Gelsenkirchen. Wenn 2025 in Gelsenkirchen gewählt wird, dann nach einem neuen Wahlrecht. Die Änderung hat das Potenzial, den Stadtrat durcheinander zu wirbeln.

Wenn es um ein Anliegen geht, das vor allem kleinere Parteien umtreibt, dann hat das Thema kaum Chancen, auf der großen politischen Bühne in Gelsenkirchen besprochen zu werden. Schließlich sind es die Stimmen der großen Fraktionen, die am Ende darüber bestimmen, ob ein Sachverhalt auf der Tagesordnung bleibt. Fast schon zu erwarten war da, dass die „Wähler Initative NRW“ (WIN) nicht mit ihrer Resolution gegen das neue Kommunalwahlgesetz NRW in der vergangenen Ratssitzung durchdringt. Dabei ist es nach Darstellung ihres Fraktionsgeschäftsführers Ali-Riza Akyol nicht weniger als „demokratiefeindlich“ und „nicht im Einklang mit den Grundsätzen der Chancengleichheit und der Gleichheit der Wahl.“ Alleine ist er damit nicht.

Das bisherige Wahlrecht in NRW: „große Verzerrung zu Gunsten von Kleinstparteien“?

Im Herbst 2025 steht auch in Gelsenkirchen die nächste Kommunalwahl an – dann werden OB, Stadtrat, Bezirksvertretung und Integrationsrat neu gewählt. Das jüngst überarbeitete Wahlrecht soll dann erstmals zur Anwendung kommen. Mit ihm soll neu berechnet werden, wie die abgegebenen Stimmen in Ratssitze umgerechnet werden. Bislang wurde hierzu das sogenannte Sainte-Laguë-Verfahren genutzt. Da keine halben Sitze in den Räten vergeben werden, wird nach Sainte-Laguë regelmäßig von einem halben auf einen ganzen Sitz aufgerundet. Kleinere Parteien können so profitieren. Kritiker der alten Regelung – wie der Grünen-Landtagsabgeordnete Simon Rock – sprechen jedoch von einer „großen Verzerrung zu Gunsten von Kleinstparteien.“

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Rock hat ein Verfahren entwickelt, dass diese „Verzerrung“ beendet, gleichzeitig jedoch gewährleisten soll, dass stattdessen nicht große Parteien übermäßig profitieren sollen (Details dazu hier). Die NRW-FDP allerdings hat ausgerechnet, dass unter dem Rock-System die CDU in den Kommunen 2020 landesweit 184 Sitze mehr erreicht hätte. Zusätzliche Sitze hätten auch SPD (plus 84) und Grüne (plus 51) erhalten. Verloren hätten FDP (minus 95), Linke (minus 64), AfD (minus 29) und kleine Parteien (minus 131). Wenig überraschend konnte Rock seine Partei, aber auch CDU und SPD von dem neuen Modus überzeugen. Jetzt ist er Gesetz.

„Politisches Machtkartell“ in NRW durch die neue Wahlrechtsreform?

Und das stört unter anderem die dreiköpfige WIN-Fraktion in Gelsenkirchen gewaltig. Sie hat eine Resolution formuliert, in der gefordert wird, die Änderungen am Wahlrecht „unverzüglich zurückzunehmen, um Schaden von der Demokratie abzuwenden und um einer weiteren Politikerverdrossenheit keinen Vorschub zu leisten.“ Das neue Berechnungsmodell zeige offen auf, „dass es den handelnden Parteien darum geht, sich unter Missachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit und der Gleichheit der Wahl und somit des Grundgesetzes und Demokratieprinzips Vorteile zu verschaffen und Dritte zu benachteiligen“, heißt es. Es sei zu befürchten, dass so verstärkt Protestparteien gewählt werden, um dem neuen „politischen Machtkartell in NRW“ entgegenzutreten. Diese Formulierung hatte auch Henning Höne, Chef der FDP-Landtagsfraktion, gewählt.

Ali-Riza Akyol (WIN): „Massive Benachteiligung der Kleinparteien.“
Ali-Riza Akyol (WIN): „Massive Benachteiligung der Kleinparteien.“ © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Kein Wunder, dass auch Susanne Cichos, FDP-Fraktionsvorsitzende in Gelsenkirchen, Verständnis für Akyols Resolution im Rat zeigte. „Für uns bedeutet das Gesetz auch, dass tausende Wählerstimmen wirkungslos werden!“, betonte Cichos. Die Landes-FDP sei jedoch bereits aktiv mit ihrer Klage vor dem Verfassungsgerichtshof NRW. Das Ergebnis wolle man nun abwarten. In fachlichen Stellungnahmen zu der Reform ist das Gesetz bislang sehr unterschiedlich weggekommen – als tatsächliche „Bevorzugung stärkerer Parteien“ (Mathematik-Professor Friedrich Pukelsheim) oder als „mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit vereinbar“ (Mathematik-Professor Markus Ogorek).

Gelsenkirchener Resolution gegen Wahlreform: Absetzung ohne inhaltliche Begründung

Kritik kam zuvor auch von dem Linksaußen-Wählerbündnis AUF, das mit einem Einzelmandatsträger (Jan Specht) im Gelsenkirchener Rat vertreten ist. AUF bezeichnete die Wahlrechtsreform als „Attacke auf kleine und kritische Parteien und Wahlbündnisse“ und forderte: „Schluss mit den Tricksereien!“ Für AUF ist die neue Reform eine Einführung einer Sperrklausel durch die Hintertür, weil Wählerbündnisse ihren Sitz aufgrund der Abrundung verlieren könnten. „Bereits in der Vergangenheit hatten die etablierten Parteien versucht, zuerst eine Fünf-Prozent-Hürde und dann eine 2,5-Prozent-Hürde einzuführen. Damit sind sie krachend vor dem Verfassungsgericht NRW gescheitert“, erinnert AUF.

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Ohne inhaltliche Begründung brachte die SPD-Fraktion einen Absetzungsantrag für die Resolution ein, der von der CDU und „Tierschutz Hier!“ unterstützt wurde. CDU-Chef Sascha Kurth sagte aber immerhin, dass man das Thema in einer der nächsten Sitzungen des Rates debattieren könne – dann, wenn nicht der komplexe Haushaltsplan 2025 im Mittelpunkt steht, der traditionell in der ersten Ratssitzung nach den Sommerferien eingebracht wird und wurde.

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