Essen. Rund 4000 Menschen demonstrierten lautstark gegen die AfD-Versammlung, die auch von Aktivisten infiltriert und mit Störsendern gesprengt wurde.
Ein AfD-Veranstaltungssaal, der aufgrund von Störungen mehrfach geräumt werden musste und laute Gegendemonstranten draußen: Der „Bürgerdialog“ der AfD gestern Abend in der Philharmonie war wie erwartet von harten Konfrontationen geprägt. Überraschend war, wie umfangreich es gelang, die Versammlung mit Anti-AfD-Aktivisten zu infiltrieren, die mit kleinen Störsendern, die laut piepsend über den Boden flitzten, die Versammlung zu sprengen suchten - und dies auch mehrfach schafften.
Der Reihe nach: Kurz nach 17 Uhr setzt sich am Hirschlandplatz der Zug in Gang, der gegen die AfD-Versammlung protestiert. Man sieht Flaggen der SPD und der Grünen, dazu viele Kulturschaffende, die sich dagegen wenden, dass die AfD in die Philharmonie darf, ihren Arbeitsplatz. Auf Plakaten steht: „So geht die Demokratie zugrunde.“
Als der Zug gegen 18 Uhr am Stadtgarten ankommt, wird die Atmosphäre hitziger. Denn jetzt sind die Lager am Seiteneingang der Philharmonie unmittelbar konfrontiert, getrennt durch Zäune und eine lockere Polizeireihe. Während die Demonstranten schreien, was die Stimmen hergeben, gehen die rund 200 Besucher der AfD-Versammlung zunächst durch die Namenskontrollen, dann mehr oder weniger irritiert zum Eingang. Es ähnelt ein wenig einem Spießrutenlauf, einige AfDler begrüßen sich aber auch demonstrativ gelassen mit Küsschen.
„Das lässt mich kalt, das ist wie ein roter Teppich“, sagt AfD-Ratsfrau über die Demonstranten
„Das lässt mich kalt, das ist wie ein roter Teppich“, sagt etwa die Essener AfD-Ratsfrau Stephanie Brecklinghaus zu den „Nazis raus“-Rufen und den verbalen Hass-Attacken. Die Polizei passe ja auf. Außerdem hätten die Demonstranten das Recht hier zu stehen. „Da habe ich schon Schlimmeres erlebt, zum Beispiel Eierwürfe“, so Brecklinghaus. Das neue Vorstandsmitglied der AfD Essen, Andrea Schildan, meint: „Ich bin es aus der Coronazeit noch gewohnt, einer verfolgten Minderheit anzugehören.“
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Währenddessen liest Grillo-Schauspielerin Ines Krug draußen auf der Bühne aus einer Rede Erich Kästners zum 25-jährigen Gedenken an die Bücherverbrennung. „Man muss den Schneeball zertreten, die Lawine hält keiner mehr auf“, heißt es darin. Und: Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben. „Ich möchte nicht, dass eine Partei wie die AfD in die Kulturräume drängt“, sagt Krug.
Auch der Publizist Michel Friedmann, den die Theater- und Philharmonie GmbH für eine Rede im Aalto-Theater parallel zur AfD-Veranstaltung engagiert hat, ist jetzt im Stadtgarten angekommen, mischt sich kurz unter die Demonstranten, geschützt von Security.
Drinnen im Saal sind die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen natürlich Thema, ebenso die mühsamen ersten Koalitionsüberlegungen ohne AfD. „Es brennt auf der anderen Seite der Brandmauer, aber nicht bei uns“, sagt einer zufrieden. Dann spricht Stefan Keuter, der Essener AfD-Bundestagsabgeordnete. Er spottet als erstes über die Demo draußen: „Ein versprengtes linkes Häuflein, von wegen Querschnitt der Gesellschaft.“
Bundestagsabgeordneter Stefan Keuter will an anderen Parteien Rache nehmen
Bei den anderen Parteien glaubt Keuter seit dem vergangenen Wahlsonntag etwas zu spüren: „Sie haben Angst vor uns. Sie haben Angst vor der Rache der AfD. Wir werden diese Rache kalt genießen, sie werden spüren, wie es ist, nichts mehr zu sagen zu haben“, droht er finster.
