Essen. Mit dem „Rahmenplan Gladbecker Straße“ wollte die Stadt Essen die Lebensverhältnisse verbessern. Warum die Umsetzung nun eingestellt wurde.

Deckel drauf und zu: Mit dem 2016 aufgestellten „Rahmenplan Gladbecker Straße“ hat die Stadt Essen es sich zum Ziel gesetzt, die Lebensverhältnisse an der hochbelasteten Bundesstraße im Essener Norden nachhaltig zu verbessern. Nun hat die Stadtverwaltung die Umsetzung offiziell für beendet erklärt. Dabei fällt die Bilanz nach sechs Jahren mehr als dürftig aus. Auf der Gladbecker Straße staut sich noch immer täglich der Verkehr, die Menschen leiden unter Lärm und Abgasen, als hätte es besagten Plan nie gegeben.

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Dabei war es für die Stadt Essen nicht der erste Anlauf: Schon 1991 beschrieb ein „städtebauliches Rahmenkonzept“ die Situation vor Ort und nannte die Probleme beim Namen, darunter „die Beeinträchtigung der Wohnqualität durch Emissionen“.

Schon 1991 benannte die Stadt Essen die Probleme in Altenessen-Süd

Wörtlich heißt es in dem Papier: „Hier fallen vor allem die stark belasteten Straßen ins Gewicht.“ Schon vor mehr als 30 Jahren galt das allen voran für die Gladbecker Straße. Problem erkannt, ohne dass sich für die betroffenen Anwohner seitdem etwas zum Besseren verändert hätte. Nur der Verkehr vor ihren Haustüren hat weiter zugenommen. Mit täglich 47.000 Fahrzeugen zählt die Gladbecker Straße hinsichtlich der Luftbelastung zu den sogenannten „Hotspots“. Immerhin wurden aber die Grenzwerte zuletzt nicht mehr überschritten.

Laut Rahmenplan wollte die Stadt Abhilfe schaffen, indem sie ganze Häuserzeilen aufkauft und abreißt. Die schlechte Luft sollte sich nicht länger in der Straßenschlucht aufstauen. Dafür erntete sie beißenden Spott von Satiriker Oliver Welke in der ZDF Heute Show und Kopfschütteln bei betroffenen Eigentümern. „Die Stadt hat unsere Häuser damit zu Schrottimmobilien erklärt“, ereifert sich Stadtplaner Reinhard Schmidt, der an der Gladbecker Straße wohnt wie schon seine Eltern und Großeltern. Auf alten Fotos hat das Haus noch einen Vorgarten, auf der Gladbecker Straße herrscht nur wenig Verkehr. Lange her.

Reinhard Schmidt wohnt an der Gladbecker Straße. Von der Stadt Essen fühlt sich der Stadtplaner alleingelassen.
Reinhard Schmidt wohnt an der Gladbecker Straße. Von der Stadt Essen fühlt sich der Stadtplaner alleingelassen. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Mit dem Versuch, Häuser aufzukaufen, ist die Stadt krachend gescheitert. Einige Besitzer hätten zwar durchaus Interesse an einem Verkauf gezeigt, heißt es aus dem Amt für Stadtentwicklung. Doch die Preisvorstellungen lagen offenbar zu weit auseinander. Zudem sind die Häuser bewohnt. Adäquaten Ersatz konnte die Stadt den Eigentümern offenbar nicht anbieten.

Im weiteren Verlauf der Gladbecker Straße zwischen Bäuminghausstraße und Krablerstraße unternahm die Stadt gar nicht erst den Versuch, Häuser zu erwerben – auch wegen der teils komplizierten Eigentumsverhältnisse. So verteilt sich ein Mehrfamilienhaus auf zwölf, ein weiteres Haus gar auf 22 Eigentümer. Entsprechend gering schätzt die Verwaltung wohl die Erfolgschancen ein, die Immobilien in Gänze und zu einem angemessenen Preis kaufen zu können.

Die Stadt Essen wollte Häuser an der Gladbecker Straße kaufen und dann abreißen

Statt Millionen von Euro in den Ankauf von Immobilien zu investieren, um sie anschließend abzureißen, hat die Stadt dieses Vorhaben nun zu den Akten gelegt. Der „Rahmenplan Gladbecker Straße“ erschöpft sich ansonsten im Wesentlichen in der Gestaltung von Grünflächen. Auch von einer „Optimierung der Verkehrszuflüsse“ ist die Rede. An den Ampelschaltungen wird bereits experimentiert. Ein „Lärmschutzfensterprogramm“, von dem Hauseigentümer an der Gladbecker Straße profitieren sollen, muss erst noch vom Rat beschlossen werden. Gemessen am großen Wurf, den der Begriff „Rahmenplan“ verheißt, ist das aus Sicht von Kritikern allenfalls Kosmetik.

Reinhard Schmidt ist nach eigenen Worten jedenfalls fassungslos. Den Entscheidungsträgern in Politik und Stadtverwaltung spricht der Stadtplaner den ernsthaften Willen ab, etwas für die Menschen an der Gladbecker Straße zu tun. Im Gespräch mit der Redaktion kramt Schmidt eine Zeitungsausgabe aus Sommer 2020 hervor und zitiert Oberbürgermeister Thomas Kufen sinngemäß: Autos müssen Platz abgeben! Wenn nötig, müsse der Straßenraum umverteilt werden.

Im Rat der Stadt setzt man auf die Entwicklung von „Freiheit Emscher“

An der Gladbecker Straße könne davon keine Rede sein, kritisiert Schmidt. Das von der Stadt propagierte Ziel, den Autoverkehr, den Rad-, Fuß- und Öffentlichen Personennahverkehr gleichmäßig zu verteilen, hält Schmidt, was den Essener Norden angeht, für ein Lippenbekenntnis.

Was nun? Indem die Stadt den Rahmenplan für beendet erklärt, sei das Problem nicht aus der Welt.

In der Bezirksvertretung versucht es die SPD mit kleinen Schritten: Tempo 30, Geschwindigkeitskontrollen, weil nachts häufig gerast wird, Flüsterasphalt. Die Stadtverwaltung möge das prüfen. Auch, ob sich ein Radweg anlegen ließe. Schon das „städtebauliche Rahmenkonzept“ von 1991 legt der Stadt dies übrigens nahe.

In der Bezirksvertretung erhielten die Sozialdemokraten dafür Zustimmung, doch im Rat der Stadt konnten sie damit bislang nicht durchdringen. Dort setzt man neue Verkehrswege durch die Entwicklung der ehemaligen Kohlelagerflächen am Rhein-Herne-Kanal unter dem Slogan „Freiheit Emscher“.

„Wir brauchen nicht nur eine Umgehungsstraße für Vogelheim, sondern auch für Altenessen“, sagt in diesem Zusammenhang Christoph Kerscht, planungspolitischer Sprecher der Grünen. Bis „Freiheit Emscher entwickelt und ein Verkehrskonzept umgesetzt ist, dürften allerdings noch Jahre vergehen.