Gelsenkirchen. Jetzt legen die Grünen Maßnahmen vor: Nach dem Anschlag in Solingen fordert Irene Mihalic aus Gelsenkirchen eine „innenpolitische Zeitenwende“.
Aktuell steht vor allem die CDU in den Schlagzeilen, wenn es um politische Konsequenzen nach dem islamistischen Anschlag in Solingen geht. Unionschef Friedrich Merz brachte sogar die Erklärung einer „nationalen Notlage“ ins Spiel, um Schutzsuchende zurückzuweisen, die zuerst ein anderes Land in der EU betreten haben. „Zündelei“ ist das in Augen der Gelsenkirchener Bundestagsabgeordneten Irene Mihalic. Sie hat als Reaktion auf Solingen jetzt ein eigenes Papier vorgelegt. Dessen Kernbotschaft: „Die Zeitenwende endlich auch in der Innenpolitik entschlossen umsetzen!“
Mihalic, die als Parlamentarische Geschäftsführerin ihrer Fraktion zu den ranghöchsten Grünen gehört, stellt im ersten Absatz des Papiers fest: „Es ist an der Zeit, den Menschen in unserem Land angesichts der multiplen Bedrohungen dieser Zeit ein neues Sicherheitsversprechen zu machen.“ Um dieses Ziel zu erreichen, müssten alle demokratischen Parteien in Deutschland „gemeinsam und konstruktiv“ zusammenarbeiten. Erarbeitet hat die ehemalige Polizistin ihre Positionen mit dem Fraktionskollegen Konstantin von Notz, der ebenfalls zu den profiliertesten Innenpolitikern bei den Grünen gehört.
Gelsenkirchener Abgeordnete Mihalic: „Investitionen in die Sicherheit sträflich vernachlässigt“
Mihalic analysiert zunächst, dass die „Investitionen in die Sicherheit unseres Landes und damit auch in die Wehrhaftigkeit unseres Rechtsstaats sträflich vernachlässigt wurden“. Bedrohungen wie die Spionage durch autoritäre Staaten, aber eben auch durch Extremisten und Terroristen „wurden und werden immer noch nicht ernst genug genommen“, stellt sie fest. „Vielmehr wurden immer wieder zahlreiche Schwächen unserer ,wehrhaften Demokratie‘ offenbar, zum Beispiel das oft ineffektive Zusammenspiel verschiedener Behörden auf Landes- und Bundesebene, das als zentrales Defizit bei der Aufklärung des dschihadistischen Anschlags vom Berliner Breitscheidplatz identifiziert wurde“, so Mihalic, die auch als Obfrau im Untersuchungsausschusses zum Anschlag in Berlin eingesetzt wurde.
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Alle Fraktionen im Bundestag, die in den vergangenen Jahrzehnten in Regierungsverantwortung waren, seien „für diese krassen sicherheitspolitischen Fehleinschätzungen“ mitverantwortlich. Auch aktuell verfolge das Innenministerium, das vom sozialdemokratischen Koalitionspartner geführt wird, „in weiten Teilen veraltete Sicherheitspolitik, die sich zu sehr in Symboldebatten verfängt, statt auf längst offenbar gewordene, große sicherheitspolitische Defizite durchtragende Antworten zu liefern“, legt Mihalic Defizite ihrer eigenen Regierungskoalition offen.
„Neues Sicherheitsversprechen“: Diese Vorschläge macht Irene Mihalic aus Gelsenkirchen
Um die Situation zu verbessern, listet Mihalic über 20 Punkte auf, die als Gesprächsgrundlage für die Konsensfindung mit den anderen Fraktionen dienen sollen. Zunächst schlägt sie vor, die Höhe der Summe zu ermitteln, die es für eine „sicherheitspolitische Basisinvestition“ bräuchte. „Wir bedauern sehr, dass es vor zwei Jahren nicht wie von uns vorgeschlagen analog zur Bundeswehr ein Sondervermögen für die Innere Sicherheit beschlossen wurde“, schreibt sie.
