Essen. Der Kanalanschluss ihres Hauses ist kaputt. Gabi Sticken soll zahlen. Dass der Lkw-Verkehr den Schaden verursacht haben dürfte, hilft ihr nicht.
Als eines Tages im Herbst das Wasser knöchelhoch im Keller stand und die Brühe auch noch übel roch, da schwante Gabi Sticken nichts Gutes. Ihre Ahnung sollte sie nicht täuschen. Der Kanalrohrdienst, den sie mit einer Dichtigkeitsüberprüfung beauftragte, stellte fest: Der Hausanschluss muss erneuert werden, die mehr als 50 Jahre alten Rohre aus Ton sind gebrochen und drohen ganz in sich zusammenzufallen.
Inzwischen liegt ihr ein Kostenvoranschlag vor: Die Reparatur würde sie inklusive Baustelleneinrichtung, das Bereitstellen einer Baustellentoilette und der Wiederherstellung der Fahrbahnoberfläche 23.845,16 Euro kosten. „Man hat mir gesagt, wenn ich das nicht machen lasse, steht die Brühe beim nächsten Mal bis zur Decke“, berichtet die Hauseigentümerin. Denn Regen und Abwasser könnten nicht mehr in den Hauptsammler abfließen.
Die Gladbecker Straße war einmal eine Wohnstraße mit Bäumen und Vorgärten
Das Mehrfamilienhaus, Baujahr 1906, steht an der Gladbecker Straße, eine der meistbefahrenen Straßen der Stadt. Damals und noch bis in die 1960er Jahre hinein war die Gladbecker Straße einmal eine relativ ruhige Wohnstraße mit bürgerlichen Häusern, Bäumen und Vorgärten, die bis auf die heutige Fahrbahn reichten. 1967 wurde die Gladbecker schließlich zur vierspurigen Bundesstraße ausgebaut. Aus dieser Zeit stammt auch der Abwasserkanal der Stadtwerke, der unter der Fahrbahn in Richtung Norden verläuft.

„Die Hausanschlüsse haben wir von der Stadt geschenkt bekommen“, sagt Reinhard Schmidt, der gleich nebenan wohnt, mit verbittertem Unterton. Denn das Geschenk erweist sich spätestens jetzt als vergiftet.
Denn: Die Abwasserentsorgung liegt zwar in Händen der Stadtwerke, doch der Hausanschluss ist nicht Bestandteil des öffentlichen Kanalnetzes. Für alles, was vom Haus bis zum Anschluss an den öffentlichen Abwasserkanal passiert, ist deshalb der Hauseigentümer zuständig. Diese Zuständigkeit endet laut Entwässerungssatzung der Stadt Essen eben nicht an der Grundstücksgrenze. Im Fall von Gabi Sticken geht es um insgesamt 14 Meter Kanalrohr, das sie auf eigene Kosten erneuern lassen darf.
Pech gehabt, könnte man sagen. Doch jeder, der die Gladbecker Straße schon einmal entlang gefahren oder, schlimmer noch, entlangspaziert ist, weiß, was dort los ist. Im Berufsverkehr reiht sich Stoßstange an Stoßstange. 47.000 Fahrzeuge sind es laut Verkehrszählung täglich. So übernimmt die Gladbecker Straße bis heute die Funktion der nicht gebauten A52, der formell immer noch geplanten Nord-Süd-Autobahn durch Essen, über die seit vielen Jahrzehnten politisch gestritten wird.
Die Folgen der Verkehrsbelastung sind mit bloßem Auge zu erkennen, der Asphalt wirft Wellen
Dass diese Verkehrsbelastung im wahrsten Sinne des Wortes Spuren hinterlässt, kann man mit bloßem Auge erkennen. Der Asphalt wirft stellenweise Wellen wie ein Teppichläufer, Kanaldeckel sind von der Schwerlast verschoben und glattpoliert.
Man braucht kein Tiefbauingenieur zu sein, um sich vorzustellen, dass auch der Untergrund unter dieser Belastung leidet. Die Stadtwerke haben dies bestätigt, als sie 2013 an der Kreuzung Gladbecker Straße/Krablerstraße ein Stück des öffentlichen Kanalnetzes erneuerten.
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Das in vier Meter Tiefe liegende Rohr war marode und teilweise eingebrochen. Zur Ursache erklärten die Stadtwerke seinerzeit, es genüge ein Blick auf den Verkehr; vor allem die vielen schweren Lkw auf der Gladbecker Straße dürften wesentlich zur vorzeitigen Materialermüdung beigetragen haben, hieß es. Was damals galt, dürfte heute auch im aktuellen Fall gelten, meinen Anwohner.
Bei einem kaputten Hausanschluss wird es nicht bleiben, so ihre Sorge. Dass sie für eine Reparatur tief in die eigene Tasche greifen müssten wie ihre Nachbarin Gabi Sticken, empfinden sie als ungerecht. Reinhard Schmidt, selbst Stadtplaner von Beruf, formuliert es so: „Erst zerstören sie unsere Gesundheit und unsere Häuser. Nun gehen sie uns auch noch ans Geld.“
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Dem Verkehr an der Gladbecker Straße mit all seinen negativen Folgen fühlen sie sich hilflos ausgeliefert. Versuche seitens der Stadt, diese als unerträglich empfundene Situation irgendwie zu verbessern, seien allenfalls halbherzig. So hat die Stadt schon 2006 ein Lkw-Verbot erlassen, an Werktagen stadteinwärts von 7 bis 13 Uhr. Nur werde nicht kontrolliert, ob dieses Verbot auch eingehalten wird. Beim Gesprächstermin vor Ort an einem Vormittag Mitte der Woche rumpeln jedenfalls Sattelschlepper und Autotransporter lautstark über die deformierte Fahrbahn.
Im Essener Rathaus denken sie laut über einen Tunnel unter der Gladbecker Straße nach
Ausführungen der Stadtverwaltung zur Lebenssituation an der Gladbecker Straße lesen sich hilflos oder geben Anlass für Spott. Der Vorschlag aber, die Stadt Essen möge Häuser erwerben, um sie abzureißen, war tatsächlich ernst gemeint und verlief wie so viele Anläufe im Sande.
Aktuell denken sie im Rathaus laut über einen Tunnel nach. Die Rede ist von einer „rudimentären Voruntersuchung“. Dass die Stadt vorgebe, darüber nachzudenken, diene dann wiederum als Begründung, ansonsten nichts zu tun, kritisiert Reinhard Schmidt. Doch selbst wenn man dem Bau eines in jedem Fall aufwendigen Tunnels eine Chance einräumt, wird sich an der Gladbecker Straße in absehbarer Zeit nichts zum Besseren ändern.
Was die Sanierung maroder Hausanschlüsse angeht, macht die Entwässerungssatzung übrigens keinen Unterschied zwischen Bundesstraße, Landstraße oder städtischer Straße. Das mag man gerecht finden oder nicht: Gabi Sticken hat die Kanalbaufirma bereits beauftragt. „Was bleibt mir anderes übrig“, sagt sie.
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