Essen. Volker Nockes Platz bei RWE ist die VIP-Lounge. Im Interview erzählt er von Stadionbesuchen im Sonntagsanzug und dem Sieg gegen Bayern München.
In dem Jahr, als Volker Nocke (71) Mitglied bei Rot-Weiss Essen wurde, löste Kurt Georg Kiesinger Ludwig Erhard als deutscher Bundeskanzler ab, zettelte Mao Zedong in China die Kulturrevolution an, tobten Proteste gegen den Vietnam-Krieg in den USA. Es war 1966. Seit fast 60 Jahren ist er seinem Verein treu. Bei Heimspielen sitzt Nocke in der Assindia-Lounge, einem der VIP-Bereiche bei RWE, meist mit seinem Freund Peter Sonnenschein (70). Wir treffen uns zum Gespräch auf der Sparkassen-Tribüne, von der aus sich die Fans aus der Lounge das Spiel anschauen. Volker Nocke trägt einen roten Pulli, einen RWE-Schal und eine Uhr, auf deren Ziffernblatt die Worte „Rot-Weisser Rahnsinn“ zu lesen sind. Dass wir in Zivilkleidung erschienen sind, geht natürlich gar nicht. Deshalb hat uns Nocke rot-weiße Fan-Schals mitgebracht – und zwei Gläser Wein aus dem VIP-Bereich, umgefüllt in Plastikbecher.
Wie sind Sie RWE-Fan geworden?
Volker Nocke: Ich habe in Borbeck gewohnt, am Weidkamp. Bei den heißen Spielen von Rot-Weiss haben wir den Lärm aus dem Stadion teilweise bis zu uns gehört. Irgendwann haben wir gesagt: Weißte watt, da gehen wir mal hin. Da gab es dann erstmal Theater zu Hause, es hieß: „Ihr seid zu jung“. Mütter eben. 1966, da war ich 14, aber eher noch ein Pimpf. Halb so groß und halb so schwer wie heute. Dann sind wir irgendwann wirklich hingegangen, die Saison hat angefangen und ich bin dann im Januar 1966 Mitglied geworden. Von da an sind wir regelmäßig an die Hafentrasse gepilgert, ins alte rot-weisse Stadion, und haben natürlich auf der West gestanden und mitgefiebert. Damals ist man sonntags ab und an noch im Anzug ins Stadion gegangen, fein angezogen. „Anne Hafenstrasse gehen“, das war für uns ein Event. In der Schule montags ein echtes Thema. Wir sind gekommen und geblieben. Wenn du einmal so einen Verein gefunden hast, ist das wie mit deiner Mutter: Da bleibst du immer zuhause, egal wen du später kennenlernst. Für uns war das RWE, ist das RWE und bleibt das RWE. 2026 sind die 60 Jahre RWE voll. Ich bin gespannt, ob es einen kleinen Diamanten gibt.
Peter Sonnenschein: Ich bin immer wieder fasziniert, dass diese Fan-Liebe über Generationen weitergeht. Wir haben den Verein über all die Jahre begleitet. Ich habe aber auch die Hälfte meiner grauen Haare durch Rot-Weiss bekommen – dafür habe ich noch keine Entschädigung gekriegt.
Welche Erinnerungen haben Sie an die frühen Jahre bei RWE?
Peter Sonnenschein: Ganz am Anfang hatten sie einen Platzwart, der hatte einen scharfen Schäferhund. Da musste man sehr vorsichtig sein, der Platzwart hatte ja das Sagen. Das waren ganz andere Verhältnisse als heute. Es gab mal ein Regenspiel gegen Borussia Mönchengladbach in den 70ern, da wurde der Platz mit tonnenweise Sand präpariert, damit man überhaupt spielen konnte. Im alten Stadion sind viele Spiele ausgefallen.
Volker Nocke: Als ich noch jung war, war Auswärtsspiel im Westen Pflicht – damals in der Bundesliga. Wir waren alle 18, 19, 20. Einer hat ein Auto gehabt, der kriegte von jedem zwei Mark für Sprit. Fünf Mann in einem Ford Escort und dann sind wir dahingefahren, Mönchengladbach, Düsseldorf, Köln, egal, wo du halt gespielt hast im Westen. Selbst nach Schalke, den Gruselort.
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Essener Fan blieb RWE treu – in jeder Liga
Sie haben den Verein auch durch alle Ligen begleitet.
Volker Nocke: Manchmal war das schon eine Quälerei, sage ich Ihnen ganz ehrlich. Auch wenn du wieder so dumm angemacht wurdest: „Guck mal, dein Scheiß-Verein, Schalke und Dortmund, die sind in der Bundesliga.“ Du musst da schon ein starkes Ego entwickeln. Resilienz heißt das heute, glaube ich, hochtrabend statt wie beim Opa was mit Kruppstahl. Und wenn man es sich jetzt anschaut –Schalke eiert unten rum, wir spielen gut – dann ist das schon eine kleine Genugtuung.
Können Sie das Gefühl beschreiben, das RWE Ihnen gibt, wenn Sie hier im Stadion sind und das Spiel anschauen?
Volker Nocke: In der vierten Liga war ich manchmal froh, wenn ich wieder nach Hause gegangen bin. Inzwischen ist das wirklich ein Glücksmoment wenn ich hier oben sitze. Wenn du gewinnst, aber auch, wenn du ein geiles Spiel siehst und selbst wenn man mal verliert. Du hast das Gefühl, du hast etwas gesehen: Arbeit, Maloche auf dem Platz, teils schöner Fußball. Die Spieler haben sich eingesetzt, die haben versucht, was sie können. Mehr kann man nicht verlangen. Und das ist das Schöne. Wenn du vom gewonnenen Spiel kommst, hast du schon zwei, drei Tage so einen kleinen, glücklichen Stoß. Es hat schon einen tieferen Sinn, dass die Blutkörperchen Rot und Weiss sind.
