Essen. Die Uniklinik Essen soll keine Geriatrie-Patienten mehr behandeln. In einer alternden Gesellschaft sei das ein fataler Fehler, sagt ein Chefarzt.

An der Uniklinik Essen sollen künftig keine Geriatrie-Patienten mehr behandelt werden. Die Krankenhaus-Reform von Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann streicht die Altersmedizin komplett aus dem Leistungskatalog der universitären Kliniken. Das Uniklinikum Essen hatte dagegen im Sommer Widerspruch eingelegt. Doch der erwies sich nun als erfolglos.

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„Alte Menschen werden schon jetzt in der Forschung zu wenig berücksichtigt – wer soll das denn machen, wenn nicht wir?“, fragt Prof. Dr. Christoph Kleinschnitz. Er ist am Uniklinikum Direktor der Klinik für Neurologie, in deren Bereich auch etliche altersbedingte oder -assoziierte Krankheiten von Schlaganfall bis Demenz fallen. Als im Zuge der Krankenhausreform die Planungen der Kliniken abgefragt wurden, beantragte die Uniklinik Essen 800 Geriatrie-Fälle – und erhielt keinen.

Uniklinik sieht Forschungsprojekte zu alten Patienten in Gefahr

Den anderen drei Trägern in Essen wurden dagegen die gewünschten Zahlen bewilligt: Sie hätten schon bisher höhere Fallzahlen gehabt; und da man Leistungen bündeln wolle, sei „ein zusätzlicher Standort im Stadtgebiet Essen für die Versorgungssicherheit nicht notwendig“. Die Uniklinik argumentierte in ihrem Widerspruch im Sommer, dass es um die Behandlung „geriatrischer Patienten mit komplexen Krankheitsbildern“ gehe, für die man die richtige Anlaufstelle sei.

Das Uniklinikum betonte, man wolle die Geriatrie auch in Forschung und Lehre ausbauen und hoffe dafür zumindest auf Zuweisung von 400 Fällen. So könne man auch Teilnehmer für Studien rekrutieren und laufende Projekte in Forschungs-Verbünden fortsetzen, die sonst in Gefahr seien. Doch das Ministerium hielt an seiner Haltung fest, die Geriatrie in der Grund- und Regelversorgung anzusiedeln.

Prof. Dr. Christoph Kleinschnitz, Direktor der Klinik für Neurologie der Universitätsklinik Essen.

„Es wird viel über die alternde Gesellschaft, über die Schrecken der Demenz geredet, und gleichzeitig kommen alte Menschen in der Forschung viel zu kurz. Da ist es nicht sinnvoll, die alten Patienten aus den Unikliniken zu verdrängen.“

Prof. Dr. Christoph Kleinschnitz, Direktor der Klinik für Neurologie der Universitätsklinik Essen

Prof. Kleinschnitz betont jetzt, dass er Laumanns Reform und die damit verbundene Spezialisierung der Kliniken und Bündelung von Disziplinen an weniger Standorten für sinnvoll halte. Die Uniklinik habe auch nicht darauf hingearbeitet, in der Breite Geriatrie-Patienten von etablierten Standorten wie dem Philippusstift in Borbeck übernehmen zu wollen. Vielmehr gehe es um die Möglichkeit, Studenten wie nicht-ärztliches Personal mit Blick auf die besonderen Bedürfnisse und Krankheitsbilder alter Menschen auszubilden, die auch schwierige ethische Fragen berührten.

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Auch erhoffe man sich bei Krankheiten des Alters, die angesichts der demografischen Entwicklung immer mehr Menschen betreffen, Fortschritte in Diagnose und Behandlung. Hoffnungsvolle Ansätze, die wissenschaftlicher Begleitung bedürften, gebe es aktuell bei einer neuen Gruppe von Alzheimer-Medikamenten. „Es wird viel über die alternde Gesellschaft, über die Schrecken der Demenz geredet, und gleichzeitig kommen alte Menschen in der Forschung viel zu kurz“, bedauert Kleinschnitz. „Da ist es nicht sinnvoll, die alten Patienten aus den Unikliniken zu verdrängen.“ Denn Laumanns Entscheidung betreffe alle sechs Unikliniken in NRW.

Schon jetzt fehlen Plätze für die Reha von Schlaganfallpatienten

Mit 400 Fällen hätte man in Essen eine kleine Geriatrie-Station von 20 bis 30 Betten aufbauen können. Genug, um die begonnene Ausrichtung der Geriatrie in Forschung, Lehre und Patientenversorgung fortzusetzen. Ein dafür vorgesehener Modulbau (der auch andere Abteilungen beherbegen soll) sei bereits im Bau. „Wir haben aktuell ein Riesenproblem, unsere Schlaganfallpatienten zur Reha in geriatrische Stationen zu verlegen,weil dort Plätze fehlen. In einer eigenen Geriatrie-Station könnten wir sie selbst im Haus weiterbehandeln.“

Das Landesgesundheitsministerium weist in seiner Mitteilung von Mittwoch (6.11.) darauf hin, dass es sich bei den jetzt an die Krankenhäuser verschickten Schreiben noch nicht um rechtsverbindliche Entscheidungen handle. Diese würden bis zum Jahresende versandt. Kleinschnitz glaubt nicht, dass es bis dahin noch eine Wende in Sachen Geriatrie geben wird, aber er hofft, „dass die jetzige Entscheidugung nicht auf alle Zeit in Stein gemeißelt ist“.