Limitless-Fitnessstudio in Gelsenkirchen-Buer jedenfalls sehr deutlich.

Deutsch lernen mit Begi Begi - „anfangs belächelt“, aber genau richtig?

„Die Teilnehmenden unserer Kurse sind teilweise überfordert, weil die Deutschlehrerin natürlich versucht, Deutsch zu vermitteln, so wie sie es gelernt hat“, schilderte Hans Ruschmann von der Awo-Tochter Rebeq, die im Emscher-Lippe-Kreis unter anderem Angebote für berufliche Qualifikation entwickelt. Eine ehemalige Kollegin, die in der Türkei Germanistik studierte und bei Rebeq Berufskraftfahrer sprachlich weitergebildet hatte, habe jedoch gezeigt, dass man auch auf eine ganz andere, weniger akademisierte Weise Deutsch vermitteln könne: „Begi Begi“ nennt sie sich auf Instagram und Youtube und vermittelt dort ihren hunderttausenden, vor allem türkischsprachigen Followern deutsche Alltagssprache über ganz einfache Sätze.

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„Ich habe das anfangs belächelt“, gab Ruschmann zu, „aber sie weiß, wie ihre Leute lernen! Das funktioniert, und das ist das Entscheidende daran.“ Man müsse im Sprachunterricht also „manches zulassen, was im ersten Moment problematisch erscheint“ und nicht den typisch deutschen Lerngewohnheiten entspreche.

Spracherwerb von Geflüchteten und Migranten: „niedrigschwelligeres Herangehen“ notwendig

In eine ähnliche Kerbe schlug Michael Niehaus, Teamleitung der Flüchtlingshilfe bei der Caritas. Miteinander in den Dialog zu treten, das komme in den offiziellen Sprachkursen durchaus zu kurz. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass eine Teilnehmerin einer unserer Sprachkurse eingesprungen ist als die Lehrerin nicht da war - und sie hat den Kurs dann komplett übernommen.“ Die Dame, selbst aus Syrien stammend, habe „über die Art und Weise, wie sie selbst Sprache gelernt hat, Inhalte weitergegeben.“ Niehaus beschrieb es als „viel niederschwelligeres Herangehen.“ Daran müsse man sich ein Beispiel nehmen und andere Zugänge zulassen.

Michael Niehaus (Caritas Gelsenkirchen): „Die Männer vergessen manchmal, dass sie auch eine Rolle spielen“
Michael Niehaus (Caritas Gelsenkirchen): „Die Männer vergessen manchmal, dass sie auch eine Rolle spielen“ © WAZ FotoPool | Thomas Goedde

Für Niehaus‘ DRK-Amtskollegen Michal Mrowietz bedeutet das, „die Akzente beim Spracherwerb richtig zu setzen und sich nicht mit Kleinigkeiten wie der/die/das aufzuhalten.“ Hier seien die Erfolgsaussichten sehr gering. „Es fragen sich ja auch viele Deutsche bei manchen Wörtern, welcher Artikel nun der richtige ist.“

Großes Problem: Keine Kinderbetreuung für Integrationskurse in Gelsenkirchen

„Ich habe natürlich kein Problem mit Sprachschulen“, ergänzte Hans Ruschmann vom Beratungs- und Bildungsanbieter Rebeq. Doch zeige die Erfahrung, dass Menschen die nur sechs Wochen in ein Praktikum gehen, „oft mit einem ganz anderen Deutsch zurückkommen“, „unglaublich“ sei, was in dieser Zeit passiere. „Deswegen müssen wir hier viel mehr in die Breite gehen: Menschen ermöglichen, Praktika zu machen.“

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Doch eine Hürde für alle möglichen Angebote ist die Kinderbetreuung: Wie sollen junge Eltern mit Flucht- oder Migrationshintergrund überhaupt an Praktika oder Sprachkursen teilnehmen, wenn nicht für ihre Kinder gesorgt wird? Wie die WAZ kürzlich bei der Stadt in Erfahrung brachte, gibt es weniger als eine Handvoll Integrationskurs-Anbieter mit Kinderbetreuung in Gelsenkirchen. „Wir brauchen aber das Zehnfache!“, betonte Michael Mrowietz. Hinzukommt, dass es in Gelsenkirchen im NRW-Vergleich, trotz Anstrengung beim Kita-Ausbau, eine extrem niedrige Betreuungsquote gibt. Nur 18,1 Prozent der Kinder unter drei Jahren können hier in einer Kita oder bei einer Tagespflege versorgt werden.

Michael Mrowietz (DRK Gelsenkirchen): „Nicht mit der/die/das aufhalten“.
Michael Mrowietz (DRK Gelsenkirchen): „Nicht mit der/die/das aufhalten“. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Hier gebe es jedoch einen „Punkt, der oft zu kurz kommt“, wie Michael Niehaus von der Caritas betonte. „Die Männer vergessen manchmal, dass sie da auch eine Rolle spielen.“ Damit die Frauen an einem Sprach- oder Integrationskurs teilnehmen können, müssten auch sie bereit sein, sich mehr bei der Kinderbetreuung zu engagieren. „Wenn es darum geht, dass Frauen den Zugang nicht finden können, dann müssen wir auch mehr an die Männer herangehen.“

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Einfacher mache es da nicht, dass in Zeiten der Sparpolitik auf Bundes- und Landesebene bei Integrationsangeboten gekürzt werde. Für Michael Mrowietz vom DRK könnte dies beispielsweise bedeuten, dass er bald keine Büros mehr für (ehrenamtliche) Dolmetscher bezahlen kann, wie er am Rande der Veranstaltung mitteilte. „Die Mietpauschalen fallen einfach weg.“ So sei es umso schwerer, engagierte Menschen zu finden, die die deutsche Sprache vermitteln - welche Herangehensweise sie dabei auch immer wählen mögen.