Essen. Ein Mann sucht seinen Vater – und liefert so viele Indizien, dass das Bistum Essen erwägt, die Gruft des Gründungsbischofs zu öffnen. Doch die Stadt winkt ab.

„Alles muss auf den Tisch, auch wenn Denkmäler fallen“, so hatte es Georg Bätzing formuliert: Es war die bittere Erkenntnis des Vorsitzenden in der Deutschen Bischofskonferenz, als vor gut einem Jahr schier ungeheuerliche Vorwürfe öffentlich wurden – Anschuldigungen gegen den einstigen Ruhrbischof und späteren Kardinal Franz Hengsbach, der vor vielen Jahren zwei Frauen sexuelle Gewalt angetan haben soll. Schon damals löste der Verdacht ein Beben nicht nur im Bistum Essen aus, jetzt aber setzt eine Anfrage von außen dem Kirchen-Skandal die Krone auf: Hatte Franz Hengsbach einen Sohn?

Die Frage nach einer möglichen Vaterschaft Hengsbachs platzt in die zölibatäre Welt der katholischen Kirche

Die Frage ist so banal wie explosiv. Sie hat das Zeug, auch bei treuen Christen den letzten Rest von Vertrauen in eine katholische Kirche zu atomisieren, die ihren Gläubigen hohe moralische Standards abverlangt und ihrem Klerus neben allerlei theologischen Fertigkeiten vor allem dies: sexuelle Enthaltsamkeit.

Die „Adveniat-Krypta“ im Essener Dom wurde 1981 geschaffen und dient als Grabstätte für die Bischöfe des Bistums Essen. Gründungsbischof Franz Kardinal Hengsbach wurde hier nach seinem Tod im Juni 1991 im Boden beigesetzt.
Die „Adveniat-Krypta“ im Essener Dom wurde 1981 geschaffen und dient als Grabstätte für die Bischöfe des Bistums Essen. Gründungsbischof Franz Kardinal Hengsbach wurde hier nach seinem Tod im Juni 1991 im Boden beigesetzt. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

In diese zölibatäre Welt platzte Anfang des Jahres die konkrete Anfrage eines Mannes mittleren Alters aus Nordrhein-Westfalen, der gerne wüsste, wer sein leiblicher Vater ist. Und der, so scheint es, ein gerüttelt Maß an Indizien dafür liefert, dass es sich dabei um den einstigen Ruhrbischof handeln könnte.

Was der Mann an biografischen Versatzstücken liefern konnte, war fürs Bistum offenbar durchaus plausibel

Ein Trittbrettfahrer der aktuellen Missbrauchs-Debatte im Bistum? Ein Wichtigtuer im Angesicht laufender Studien zu Hengsbachs Rolle als potenziellem Sexual-Straftäter? Womöglich nicht: Mit der Suche des Mannes nach seinem Vater wurde das Bistum dem Vernehmen nach schon konfrontiert, als Hengsbachs vermeintliche Verfehlungen noch gar nicht öffentlich in der Welt waren.

Und was immer der Mann da an biografischen Bruchstücken liefern konnte – im Bischöflichen Generalvikariat nahmen sie ihn augenscheinlich so ernst, fand man die Mutmaßung wohl so plausibel, dass bereits im Sommer intern die Frage besprochen wurde, wie dem Manne bei der Aufklärung seiner Herkunft zu helfen wäre. Schließlich könnte seine persönliche Geschichte auch ein Stück Geschichte der Kirche im Ruhrgebiet sein.

Nur vier Monate nach Annahme seines Rücktritts-Gesuchs durch Papst Johannes Paul II. starb Kardinal Franz Hengsbach am 24. Juni 1991 im Alter von 80 Jahren. Tausende Gläubige nahmen tags darauf Abschied im Essener Dom.
Nur vier Monate nach Annahme seines Rücktritts-Gesuchs durch Papst Johannes Paul II. starb Kardinal Franz Hengsbach am 24. Juni 1991 im Alter von 80 Jahren. Tausende Gläubige nahmen tags darauf Abschied im Essener Dom. © Ulrich von Born

Ein Kontakt des Bistums mit dem rechtsmedizinischen Institut der Universitätsklinik Essen ergab: Auch so viele Jahre nach dem Tod des ebenso berühmten wie beliebten Kirchenmannes gibt es zwei Varianten, die Frage der Abstammung zu beantworten. Der einfachste und sicherste Weg wäre wohl, das Erbgut des Mannes mit Verwandten Hengsbachs zu vergleichen. Infrage kämen für einen solchen DNA-Abgleich allerdings nur männliche Nachkommen von Geschwistern des einstigen Ruhrbischofs. Und wenn die Informationen aus dem Kreis der Familie stimmen, sind dazu schlicht nicht alle bereit. Jedenfalls nicht auf freiwilliger Basis. Die Beweggründe? Unbekannt.