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„Ermittlerinnen und Ermittler stehen häufig vor dem Problem, dass sie nötige Informationen anderer Behörden im In- und Ausland heute über sehr lange Dienstwege beschaffen müssen“, stellt Mihalic in einem anderen Punkt fest. „Das kostet unnötig Zeit, die im Einzelfall Leben kosten und Ermittlungserfolge gefährden kann.“ Man müsse die gesetzliche Grundlage dafür schaffen, dass „Informationen auch direkt dort ankommen, wo sie gebraucht werden.“ Auch würden sich die Grünen nicht verschließen, „neue Befugnisse für Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste zu prüfen“, wie die Bueranerin in einem anderen Punkt betont.
Grüne sehen dauerhafte Grenzkontrollen skeptisch
Auch zum Thema Abschiebungen äußern sich Mihalic und von Notz. Rückführungen müssten entschlossen durchgeführt werden. „Die gesetzlichen Grundlagen sind geschaffen und diese Bundesregierung hat sie noch einmal verschärft. Aber der Vollzug ist noch mit zu vielen Mängeln behaftet“, konstatieren die Abgeordneten. In Gelsenkirchen etwa rechnet die Ausländerbehörde damit, dass die gesetzlichen Verschärfungen der Ampel lediglich zu 1,6 Abschiebungen mehr pro Jahr führen werden. „Bund und Länder müssen sich gemeinsam anschauen, wie die praktischen Abläufe so effektiviert werden können, dass aus der möglichen eine tatsächliche Abschiebung wird“, fordern die Grünen.
Mihalic mit 95,5 Prozent gewählt
Irene Mihalic wurde am Mittwoch (28. August) erneut vom Gelsenkirchener Kreisverband der Grünen zur Direktkandidatin für die Bundestagswahl 2025 gewählt. Mihalic erhielt 95,5 Prozent der Stimmen.
In ihrer Bewerbungsrede betonte Mihalic, dass die Grünen auch Themen gegenüber offen sein müssten, die man nicht als Kernthemen der Partei begreift. Als Beispiel nannte sie die innere Sicherheit.
Der Kreisvorsitzende Dennis Nawrot betonte nach der Wahl: „Ich freue mich sehr, dass die Gelsenkirchener Grünen mit Irene Mihalic erneut eine erfahrene Innenpolitikerin für den Bundestag beisteuern können. Die Debatten der letzten Zeit machen meiner Meinung nach ihre dortige Unverzichtbarkeit nochmals deutlich.“
„Dauerhafte stationäre Grenzkontrollen sehen wir – wie die Gewerkschaft der Polizei – skeptisch, weil sie perspektivisch ineffektiv sind und Polizeikräfte dauerhaft binden, die an Kriminalitätsschwerpunkten, wie z.B. Bahnhöfen, dringend gebraucht werden“, grenzen die Abgeordneten jedoch ein. Wirksamer seien stattdessen gemeinsame grenzpolizeiliche Einheiten an den Grenzen zu europäischen Ländern. Grundsätzlich hält Mihalic eine verstärkte europäische Zusammenarbeit für essenziell, zur Diskussion stellen will ihre Fraktion die Idee einer europäischen Nachrichtendienstagentur.
Mihalic (Grüne): „Die Radikalisierung von Menschen vollzieht sich vor allem im Netz“
„Die Radikalisierung von Menschen vollzieht sich vor allem im Netz“, stellt Mihalic fest. Polizeilichen Ermitteln sei es jedoch nur mit hohen Hürden gestattet, verdeckt in sozialen Netzwerken zu arbeiten. „Diese Hürden wollen wir, da wo es nötig und rechtsstaatlich möglich ist, senken.“ Gegen die Radikalisierung müsse man auch mit einer großen Präventionsstrategie vorgehen. „Wenn wir verfassungsfeindliche Ideologien erfolgreich an der Wurzel bekämpfen wollen, brauchen wir leistungsfähige zivilgesellschaftliche Organisationen“, heißt es. Formuliert sind diese Aufgaben im „Demokratiefördergesetz“, das vom Kabinett schon 2022 vorgelegt, aber immer noch nicht verabschiedet wurde. „Die FDP muss ihre Blockade endlich überwinden!“, fordern die Grünen.
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Viel diskutiert wird derzeit auch eine Verschärfung des Waffengesetzes. Mihalic stellt fest: „Viele Morde werden mit legal erworbenen Schuss- und Stichwaffen begangen. Es muss unser Ziel sein, den Zugang zu solchen Waffen so strikt wie möglich zu regeln.“ Eine Waffen-Reform „mit klarem Fokus“ sei unerlässlich.