Gelsenkirchen. Groß gefeiert wird in Gelsenkirchen der 50. Geburtstag des Motorradclubs. Wie die Rocker ticken, über Macht, Zusammenhalt und Rivalität.
- Wenn Rocker feiern, dann richtig - zum 50-jährigen Jubiläum des Freeway Rider‘s MC gibt’s eine Riesen-Party in Gelsenkirchen
- Mehrere Hundert Gäste werden in der Emscherstadt erwartet, auch Mitglieder anderer, zum Teil berüchtigter Rockerclubs
- Langjährige Kuttenträger, darunter vier Chapter-Präsidenten, erzählen, wie sie sich sehen, was das Leben im MC ausmacht
Der Freeway Rider’s MC ist einer der ältesten deutschen Motorradclubs. 1974 in Hagen gegründet, feiert der Rockerclub jetzt sein 50-jähriges Bestehen. Mehrere Hundert Gäste werden dazu am 6. Juli in Gelsenkirchen erwartet, das Chapter an der Emscher wurde kurz nach der Hagener Keimzelle aus der Taufe gehoben. Langjährige Mitglieder erzählen, wie sie sich sehen, warum sie Kuttenträger wurden und was das Leben im MC ausmacht.
Gratwanderung: Rockern befeuern den Mythos „Outlaw“ - sehen sich aber nicht jenseits des Gesetzes
„Uns verbindet die Leidenschaft fürs Motorradfahren. Es ist ein Leben unter Gleichgesinnten.““
Nichts an diesem Treffen ist gewöhnlich. Die acht Freeway Rider an den Tischen rundherum bringen es auf mehr als 400 Jahre Lebenserfahrung und gut 180 Jahre Mitgliedschaft. Vier Chapter-Präsidenten sind darunter. Von den Mitgliedern sitzen oder stehen gut 100 auf dem herausgeputzten Clubgelände drumherum, hören, was sie der Presse zu sagen haben. Männer wie Kleiderschränke, mit muskelbepackten Armen, breitem Kreuz und etlichen Tattoos. Ein wild aussehendes Publikum: Und trotzdem ist es so dermaßen still, dass man eher die Tiere des nahe gelegenen „Zooms“ hört als einen Mucks aus dem Pulk.
Es geht ihnen um „Transparenz“, darum, die „Klischee-Schublade“, in die TV-Serien wie etwa „Sons of Anarchy“ sie als Rocker gesteckt hätten, aufzuräumen. Darum zu zeigen, dass sie „Normalsterbliche sind, die einer geregelten Arbeit nachgehen und eine Familie haben“. Und darum, dass sie ihre „Freiheit über alles lieben“, aber nicht durch und durch jenseits des Gesetzes stehen.
„Wir sind nach wie vor ein Malocher-Club, haben ganz normale Jobs“, sagt Ralle (60), Chef des Dinslakener Chapters. Entstanden in einer Zeit, als von Hells Angels und Bandidos hier im Revier so gut wie nichts zu sehen war. Und sich das Freizeitangebot für Heranwachsende im Pott nach einer Partie am Flipper oder auf der Minigolfanlage schon weitgehend erschöpft hatte.
Die international operierenden Höllenengel wurden 1973 mit einem Charter in Hamburg erstmals in Deutschland ansässig, die mit ihnen rivalisierenden Bandidos erst Ende der 90er Jahre in München – beide Clubs wurden in den USA gegründet.
Sascha, Präsident des Gladbecker Chapters und Mario, Pressesprecher des gesamten MC, sind mit ihren 45 bzw. 48 Jahren noch die jüngsten im Männerbund, alle anderen, Bernie (60), Lüdi (65), Haka (58), Sven (51) und Hippo (62) sind ihnen um Jahre voraus.
Akademiker sind bei den Freeway Rider’s nicht zu finden, so wie die acht Männer erzählen, wohl aber durchaus nicht wenige Menschen im Dienste der Allgemeinheit: „Rettungssanitäter und Feuerwehrleute“, zählt Sascha Beispiele auf. Sie selbst sind Papier-Techniker, CNC-Programmierer, Tätowierer, Fahrlehrer oder auch freigestellter Betriebsrat in einem rund 600 Mitarbeiter großen Betrieb.