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Aber es gibt ja auch noch einen anderen Weg: Er besteht darin, den Leichnam des einstigen Ruhrbischofs und Kardinals Franz Hengsbach gut 33 Jahre nach dessen Tod exhumieren zu lassen. „Tote und Aschenreste dürfen nur mit Genehmigung der örtlichen Ordnungsbehörde, in deren Bezirk sie bestattet worden sind, ausgegraben werden.“ So will es das Bestattungsgesetz NRW, also rang sich das Bistum im Sommer dieses Jahres unter dem Signum „persönlich/vertraulich“ zu einer entsprechenden Anfrage bei der Essener Stadtverwaltung durch.

Eine Handvoll massiver Ankerschrauben – mehr blieb nicht zurück von jenem Denkmal, das den Ruhrbischof auf dem Domhof als guten Hirten zeigte. Die Statue wurde nur sechs Tage nach der Veröffentlichung gravierender Missbrauchsvorwürfe gegen Kardinal Hengsbach abgebaut.
Eine Handvoll massiver Ankerschrauben – mehr blieb nicht zurück von jenem Denkmal, das den Ruhrbischof auf dem Domhof als guten Hirten zeigte. Die Statue wurde nur sechs Tage nach der Veröffentlichung gravierender Missbrauchsvorwürfe gegen Kardinal Hengsbach abgebaut. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Ein Schritt, der die örtlichen Kirchenoberen durchaus einiges an Überwindung gekostet haben dürfte, denn das Grab in der sogenannten „Adveniat-Krypta“ des Essener Domes zu öffnen, um aus den sterblichen Überresten Hengsbachs genügend DNA-Material für die Klärung einer Abstammungsfrage zu gewinnen – das dürfte wohl kaum ohne einiges Aufhebens, ohne wütende Proteste mancher Gläubiger und die passende mediale Begleitung zu machen sein.

Die Stadtverwaltung lehnte die Exhumierung Hengsbachs ab: Es gebe schließlich noch eine Alternative

Insofern dürfte die Wochen später eingegangene Antwort aus dem Rathaus in der benachbarten Bistums-Zentrale auch für ein gutes Stück Erleichterung gesorgt haben: In dem Schreiben verweist die Stadtverwaltung auf das „postmortale Persönlichkeitsrecht“ des Verstorbenen, das hohe Gut der Totenruhe. Und auf den Umstand, dass sich die Frage, ob der Kardinal womöglich einen Sohn hat, ja mit weit weniger heiklen Methoden klären ließe: mit eben jenem DNA-Abgleich etwa, den einige angefragte Verwandte freiwillig nicht akzeptieren mögen.

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Tatsächlich ließe sich der Widerstand gegen eine solche Aufklärung ohne weiteres brechen, sollte es in einem Verfahren vor dem Familiengericht um die Vaterschaft gehen. Denn auch der Wunsch, seine eigene Herkunft zu klären, ist ein verbrieftes Recht. „Soweit es zur Feststellung der Abstammung erforderlich ist, hat jede Person Untersuchungen, insbesondere die Entnahme von Blutproben, zu dulden, es sei denn, dass ihr die Untersuchung nicht zugemutet werden kann“. So heißt es immerhin in Paragraf 178 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen.

Ob der bislang anonym gebliebene Mann ein juristisches Verfahren anstrebt, ist derzeit unbekannt

Die Verwandten würden also auf juristischem Weg zur Abgabe von Gen-Material gezwungen. Ob der bislang anonym gebliebene Mann ein solches Verfahren anstrengen will, es womöglich schon angestrengt hat, ist unbekannt: Derlei Verfahren sind grundsätzlich nicht öffentlich. Am Ende kommt dann womöglich doch nicht alles auf den Tisch.

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