Essen. Wohin steuert Linda Kisabaka die Ruhrbahn? Wo die neue Chefin des städtischen Verkehrsunternehmens die größten Herausforderungen sieht.
WAZ: Frau Kisabaka, wie kommt eine Olympiasiegerin zur Ruhrbahn?
Kisabaka: Das ergibt sich aus meinem beruflichen Werdegang: Ich habe nach dem Abitur Betriebswirtschaft studiert. Dann war ich sechs Jahre lang Profisportlerin, nebenbei habe ich meine Doktorarbeit geschrieben. Nach meiner Karriere als Leichtathletin habe ich in einer Unternehmensberatung als Strategieberaterin angefangen. Danach ging es zu DB Regio und von dort weiter zu Abellio...
Unternehmensberatern geht der Ruf voraus, dass sie einen Betrieb umkrempeln, alles von links auf rechts drehen und wieder verschwinden.
Ein anderes Klischee besagt, Unternehmensberater produzieren sehr viele Folien, aber nichts davon wird umgesetzt. Richtig ist: Wenn es an die Umsetzung geht, waren wir Strategieberater nicht mehr dabei. Das hat mir nicht gefallen. Mich reizt die Umsetzung, also das operative Geschäft.
Zuletzt waren Sie Geschäftsführerin des Augsburger Tarif- und Verkehrsverbundes. Was entgegnen Sie jemandem, der meint, die Ruhrbahn mit 2500 Beschäftigten sei eine Nummer zu groß?
Ich würde entgegnen, dass ich schon bei DB Regio in der Regionalleitung tätig war. Da waren es um die 3000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bei Abellio war ich eigenverantwortlich für einen ähnlich großen Bereich zuständig. Beim Augsburger Verkehrsverbund hatte ich es mit vier Gesellschaftern zu tun. Insofern kommen bei der Ruhrbahn verschiedene Mosaiksteine aus meinem Berufsleben zusammen: die Führung großer Unternehmen und der gute Kontakt zu kommunalen Gesellschaftern.
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Bei der Ruhrbahn sind es nur zwei Gesellschafter: Essen und Mülheim, zwei Städte, die nicht immer in die gleiche Richtung steuern. Essen baut den Nahverkehr aus, Mülheim fährt das Angebot eher zurück, zumindest im Schienenverkehr.
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Ein Konstrukt wie die Ruhrbahn muss nicht überall das gleiche Angebot anbieten. Das habe ich in Augsburg gelernt. Jede Zusammenlegung von Nahverkehrsunternehmen beinhaltet Grenzen, sofern es verschiedene Aufgabenträger gibt, die diese Rolle auch wahrnehmen. Allein dadurch kann es Unterschiede geben, so auch zwischen Essen und Mülheim.
Ihr Vorgänger ist auch an dem Konstrukt der Ruhrbahn gescheitert, quasi als Diener zweier Herren. Obwohl ein anerkannter Fachmann wurde sein Vertrag nicht verlängert. Welche Lehre ziehen sie daraus?
Ich habe das nur aus der Ferne beobachtet. Insofern ist es schwierig für mich, es zu beurteilen. Herr Feller war ja sehr lange im Unternehmen. Diese Chance, aus der Unternehmenshistorie heraus mitzugestalten, habe ich nicht. Ich will aber versuchen mir aus meinen Erfahrungen heraus Wissen aufzubauen. Eine andere Lehre kann ich daraus nicht ziehen.
Oberbürgermeister Thomas Kufen hat vor Jahren die Vision eines Nahverkehrsunternehmens für das ganze Ruhrgebiet entworfen. Die Ruhrbahn sollte nur der Anfang sein. Schon der Versuch, enger mit der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahngesellschaft (Bogestra) zusammenzurücken durch einen gemeinsamen Vorstand, ist gescheitert.
Zur Person
Linda Kisabaka kommt aus Wuppertal. Öffentlich bekannt wurde die heute 55-Jährige als erfolgreiche Leichtathletin. 1996 gewann sie bei den Olympischen Spielen in Atlanta mit der 4x400-Meterstaffel die Bronzemedaille. Nach ihrer Karriere als Sportlerin schlug sie eine andere Laufbahn ein: Als studierte Betriebswirtin machte sie ihren Doktor, arbeitete für Unternehmensberatung, bevor sie für die DB Regio in Leipzig tätig war. Von dort wechselte Kisabaka zum privaten Verkehrsunternehmen Abellio. Schließlich übernahm sie die Geschäftsführung des Augsburger Tarif- und Verkehrsverbundes. Seit Jahresbeginn ist sie Sprecherin der Geschäftsführung der Ruhrbahn. Linda Kisabaka ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Mein Ansatz ist, mit dem vorhandenen System pragmatisch umzugehen. Wir haben im Ruhrgebiet verschiedene Gebietskörperschaften. Die Frage ist: Wie können wir Synergien schaffen? Wir werden Gespräche mit anderen Verkehrsunternehmen führen, wie wir enger zusammenarbeiten können, ohne dass sich die durch uns nicht beeinflussbare Struktur ändern muss.
