Essen. Karl-Heinz Mauermann erzählt die Lebensgeschichte seiner Pflegemutter von der Weimarer Republik bis heute in dem Roman „Der Nachtrabe“.
Seine Biografie ist weder geradlinig noch eindimensional und so sind auch seine Werke: seit rund 40 Jahren vielschichtig. Der Künstler Karl-Heinz Mauermann passt in keine Kategorie. Immer laden seine Arbeiten dazu ein, zwischen den Zeilen zu lesen. So wie sein erster Roman „Der Nachtrabe“, der biografisch wie historisch geprägt und in Essen und im Urlaubsort Kiefersfelden angesiedelt ist. Er berichtet vom Leben seiner Pflegemutter, die in die Demenz abgleitet. Und von seinem eigenen.
- Die Lokalredaktion Essen ist auch bei WhatsApp! Abonnieren Sie hier unseren kostenlosen Kanal: direkt zum Channel!
Ein Essener Junge mit Schlafproblemen lernt den Nachtraben kennen
Karl-Heinz Mauermann wäre niemals Künstler und Lehrer geworden, wenn seine Mutter ihn nicht abgegeben hätte. Die Eltern waren Steelenser Lebensmittelhändler und hatten keine Zeit für ihn. Also wuchs er bei der Freundin der Mutter und der Oma auf. „Ich war ein sehr ängstliches Kind, das nur einschlafen konnte, wenn ein Erwachsener im Schlafzeug neben mir lag“, erinnert er sich. Die Drohung einer Besucherin, dass der Nachtrabe ihn holt, wenn er nicht einschläft, nutzte nichts. Aber die Angst hatte eine Gestalt.
Heute sitzt er da mit weißem Rauschebart und langen Haaren, wie er sie seit jeher trägt und spricht ohne Scheu. Er hat Germanistik, Philosophie, Kunstpädagogik und Grafik-Design studieren können und hat Kunst gemacht. Zeichnungen, experimentelle Videos, Performances, Objekte umfassen seine Arbeiten, die nicht selten an Schnittstellen zu Literatur, Musik und Klang entstanden sind. „Der goldene Tisch für den Essener Oberbürgermeister“ (damals Wolfgang Reiniger) gehört zu den bekannteren Werken und lässt sich vor dem Hintergrund des Millionendefizits der Stadt auch gesellschaftskritisch lesen.
Er hat lange als Kunstmanager Projekte realisiert, Ausstellungen organisiert und 20 Jahre als Lehrer Deutsch und Kunst in Recklinghausen und Essen unterrichtet. „Meine leibliche Mutter hat nie verstanden, womit ich mein Geld verdiene“, weiß er. „Aber beide (Mütter) haben ihr Bestes gegeben, um mich großzuziehen. Ich habe versucht, ihnen einen guten Lebensabend zu gestalten“, so Mauermann. Leicht war das nicht, denn beide sind nach und nach an Demenz erkrankt: „Ich habe gelitten.“
Wie die aufs Äußere bedachte Pflegemutter in der Demenz verfällt
Seine Pflegemutter, die er als exzentrischen Charakter mit gepflegtem Äußeren beschreibt, wird zusehends aggressiv und nachlässig, muss am Lehnstuhl festgeschnallt werden, damit sie sich nicht selbst verletzt. „Sie hat mich und meine Frau mit Anrufen terrorisiert. Schlimm ist die Phase, wenn die Menschen merken, dass sie etwas verlieren. Oder die Panik zu erleben, wenn sie nicht wissen, wo sie sind“, schildert der 65-Jährige die belastende Situation. Angehörige von Demenzkranken kennen die Stationen des Verfalls nur zu gut und finden sich in seinen Worten wieder. Dabei erfüllt das Buch „keinen therapeutischen Zweck“, sondern offenbart seine Freude am Fabulieren.
Doch das steht am Ende eines bewegten Frauenlebens, das zum Vorbild für die zentrale Figur in seinem Buch „Der Nachtrabe“ wurde. Es beginnt in der Weimarer Republik, führt durch den Nationalsozialismus in die heutige Zeit. „Ich interessiere mich sehr für deutsche Geschichte und habe viel recherchiert. Ich wollte ja kein Märchen schreiben“, betont der heute in Kupferdreh ansässige Autor, der stets auch Essener Geschichte im Blick hat. Detailreich schreibt er, spielt mit der Sprache und lässt schwarzen Humor anklingen. „Mit Humor ist es leichter zu ertragen“, meint er.
Lesungen vereinbaren
Der Roman „Der Nachtrabe“ von Karl-Heinz Mauermann ist im Hummelshain Verlag (ISBN 9783910971172) erschienen, 208 Seiten, 22 Euro.
Der Autor möchte mit Angehörigen von Demenzkranken ins Gespräch kommen und bietet u.a. für Gruppen, Vereine, Kirchengemeinden Lesungen an. Interessierte können eine E-Mail schreiben an: mauermann@semantic-error.de
Nicht alles ist wahr. Der Besuch der Lichtburg zu Kriegszeiten schon. „Es ist eines meiner Lieblingskapitel“, sagt er. Eine absurde und schreckliche Situation zugleich. Gezeigt wurde Anfang der 1940er Jahre „Die große Liebe“ mit Zarah Leander, die Durchhalte-Lieder wie „Davon geht die Welt nicht unter“ singt. Es gab einen Bombenalarm. „Wir kamen aus dem Bunker und die Essener Innenstadt lag in Trümmern“, erzählt sie ihm. Karl-Heinz Mauermann fragt sich, ob das wahr sein kann und findet den Beweis in der WAZ: „Ich habe den Bericht einer Frau gelesen, die genau das erlebt hat.“
Dagegen ist der Flug nach Shanghai im Roman erfunden. Diese Freiheit nimmt sich der Autor, in dem er die Frage stellt, wie ehrlich unsere Erinnerungen wirklich sind. Deshalb hat er bei allem Respekt für seine Hauptfigur ein Stück ihrer Biografie ausgedacht. Dichtung und Wahrheit liegen dicht beieinander. In welchem Verhältnis? „Fifty-fifty“, sagt er.
- Wohnungsloser bei eisiger Kälte auf der Rü: „Man härtet ab“
- Seaside Beach: Diese Acts spielen 2025 Open-Air in Essen
- Parkleuchten in Essen: Was Gruga-Besucher 2025 erwartet
- Uniklinik klagt gegen Reform: Das ist ein Schlag ins Gesicht
- Film aus dem OP: Schüler sehen Krebs-Eingriff ihrer Lehrerin
[Essen-Newsletter hier gratis abonnieren | Folgen Sie uns auch auf Facebook, Instagram & WhatsApp | Auf einen Blick: Polizei- und Feuerwehr-Artikel + Innenstadt-Schwerpunkt + Rot-Weiss Essen + Lokalsport | Nachrichten aus: Süd + Rüttenscheid + Nord + Ost + Kettwig und Werden + Borbeck und West | Alle Artikel aus Essen]