Essen/Mülheim/Gelsenkirchen/Oberhausen. Im Präsidium soll eine Ermittlungsgruppe ungelöste Kriminalfälle in den Blick nehmen. Daran wollen Polizisten die Bevölkerung teilhaben lassen.

Über 30 ungeklärte Morde sowie mehr als 20 ungelöste Rätsel um Vermisste finden sich in den Akten und Asservaten der Essener Polizei. In der Hoffnung, möglichst viele dieser Fälle mit modernsten Kriminaltechniken zum Teil auch noch nach mehr als fünf Jahrzehnten klären zu können, geht die Kripo nun neue Wege: Drei erfahrene Ermittler wurden aus dem Ruhestand zurückgeholt. Sie unterstützen mit ihrer langjährigen Erfahrung eine neue Ermittlungsgruppe „Cold Cases“ unter der Leitung von Dustin Wisnewski am Präsidium, die sich und ihre Arbeit am Dienstag öffentlichkeitswirksam in einem für die Polizei NRW bislang einzigartigen Format vorgestellt hat.

„Pottcast Ungelöst - Der Krimi-Podcast der Polizei Essen“ titeln die Film- und Wortbeiträge, mit denen die Behörde fortan in lockerer Reihenfolge auf unterschiedlichsten Medien-Kanälen Kapitalverbrechen vorstellt, bei denen man allenfalls die Opfer kennt, während ihre Peiniger nicht zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Wie Polizeisprecher Hendrik Heyer erklärte, soll durch diese Formate eine größere Öffentlichkeit geschaffen werden - mit dem Ziel, nach dem Vorbild der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY“ möglichst viele, neue und im besten Fall entscheidende Hinweise auf mutmaßliche Mörderinnen und Mörder zu erhalten oder in Langzeit-Vermisstenfällen wie dem des jungen Esseners Pierre Pahlke und vielen anderen zumindest Gewissheit zu bekommen.

Der Essener Pierre Pahlke wird seit dem 17. September 2013 vermisst.
Der Essener Pierre Pahlke wird seit dem 17. September 2013 vermisst. © WAZ

In der ersten Folge stellt die Ermittlungsgruppe sich und ihre Arbeit vor. Die zweite beleuchtet den rund 14 Jahre alten Gelsenkirchener Fall Annette Lindemann: Die Polizistin (44) verschwindet Anfang Juni 2010. Ihr schwarzer Mercedes-Van vom Typ Viano wird vier Wochen später ausgebrannt in einem Waldstück entdeckt. Die Polizei verdächtigt bis heute den Ehemann der vierfachen Mutter, doch trotz intensiver Ermittlungen und mehrerer Suchaktionen gibt es keine Beweise dafür, dass er Annette Lindemann umgebracht hat. Der erfahrene Kripomann Detlef Büttner, der nach drei Jahren Ruhestand gemeinsam mit zwei weiteren „Pensionären“ nun wieder seine Erfahrungen einbringen kann, hofft, dass die neue Offensive der Essener Polizei mögliche Zeugen, die bislang geschwiegen haben, motiviert, sich den Ermittlern doch noch anzuvertrauen. (Mord ohne Leiche - Ermittlungen gegen Polizisten eingestellt)

Das Verschwinden von Annette Lindemann aus Gelsenkirchen ist bis heute ungeklärt.
Das Verschwinden von Annette Lindemann aus Gelsenkirchen ist bis heute ungeklärt. © Polizei

In ihren Beiträgen will die Polizei neben den Fällen die Arbeit von Ermittlern transparent machen. So werden zum Beispiel Kriminal- und Labortechniken vorgestellt, mit denen selbst nach vielen Jahren noch kleinste Erbgutträger untersucht werden können, um Täter zu überführen. EK-Leiter Dustin Wisnewski nennt in der ersten Folge ein Beispiel: Die Zeiten, in denen Verdächtige durch Faserspuren allein identifiziert werden konnten, sind vorbei, seitdem individuelle Wollpullis durch textile Massenprodukte ersetzt wurden. Doch gelingt heute etwas, das vor Jahren noch nicht vorstellbar war: Winzigste Hautschuppen an einem solchen Fädchen können für eine erfolgreiche DNA-Analyse ausreichen, die am Ende den unverwechselbaren genetischen Fingerabdruck eines Verdächtigen liefert. Selbst wenn das Kapitalverbrechen dann Dekaden zurückliegen mag: Mord verjährt nicht.

Leichenfolien sind für Essener Polizei eine wahre Fundgrube

Eine Fundgrube für die Ermittlungsgruppe mit ihren „Rentner-Cops“ sind die sogenannten Leichenfolien, die noch heute vielfach und über Jahrzehnte unbenutzt in den Asservaten lagern. Dabei handelt es sich um überdimensionierte Haftstreifen, die standardmäßig auf die Toten geklebt worden sind, um beim Abziehen Fasern zu sichern. Inzwischen sind es mehr die daran haften gebliebenen winzigen Hautstückchen, die die Ermittler interessieren, und weniger die Textilreste, die man damals konservieren wollte.

In einer Erklärung der Behörde heißt es zu dem neuen Ermittlungsformat: „Als Polizei Essen haben wir das Ziel, möglichst viele Menschen auf unterschiedlichen Wegen mit unseren Botschaften zu erreichen. Denn eines ist klar: Ohne die Mithilfe unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger können wir nicht erfolgreich sein.“

Erster Podcast der Essener Polizei jetzt bei Youtube

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Diese Unterstützung sei insbesondere bei der Aufklärung von ungelösten Kriminalfällen ungeheuer wichtig, so die Polizei: „In einigen Fällen haben wir die Hoffnung, dass es vielleicht Mitwisser der Tat gibt oder sich die Tatverdächtigen Freunden, Verwandten oder Bekannten gegenüber offenbart haben. Wir sind sicher auch auf diese Menschen angewiesen, die möglicherweise diese Last mit sich tragen und endlich darüber sprechen möchten.“ Auch so könne ein „Cold Case“ noch nach Jahrzehnten aufgeklärt werden. Und das sei gerade für die Angehörigen das Wichtigste: Endlich Klarheit über das Schicksal ihrer Liebsten zu bekommen.

Den ersten Podcast hat die Polizei als Video auf ihrem Youtube-Kanal hochgeladen. Wer den Beitrag nur ohne Bewegtbild hören will oder kann, klickt auf diesen Link. Zudem ist das Format auch auf der Homepage der Polizei Essen abrufbar.

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