Bundes- und Landeskriminalamt bescheinigen Rockern Verbindung zur Organisierten Kriminalität
Langjährigen „Spiegel“-Recherchen nach ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass Rocker Jobs haben und zugleich kriminelle Geschäfte machen. Bundes- und Landeskriminalamt bescheinigen den international bekannten Outlaw Motorcycle Gangs, Bandidos MC, Gremium MC und Hells Angels MC sowie deren Supporter-Clubs eine große Nähe zur Organisierten Kriminalität. Spektrum: von Rauschgiftdelikten über Gewaltdelikte bis hin zu Zuhälterei, Prostitution, illegales Glücksspiel.
„Wir lieben unsere Freiheit über alles, stehen aber nicht durch und durch jenseits des Gesetzes.““
Zu den legalen oder illegalen Geschäftsfeldern der Freeway Rider’s werden den Behörden zufolge „aber keine Daten erhoben“. Was nicht bedeutet, dass einzelne Mitglieder nicht doch kriminelle Energie an den Tag legen. Wer trotzdem nach Geschäftsfeldern nachfragt, bekommt allenfalls zu hören: „Nicht alle laufen gerade in der Spur, aber wir wollen auch nicht komplett über einen Kamm geschoren werden“, sagt Haka, Chef in Gelsenkirchen.
Bei den Freeway Rider’s finanziert sich demnach ein MC im Allgemeinen aus den monatlichen Clubbeiträgen (O-Ton: „Niedriger als in einem normalen Fußballverein“), offenen Abenden (auch für Otto Normalverbraucher), bei denen Essen und Getränke verkauft werden oder aber durch Merchandising und selbst organisierte Veranstaltungen wie Konzerte.
Vor allem wollen die Biker mit dem geflügelten Totenkopf auf der Kutte „in Ruhe gelassen“ werden und „ihre Freiheit“ genießen. Wenn man nachhakt, was das denn bedeute, frei und unabhängig zu sein, wird von einer Lebenseinstellung mit einem konservativen Wertekanon überrascht.
Gemeinsam loszufahren mit dem Bike, wann immer und wohin sie wollen, zu feiern, im Club, in der Kneipe oder bei Treffen, bezeichnen sie zwar immer noch als ihre größte Freiheit. „Wenn’s sein muss, legen wir uns in den Straßengraben und schlafen dort“, sagt Bernie. Das passt zur „Rebellion gegen das Spießbürgertum“ der 70er- und 80er Jahre, die die meisten von ihnen als Grund anführen, warum sie damals ihr biederes Flanell gegen ruchloses Leder getauscht haben.
Und es beflügelt bis heute den Mythos der Kuttenträger, den die wild feiernden Motorradhorden am 4. Juli 1947 in Hollister, einem kleinen Kaff südlich von San Francisco, begründeten. Individualist sein, Außenseiter, Underdog, Outlaw – anders eben und unangepasst, ein Alleinstellungsmerkmal in der breiten Masse.
Es geht um Prestige, Stärke und am Ende auch um gemeinschaftliche Macht
„„Nicht alle laufen gerade in der Spur, aber wir wollen auch nicht komplett über einen Kamm geschoren werden.““
Es hat aber auch mit Prestige zu tun, um das Gefühl, etwas Besonderes aus ihrem Leben gemacht zu haben, um gemeinschaftliche Stärke, um Macht in einem sehr unmittelbaren Erleben. Wer einmal gesehen hat, wie selbst Menschentrauben sich ehrfürchtig teilen, wenn auch nur eine Handvoll Rocker über die Kirmes schlendert, ahnt, was gemeint ist.