Früher standen Sie draußen auf der Tribüne, jetzt sitzen Sie in der Assindia-Lounge. Wie kam es dazu?
Volker Nocke: Wie kommt ein Borbecker nach Rüttenscheid? Das ist eine Entwicklung. Ich habe geheiratet, studiert, mehr Geld verdient, bin umgezogen. Hatte zeitweise gesundheitsbedingt eine RWE-Stadionpause. Aber durch enge Kontakte zur Deutschen Bank haben die dann irgendwann mal gesagt: Komm doch mal mit, du bist doch Rot-Weisser. Sie haben mich ein paarmal ins Assindia eingeladen und irgendwann hat mich auch Peter bekniet: Kauf Dir endlich eine Karte, Alter. Dann habe ich mir gesagt: Okay, zähl mal die Groschen, und habe mir die Jahreskarte gekauft. In den Jahren der Regionalliga war das schon manchmal eine Qual. Du hast viel bezahlt und fußballerisch wenig gesehen. Grottenkicks, im September/Oktober war die Saison mitunter gelaufen. Aber die Kohle lief weiter. Es hat dennoch auch einfach Spaß gemacht. Dann kam endlich der Aufstieg nach dem Mist mit dem BVB. Und diese Saison ist bisher klasse, da gehst du einfach gerne hin. Auch wenn man mal verliert.
VIP-Loung bei Rot-Weiss Essen: „Ich fühle mich da sehr wohl“
Was gibt denn in der Lounge zu essen und zu trinken?
Peter Sonnenschein: Es gibt Stauder-Bier, Wein, Sekt, Softdrinks, Wasser, Säfte. Nur keine Schnäpse, das ist auch gut so.
Volker Nocke: Das Catering serviert ein ständig wechselndes Menü, schon sehr gut. Außerdem gibt es natürlich immer Bratwurst und Brötchen. Das Schöne für ältere Herren ist auch, dass man eine lange Zeit gepflegte Toilettenanlagen hat. Und die anderen Gäste sind sehr nett, es gibt keine Randale, es ist friedlich, einfach sehr angenehm. Ab und an auch mal ein nettes Grußwort oder Hallo des Präsidenten. Ich fühle mich da sehr wohl, liebe aber die Gesänge der West.
Da ist es anders als im VIP-Bereich.
Volker Nocke: Die West ist eben die Stimmungsseite von Essen, für mich das Herz. Ohne die West wäre RWE nicht das, was es ist. Wenn Sie sehen, wie die vor dem Spiel schon jubeln, die Gesänge beim Oppa oder dem alten Adiole. Da geht dir als Essener das Herz auf. Wie die feiern und die Stimmung ins Stadion bringen – ich könnte auf die West nicht verzichten. Ich habe da früher immer gestanden, aber heute, da bin ich ehrlich, sitze ich lieber gemütlich hier. Bin eher Zuschauer als Aktivist. Alles hat seine Zeit.
Beim RWE-Aufstieg in die dritte Liga mit Corona angesteckt
Wen trifft man hier alles?
Volker Nocke: Du siehst ab und an Otto Rehhagel. Ich finde, ein sehr sympathischer Mann mit einer Riesen-Vita. Aber ich freue mich noch mehr, wenn ich Herbert Weinberg oder Willi Lippens treffe. Das ist die Generation von Bundesligaspielern gewesen, mit denen wir groß geworden sind. Ansonsten ist das Publikum sehr gemischt. Bei uns am Tisch geht es von 20 bis 80. Ich bin jetzt auch 71, Peter ist 70.
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Was war Ihr verrücktestes Erlebnis im Stadion?
Volker Nocke: Der Aufstieg, das letzte Spiel und meine Corona-Ansteckung. Da haben sie hier Aufstiegstrikots verteilt, „3. Liga, wir sind dabei“. Hier standen riesige Trauben von Menschen. Drei Tage später dachte ich: Volker, schönen Dank, das sind die Symptome. Aber das habe ich wirklich gerne mitgenommen für das Ergebnis.
Peter Sonnenschein: Mein bestes Erlebnis war der 3:1-Sieg gegen Bayern München 1971, als Beckenbauer und Gerd Müller und Hoeneß hier gespielt haben. Da machte Walter Hohnhausen zwei Tore. Das war damals noch eine ganz andere rot-weisse Mannschaft, die Bayern 3:1 nach Hause geschickt hat.
Volker Nocke: Da hast du sie heulen sehen. Die großen Bayern haben geheult wie kleine Jungs. Oder wenn unser Willi dem Berti einen Knoten ins Knie gespielt hat.
Was ist Ihr Tipp, wo steht RWE am Ende der Saison?
Volker Nocke: Emotional würden wir uns alle freuen, wenn es in die zweite Liga und später höher geht. Aber ich persönlich glaube, dass wir noch nicht so weit sind, dass wir dort bestehen könnten. Wir sollten uns in den nächsten zwei Jahren weiterentwickeln, den Kader auf das andere Niveau bringen. Insgesamt glaube ich, dass wir eine richtig gute Chance haben, bald wieder zweite Liga zu spielen, wenn wir es clever angehen. Da gehören wir hin, da müssen wir wieder hin. Und ich hoffe, dann mit dem ausgebauten Stadion. Damit wir irgendwann die Bayern wieder weinend in den Bus setzen.
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