Wie würden Sie ihren Führungsstil beschreiben?
Ich versuche partizipativ zu Ergebnissen zu kommen. Ein komplexes Unternehmen wie ein Nahverkehrsunternehmen lebt davon, dass sämtliche Entscheidungen von allen Seiten beleuchtet werden. Dabei ist mir Kommunikation sehr wichtig, auch mit den Gesellschaftern und der Politik. Mein Ansatz ist, mit Fachlichkeit zu beraten, um gemeinsam Lösungen zu finden.
Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit mussten Sie eine durchaus umstrittene Entscheidung vertreten, die andere getroffen haben: den Kauf von 40-Meter-Bahnen.
Natürlich hatte auch ich Fragen...
Zum Beispiel, warum die Ruhrbahn eine neue Werkstatt baut, die für 40-Meter-Bahnen zu klein ist?
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Auch das wurde mir erläutert. Die Werkstatt war schon im Bau, als man sich für längere Bahnen entschied. Die Alternative wäre gewesen, auf Doppeltraktion zu setzen, also zwei 30-Meter-Bahnen aneinanderzukoppeln. Das würde noch viel höhere Infrastrukturkosten nach sich ziehen.
Viele Haltestellen müssten für eine Doppeltraktion umgebaut werden.
Auch deshalb war die Entscheidung richtig. Ich sehe in der 40-Meter-Bahn die Chance, das ÖPNV-Angebot weiterzuentwickeln. Auf den Hauptachsen sind unsere Bahnen heute schon voll. Es ist also nicht zu befürchten, dass wir heiße Luft herumfahren.
Hält sich die Ruhrbahn mit den größeren Bahnen auch die Option offen, die Taktzeiten auszudünnen? Die Bahn kommt seltener, aber dafür kommen alle Leute mit?
Das könnte im schlimmsten Fall ein Szenario sein. Die Frage ist: Haben wir in Zukunft genügend Personal, um das Angebot, das wir anbieten wollen, auch anbieten zu können? Wenn ich mir die demographische Entwicklung ansehe, kommen auch auf die Ruhrbahn schwere Zeiten zu. Überall gehen die Babyboomer in den nächsten Jahren in Rente. Wir können nicht in die Glaskugel gucken, aber wir leben in Zeiten, in denen sich viel verändert. Insofern ist es sinnvoll verschiedene Optionen zu haben. Aber wenn überhaupt, müssen wir eher auf die Randbereiche schauen und uns fragen, wie man den Nahverkehr dort intelligent gestaltet.
Sie meinen die Busverbindungen in weniger dicht besiedelten Stadtteilen?
Langfristig muss man sich das angucken. Ich habe noch keine Lösung, aber ich glaube dort besteht eher der Bedarf, sich kapazitätsgerecht aufzustellen.
Indem Linienbusse seltener fahren?
Es gibt ja auch On-Demand-Modelle, die man intelligent einsetzen könnte.
Also öfter „Bussi“ statt Busse?
Langfristig bietet sich auch die Möglichkeit autonom fahrender Shuttle-Busse. Es könnte sich sehr viel bewegen im ÖPNV.
Auch ein solches Angebot müsste die Ruhrbahn erst finanzieren. Zuletzt lag der jährliche Zuschuss der Stadt jenseits von 100 Millionen Euro. Geht das so weiter?
Wie die Kosten sich entwickeln werden, hängt sehr stark von den Personal- und den Energiekosten ab. Wir gehen davon aus, dass beide weiter steigen. Nichtsdestotrotz können wir nicht unendlichen Zuschussbedarf anmelden. Die spannende Frage, vor der die ganze Branche steht, ist: Wie geht es mit der Finanzierung des ÖPNV weiter? Da bedarf es eines Konzeptes von Bund, Ländern und Kommunen. Schon die Streichung der Förderprogramme für emissionsarme Fahrzeuge lässt leider nicht viel erwarten.
Wo sehen Sie die Ruhrbahn in fünf Jahren?
Ich kann da nur Wünsche äußern: einen stabiler Betrieb, gute Qualität und ein bedarfsgerechtes Angebot. Ein solches finanzierbar zu gestalten, wird die größte Herausforderung sein.
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