Doch die Freeway Rider’s sammeln auch Spenden für Kinderheime, Hospize oder die „Tafel“. Sie organisieren Konzerte (mit) wie etwa das Rock-Bike-Festival in Hünxe oder das Bergparkrock-Festival in Dinslaken. Die meisten von ihnen haben selbst Familie und die gleichen Sorgen wie andere Väter: „Die Kids sitzen heute nur noch vor dem PC oder der Playstation und kommen nicht mehr raus”, sagt Ralle. „Das Internet und Social Media lähmen sie. Ich sehe das doch bei meinen Kindern.”
Dem Clubbruder „beim Umzug zu helfen“, „Möbel für ihn nach einem Wohnungsbrand oder Hochwasserschaden zu organisieren“ ist für Sven, Hippo und Co. so selbstverständlich wie den Rasen vor dem Clubhaus akkurat zu mähen, die Vereinskneipe zu streichen oder dem „todkrankem Bruder die letzte Ehre zu erweisen“ und mit kompletter Club-Mannschaft noch einmal bei ihm vorzufahren.
„Wir pflegen eine ausgesprochene Kameradschaft, einer steht für den anderen ein“, erklären Ralle und Sascha. Wer in ihren Genuss kommen will, muss sich allerdings erst beweisen. Ein vollwertiges Mitglied wird nur, wer sich meist über mehrere Jahre hochdient als Anwärter, auch „Prospect“ genannt.
Das bedeutet, mitunter unangenehme Dienste klaglos zu versehen – den fahruntüchtigen Rockerbruder nach Hause zu fahren und zu schleppen, im Clubhaus für die anderen zu kellnern oder nach einer ausufernden Party die übergelaufenen Toiletten zu schrubben. Knechtschaft würden Haka, Sascha, Ralle und Lüdi das nicht unbedingt nennen, sie geben aber zu, dass „einige Chapter ihre Kandidaten tatsächlich zu Lakaien machen.“ Sie sagen aber auch: „Keiner muss hier sein, alle sind freiwillig hier.“
Daraus erwächst allerdings ein Nachwuchs-Problem, denn viele Probanden halten nicht durch. „Wochenend-Rocker“ sind verpönt. Und dort, wo Männer mit Migrationshintergrund in Clubs kamen, unter anderem aus Großfamilien, ging es weniger um den Rockerstatus als um die Durchsetzung krimineller Interessen – blutige Machtkämpfe inklusive. Bis hin zu eigenen Club-Gründungen – ein ständiges Ringen um Macht und Einfluss.
„Wir sind nach wie vor ein Malocher-Club, haben ganz normale Jobs.““
Den Club-Bossen zufolge ist die Plackerei ohnehin eher die Ausnahme als die Regel. Oder anders formuliert: „Du kannst einen Prospect nicht ständig erniedrigen und dann später als Member von ihm erwarten, dass er für dich einsteht.“
Konflikt-Lösung auf Rocker-Art: „Dann setzt es eben ein paar Schellen“
Die Chefs, jährlich gewählt von den Mitgliedern ihrer Chapter, verstehen sich dabei nach eigenen Angaben mehr als Schlichter, die ihre Mitglieder je nach Charakter mehr oder weniger hart führen – manche bräuchten eben eher Zuspruch, andere einen Tritt in den Allerwertesten. Dabei, so erzählen sie, sind sie sich selbst nicht zu schade, bei solchen Frontdiensten mit gutem Beispiel voranzugehen. Motto: „Die anderen übers schlechte Gewissen packen und motivieren.“
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Das bedeutet aber noch lange nicht Narrenfreiheit für vollwertige Mitglieder. Alle sind Regeln unterworfen, bei Vergehen setzt es Strafen. Das Spektrum reicht von der Teilnahme an Treffen und Ausfahrten bis hin zur Kleiderordnung. Nähere Details dazu bleiben allerdings Interna. Nur so viel: Gehen die Meinungen derart auseinander, so werden Konflikte „wie unter Männern üblich vor der Tür“ gelöst – „dann setzt es eben ein paar Schellen und danach trinkt man wieder ein Bier miteinander“.