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Es scheint zu diesem Zeitpunkt eine störungsfreie Veranstaltung zu werden, wenn auch einige im Saal erkennbar durch die wummernden Rave-Bässe genervt sind, die in den Saal dringen. Dann aber geht es plötzlich rund, und die AfDler verlieren ihre Gelassenheit. Kurz bevor Keuter seine Rede beendet, flitzen die ersten schwarzen Taschenalarm-„Mäuse“ mit einem hohen Piepston durch den Saal, ausgelegt von Aktivisten, die in den Saal gelangt waren. Plötzlich kann man einordnen, warum hier auffallend viele junge Leute sitzen, die optisch nicht so recht zu passen scheinen.
Security greift sich die Störer, aber bei der AfD ist die Stimmung im Eimer
Ein Durcheinander entsteht, viele Zuhörer stehen auf, blicken irritiert um sich. Die Security ist zur Stelle und packt zu. Parolen brüllend verlassen die Störer den Saal, manche freiwillig, andere werden mit Gewalt entfernt. Draußen gibt es dafür viel Beifall und Sprechchöre: „Ihr seid nicht allein!“
Mitarbeiter der drei AfD-Bundestagsabgeordneten, die den Bürgerdialog veranstalten, versuchen verzweifelt, die Störsender einzufangen, aber das dauert. Die Stimmung ist erst mal im Eimer, das Publikum wird ins Foyer komplimentiert, wo ein kaltes Büffet wartet. „Greifen Sie zu, das ist von Ihrem Steuergeld bezahlt“, sagt Keuter.
Als dann ein zweites Mal die Sender flitzen, die sich als „Anti-Vergewaltigungs-Notsignale“ entpuppen, kippt die Stimmung im Saal endgültig. Auch normale Besucher greifen nun hart zu, zerren die Aktivisten raus. Ein AfDler fragt laut: „Wer hat das hier möglich gemacht?!“ Soll wohl heißen: Die Veranstalter haben nicht gut aufgepasst, als sie die „Bewerbungen“ für den Bürgerdialog entgegennahmen und abnickten.
Die Polizei sammelt die Sender ein. „Beweissicherung“ vermutet Stefan Keuter, der das Publikum ermahnt: „Bitte nicht selbst handgreiflich werden, dafür haben wir die Profis von der Security hier.“ Zu spät, die hässlichen Fotos sind in der Welt.
Protestierer berichten über hartes Abführen aus dem Saal und wollen Anzeige erstatten
Eine der Protestierenden mit Alarmsender ist die Essenerin Lea-Sophie Sonnenberg. Man fühle sich bedroht von der AfD, sagt die 27-Jährige. Den Protest skizziert sie als „friedlich“. Das Abführen aus dem Saal allerdings sei äußerst unsanft abgelaufen. Ihr sei der Mund zugehalten und der Kopf nach hinten gedrückt worden. Einige der Protestierenden, deren Personalien die Polizei festgestellt hat, würden überlegen, selber Anzeige zu erstatten.
Gegen 22.15 geht die Musik aus im Stadtgarten, langsam verstummen auch die Sprechchöre, die vor allem den Klassiker skandieren: „Ganz Essen hasst die AfD“. In kleinen Gruppen werden die Störaktionen, der unbestreitbare Verhinderungs-Erfolg gegen die AfD gefeiert. Stefan Keuter hingegen betont auf der Bühne, derlei „Kindereien“ würden die AfD in ihrem Siegeszug nicht stoppen.
Der Schlusswort hat die Polizei, die in einer ersten Bilanz von „in der Spitze 4000 Teilnehmern“ bei der Gegendemo spricht. Außerdem habe es zwei Körperverletzungsdelikte, zwei Strafanzeigen wegen Beleidigung und eine Strafanzeige wegen Volksverletzung gegeben.
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