Essen. Nach langer Corona-Pause sind die Fahnenmädchen von Rot-Weiss Essen wieder zurück auf dem Platz. Wir haben sie beim Training besucht.
„38, 39, 40“, schallt es durch das Stadion an der Hafenstraße. Eine Gruppe Mädchen, eingepackt in dicke Jacken, steht vor den leeren Rängen der Zuschauertribüne. Auf Kommando beginnen sie, in kreisenden Bewegungen ihre großen Rot-Weiss-Essen-Fahnen zu schwenken. Von links nach rechts, von links nach rechts, alle im Gleichtakt. Andere Mädchen gehen mittwochnachmittags zum Ballett, diese hier schwingen bei Nieselregen die Flagge ihres Fußballvereins. Und sie tun es mit Leidenschaft.
Die RWE-Fahnenmädchen sind Teil des Awo-Fanprojektes. Gerade ist die rund 20-köpfige Truppe dabei, sich nach der Corona-Pandemie neu zu finden. Auch bei diesem Training geht es wieder darum, ein Gefühl für die Fahne zu bekommen. Denn die ist ganz schön schwer, wenn man sie dauerhaft in der Hand hält. Auch der Takt will gehalten werden. Ganze 20 Minuten schwenken die Mädchen vor den Heimspielen von RWE, dann noch einmal zehn Minuten während der Halbzeit. Wenn sich einmal alle sicher fühlen, dann müssen sie sich nicht mehr wöchentlich zum Üben treffen. Im Moment aber schon. Geprobt werden Choreographien zu verschiedenen Liedern, zum Beispiel zum RWE-Walzer. Während sich die Mädchen beim Training noch in ihre Jacken einkuscheln können, stehen sie am Spieltag in rot-weißen Trikots auf dem Platz.
Rot-Weiss Essen: Fahnenmädchen sind mit Fankultur aufgewachsen
„Während Corona war es schwierig, den Kontakt zu den Mädchen zu halten“, sagt Claudia Wilhelm (54) vom Awo-Fanprojekt. Seit 2020 hatten sie nicht mehr trainieren können. Deshalb gab es vor kurzem einen Aufruf, um neue Mädchen für das Projekt zu begeistern – mit guter Resonanz. Beim Spiel gegen den Halleschen FC am 14. Januar stand die neu zusammengewürfelte Truppe zum ersten Mal auf dem Platz. Einige der Mädchen kommen aus Stadtteilen in der Nähe des Stadions, andere aus Altenessen, wieder andere aus dem Essener Süden. Die meisten sind zwischen zwölf und 14 Jahren alt. Was sie verbindet, ist die Fankultur und die Leidenschaft für Rot-Weiss Essen.
„Ich war schon früher immer mit meinem Opa im Stadion“, sagt Amy (14) aus Borbeck, die in ihrer Freizeit auch noch Eislaufen geht. Damals habe sie die Fahnenmädchen auf dem Spielfeld gesehen: „Als ich gehört habe, dass es die Aktion wieder gibt, wollte ich unbedingt zum Team gehören.“ Das tut sie nun. Das Schwenken gehe manchmal ganz schön in die Arme, bestätigt die 14-Jährige. Dafür mache es aber auch viel Spaß.
RWE-Fahnenmädchen gibt es schon seit über 20 Jahren
Auch Emily aus Altenessen geht schon seit Jahren mit ihrem Onkel und ihrer Mutter ins Stadion. „Wir waren schon bei RWE, als ich klein war“, sagt das zierliche Mädchen mit den blonden Haaren. Jetzt ist Emily acht und in ihren Augen zwar nicht mehr klein, aber doch ein verhältnismäßig junges Mitglied der Fahrenmädchen. Die jüngste Projektteilnehmerin ist sieben. Weil auch den jüngeren Mädchen nicht die Arme abfallen sollen, gibt es die RWE-Fahnen in drei verschiedenen Größen. Emily schwenkt die Mittlere.
Über 20 Jahre ist es inzwischen her, dass Claudia Wilhelm das Fahnenmädchen-Projekt ins Leben gerufen hat. „Ich habe erst mit drei Nachbarsjungen Fahne schwenken geübt, dann kamen vier Mädchen dazu“, erinnert sie sich. Als die Jungs irgendwann ausstiegen, wurde aus der gemischten Gruppe ein reines Mädchenteam. Das passte zu Wilhelms Job, denn sie macht Mädchenarbeit beim Awo-Fanprojekt. Und bei RWE gab es zuvor noch keine Fahnenschwenker.
Fahnenmädchen bei Rot-Weiss Essen: „Der Verein hat uns sehr unterstützt“
Aber: „Es war damals gar nicht so einfach, von den Fans akzeptiert zu werden“, erzählt die 54-Jährige. Wieso wollt ihr da ein paar Mädels aufs Feld stellen?, habe es sinngemäß geheißen. „Wir haben aber schnell klar gemacht: Das sind keine Cheerleader, die in kurzen Röcken tanzen, das sind echte Fans.“ Heute komme keiner mehr auf die Idee, dass die Mädchen nicht dazugehörten: „Der Verein hat uns sehr unterstützt.“
Das beste Beispiel für die jahrelange Begeisterung des Fahnenmädchen-Projekts steht an diesem Nachmittag in der ersten Reihe und trainiert die Mädchen. Lisa Hoffmann, 32 Jahre alt, wurde schon im Kleinkindalter vom Vater mit ins Stadion genommen. 2005 kam sie zu den Fahnenmädchen. „Es gab damals einen Aufruf und ein Casting, ich habe ,vorgeschwenkt’“, erinnert sie sich. Mit Erfolg. Heute ist sie Förderschullehrerin, hilft Claudia Wilhelm ehrenamtlich beim Projekt und ist für den Spieltag verantwortlich. Verlassen hat sie die Mädchen nie.