Das ist mit ein Grund dafür, warum Frauen im Cluballtag zwar als Helferinnen gerngesehen sind, ansonsten aber nichts zu melden haben bei den Rockern. Das gäbe, so die vorherrschende Meinung, ständig nur Zank und Streit.
„Wir pflegen eine ausgesprochene Kameradschaft, einer steht für den anderen ein.““
Die bedingungslose Kameradschaft und der Club dienen den Rockern als Faustpfand. Er ist ihre Versicherung, dass sie – wenn es mal unbequem wird – einen Haufen Männer hinter sich wissen, auf deren sprichwörtliche Schlagkraft sie sich blind verlassen können. In einem früheren Interview hatten Mitglieder des Hagener Mother-Chapters sogar davon gesprochen, dass die Loyalität sogar so weit geht, dass man für einen anderen Bruder Gefängnis erduldet.
Mario, der Sprecher der Freeway Rider’s, betont zwar, dass „der Club mit niemanden verfeindet ist und sich auch von niemanden provozieren lässt“, deshalb werden zur Jubiläumsfeier auch viele Mitglieder „anderer Farben“ unter den Gästen sein. Er lässt aber auch klar durchblicken, dass man sich verteidige, wenn man angegriffen werde.
Rocker-Krieg: Schießereien auf offener Straße - Todesopfer in Gelsenkirchen - „Reiki“ nachts erstochen
Zuletzt hatte es in der Geburtsstadt der Freeway Rider’s eine blutige Fehde zwischen den Rockern des Mother-Chapters und den Bandidos um die Vormachtstellung in Hagen gegeben. NRW-Innenminister Herbert Reul zufolge eskalierte die Lage bis hin zu „Schießereien auf offener Straße“. Gerichte verhängten Haftstrafen gegen Mitglieder beider Seiten.
Im Oktober 2018 sind vier Bandidos zu Haftstrafen zwischen sechseinhalb und zehn Jahren verurteilt worden. Sie hatten „Reiki“ (63), ein Mitglied Freeway Rider’s, nach einem Kneipenbesuch in Gelsenkirchen erstochen. Anschließend nahmen sie seine Kutte mit und flüchteten – für Kuttenträger ein Sakrileg, der höchste Ehrverlust und Strafe zugleich.
„Wir waren an jedem Verhandlungstag im Gericht dabei“, blicken Sascha und Ralle zurück. „Wir sinnen aber nicht auf Rache und setzen auch keine Kopfgelder auf die Schuldigen aus“. Denn davon komme ihr Freund und Bruder auch nicht wieder. „Vielmehr dürfen wir ihn nicht vergessen.“
Die Bandidos, mittlerweile wie die Hells Angels und andere Rockerclubs mit Verboten belegt, organisieren sich laut einem internen Bericht des Innenministeriums neu, vor allem im Ruhrgebiet. Laut Aktenlage haben zwar weder Bandidos noch Hells Angels ein gesteigertes Interesse „an einer öffentlichen Zurschaustellung von Konfliktlagen“, aber: Sollten sich die „Expansionsabsichten bestätigen, dürften aufgrund der ausgeprägten Macht- und Gebietsansprüche der Gruppierungen Auseinandersetzungen zu prognostizieren sein“.
„Ein Highlight waren für mich immer die großen Sternfahrten. Heute ist das leider nicht mehr so möglich.““
Mittlerweile hält sich hartnäckig das Gerücht, dass die Bandidos auch wieder in Gelsenkirchen aufschlagen. Ob die Freeway Rider’s darauf reagieren? Nein, „weder mit Reviermarkierungen noch mit sonstigen Machtdemonstrationen, wir bleiben eine reine Gemeinschaft“, lautet die Antwort.
Dazu passt die offizielle Ankündigung, dass sich das Lager der Freeway Rider‘s gespalten hat. Neun Chapter gehen als „Freeway Rider’s MC Division“ einen eigenen Weg, die anderen 33 Chapter der Freeway Rider’s MC, zu denen auch unsere Gesprächspartner gehören, bleiben ihrem Kurs treu: „Only One Way Freeway since 1974“.
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