Gelsenkirchen. Am 1. August starten viele in die Ausbildung. Doch nur etwa die Hälfte der Stellen sind besetzt, obwohl es viele Bewerber gibt. Warum ist das so?

Für viele junge Menschen in Gelsenkirchen beginnt mit dem 1. August der Ernst des Lebens: dann starten in vielen Berufen die Ausbildungen. Doch viele Stellen sind aktuell noch unbesetzt – obwohl es viel mehr Bewerberinnen und Bewerber als angebotene Stellen gibt. Auf 100 Stellen kommen 185 junge Menschen, die einen Platz suchen.

Seit Beginn des Berufsberatungsjahres im Oktober 2023 meldeten sich 1.554 Bewerberinnen und Bewerber für Ausbildungsstellen in Gelsenkirchen (Stand 28. Juni). Vor zwei Jahren lag die Zahl der Bewerbungen noch bei 1731. Zu studieren wird beliebter, aber auch die Folgen von Corona hätten hier noch Nachwirkungen, erklärt Heike Börries, Pressesprecherin der Bundesagentur für Arbeit. „Während der Pandemie konnten kaum Praktika gemacht werden, es fehlten erste Ideenentwicklungen für die eigene Zukunft.“ Vielen jungen Menschen fehle jetzt die Orientierung. Gleichzeitig werden auch immer weniger Ausbildungsplätze angeboten.

Gelsenkirchen: Fast die Hälfte der Bewerber hat noch keine Perspektive

Arbeitgeber meldeten der Agentur für Arbeit Gelsenkirchen im gleichen Zeitraum 855 Ausbildungsstellen. Im Vergleich zum Vorberichtsjahr gibt es damit 264 weniger Stellen, die überhaupt angeboten wurden. Das entspricht einem Rückgang um 23,6 % zum vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Das ist allerdings kein Phänomen, was es nur in Gelsenkirchen gibt. „In ganz NRW sieht man den Trend, dass Unternehmen zurückhaltend mit der Vergabe von Ausbildungsplätzen sind“, sagt Börries. Auch konjunkturelle Schwankungen spielen da mit rein. Man müsse zudem immer berücksichtigen, dass kleine Unternehmen nicht so häufig neue Azubis annehmen. „Wenn ein Azubi gefunden wurde, bleibt der im besten Fall für mehrere Jahre.“

Obwohl es 1554 Bewerbungen auf die Ausbildungsplätze gab, sind von den 855 angebotenen Stellen 430 nicht besetzt. Ende Juni sind noch 687 Bewerber unversorgt, das heißt, sie suchen noch einen Ausbildungsplatz oder haben sich noch nicht entschieden. „Oft sind es einfach Passungsprobleme“, erklärt die Pressesprecherin von der Bundesagentur für Arbeit. So kann es sein, dass Betrieb und Bewerber einfach nicht zueinander finden oder der Bewerber eine Ausbildung im Kopf hat, für die es aber keine Plätze mehr gibt. „Einige Berufe sind einfach beliebter als andere – es gibt dort besonders viele Bewerbungen.“

Annette Höltermann, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Gelsenkirchen, sagt: „Die Ferienzeit lässt sich gut dazu nutzen, eine passende Ausbildungsstelle zu finden. Zahlreiche Unternehmen im Stadtgebiet suchen noch motivierte Auszubildende.“

Diese Berufe sind bei Männern und Frauen am beliebtesten

Der beliebteste Ausbildungsberuf ist der des Kfz-Mechatronikers. Und: Von den 111 Bewerbungen bis Ende Juni stammen 108 von Männern. Auf Platz zwei ist bei den männlichen Bewerbern der Elektrotechniker, gefolgt vom Chemikanten, Anlagenmechaniker, Verkäufer, Maler/Lackierer, Fachinformatiker, Industriemechaniker und Automobilkaufmann.

Bei Frauen ist die medizinische Fachangestellte mit 83 Bewerbungen der beliebteste Beruf. Darauf folgen die Bürokauffrau, Verkäuferin, Zahnmedizinische Fachangestellte, Friseurin, Kauffrau im Einzelhandel, Verwaltungsfachangestellte, Industriekauffrau, Bankkauffrau und Kosmetikerin. Viele offene Stellen gibt es noch in den Berufen Arzt- und Praxishilfe, Büro/Sekretariat, Verkauf und im Handel, aber auch in anderen Bereichen sind noch etliche Ausbildungsplätze unbesetzt.

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Auffällig ist, dass sich mehr als doppelt so viele Männer (1047) für eine Ausbildung bewerben, als Frauen (507). Die meisten Bewerberinnen und Bewerber (957) sind unter 20 Jahre alt. 935 sind zwischen 20 und 25 und älter als 25 sind 66 Suchende. In Gelsenkirchen haben sich die meisten jungen Menschen mit einem Realschulabschluss beworben (605), gefolgt von 449 mit einer (Fach-)Hochschulreife und 421 mit einem Hauptschulabschluss.

„Vorteile einer Ausbildung erkennen“

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) rät jungen Menschen, beim Einstieg ins Berufsleben „die Vorteile, die eine Ausbildung bietet, zu erkennen“. Geschäftsführer Martin Mura wehrt sich dagegen, dass die duale Ausbildung mittlerweile „unter Wert gehandelt“ werde. „Es ist wie ein Reflex: Wer sein Abi oder die Fachhochschulreife in der Tasche hat, meint studieren zu müssen“, so Mura. Dabei würden gerade Industrie, Handwerk und Dienstleistung in Gelsenkirchen und der Region enorme Chancen bieten.

Der Geschäftsführer der NGG Ruhrgebiet rät Jugendlichen, die noch auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind oder bei denen sich der Wunsch nach einem Studienplatz zerschlagen hat, sich bei der Agentur für Arbeit beraten zu lassen. „Aber auch die Chancen, durch eine Direkt-Akquise einen Ausbildungsplatz zu bekommen, sind enorm gut. Es bringt etwas, bei einem Betrieb anzuklopfen und zu sagen: ‚Hier bin ich. Was kann ich bei euch machen?‘ Ich kenne viele Betriebe, die locker aus dem Stegreif einen zusätzlichen Ausbildungsplatz schaffen könnten“, so Mura.

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Außerdem sollten Betriebe manchmal deutlich weniger auf die Noten im letzten Schulzeugnis schielen: „Sie sollten versuchen, die Talente der jungen Leute zu entdecken. Das bedeutet, dass Unternehmen mehr Gespräche zum persönlichen Kennenlernen führen. Aber auch, dass sie mehr Praktika anbieten. Oft ist es nämlich der zweite Blick, der dann zur ersten Wahl wird“, erklärt Martin Mura. Auch bei Problemen in der Berufsschule müssten sich viele Betriebe mehr engagieren und Azubis unter die Arme greifen. Zudem biete die Arbeitsagentur durch die „Assistierte Ausbildung“ eine Art „Azubi-Nachhilfe“.