Essen. Diverse Anfragen erreichten die Essener Bücher-Institution „Proust“ für die Übernahme. Warum sich zwei Anwärterinnen herauskristallisiert haben.
Lesen Sie hier den aktuellen Stand: Essener Buchhandlung Proust hat Nachfolgerinnen gefunden
„Man könnte ein Buch darüber schreiben. Aber ich sage ja immer: Lest! Es gibt genug Bücher“, sagt Beate Scherzer mit einer Stimme zwischen Lachen und Ernüchterung. Seit Anfang des Jahres hält die Buchhändlerin, die unlängst 70 geworden ist, mit ihrem Geschäftspartner Peter Kolling (72) Ausschau nach einer Nachfolge für ihre Buchhandlung Proust. Die Suche gestaltet sich jedoch schwierig. Auch verbreitete sich das Gerücht, sie seien nicht mehr da. Mitnichten. Beide sind aktiv wie eh und je.
Seiteneinsteiger jeglicher Couleur haben sich vorgestellt
„Auf eine halbseitige Anzeige im Börsenblatt hat sich niemand aus dem Buchhandel gemeldet“, stellt Peter Kolling fest, für den das eigene Geschäft die große Freiheit bedeutet, auch wenn man viel Arbeit reinstecken muss. Es hat sich gelohnt. Fünfmal wurde das Proust mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet für sein literarisches Sortiment und sein besonderes Veranstaltungsprogramm, das mit Neuentdeckungen und Weltliteraten wie Herta Müller und T.C. Boyle punktete und auch weiterhin gut läuft.
Vorgestellt haben sich ausschließlich Seiteneinsteiger jeglicher Couleur, nicht selten mit dem Satz: „Ich wollte schon immer eine Buchhandlung aufmachen.“ „Alle waren von dem Laden total begeistert. Allerdings kamen sie oft mit falschen Vorstellungen. Sie haben sich nicht gefragt: Woher nehme ich das Geld dafür, woher die Qualifikation? Das war erstaunlich“, berichtet Beate Scherzer. „Nach dem zweiten Gespräch haben die meisten die Absage erteilt.“
Für Scherzer und Kolling bedeuteten die letzten Monate ein Wechselbad der Gefühle zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Es waren Junge und Ältere unter den Interessierten, Menschen, die aus der Literaturszene kommen, auch Musiker. Mit fast allen haben sie längere Gespräche geführt. Manche kamen von weither und wollten ihre Wohnung letztlich nicht aufgeben oder das Hobby Hochseesegeln. Manchem war das eigene Pferd ein Hinderungsgrund, manchem, dass lange Reisen nicht möglich sind. „Bei jedem Zweiten fiel das Stichwort Work-Life-Balance“, so die engagierte Buchhändlerin.
Ein Hemmschuh für die Übernahme ist der Ruf der Stadt Essen
So sind die Lebensumstände, das Renommee von Proust und damit das große Engagement der Geschäftsinhaber, die Angst vor der Selbstständigkeit, aber auch die Stadt Essen offenbar ein Hemmschuh. „Bei den Leuten, die nicht aus dem Ruhrgebiet kommen, hat Essen einen schlechten Ruf. Man kann an schöneren Orten arbeiten. Die Leute von hier beklagen den Zustand der Innenstadt, dass da nichts mehr ist. Viele sagen: Wir kommen nur noch euretwegen“, weiß Peter Kolling, bemerkt aber, dass sich inzwischen einiges zum Positiven bewegt.
40 Jahre Klartext bei Proust
Der Essener Klartext-Verlag, inzwischen bei Jakob Funke Medien angesiedelt, besteht seit 40 Jahren. Einen Großteil des Verlagsprogramms gibt es derzeit in der Buchhandlung Proust, Akazienallee/ Handelshof 1.Dazu gehören Ruhrgebietsgeschichte, das Reiseführerprogramm, u.a. mit Ruhrgebiet und Niederrhein, aktuelle politische Bücher, Fotobände und die WAZ-Bibliothek, u.a. mit Werken von Ralf Rothmann, Frank Goosen, Wolfgang Welt, Inge Meyer-Dietrich. Die erste Kassette ist ausschließlich dort erhältlich.Weitere Infos unter 0201 8396840 oder auf www.buchhandlung-proust.de
Zwei Frauen sind noch weiterhin im Gespräch geblieben. „Eine kommt aus dem Theaterbereich, die andere aus der Sozialarbeit“, erklärt Beate Scherzer. Für sie oder andere Nachfolgende wird Platz geschaffen in den Regalen. Das Angebot der CD-Abteilung und die handsignierten Werke sind schon fast abverkauft und können zu günstigen Preisen erworben werden, die Zweige Theater und Musik „sollen geschrumpft werden“.
Potenziellen Interessenten für Proust möchte sie sagen: „Nicht jeder muss wie ich eine Vorliebe für osteuropäische und jüdische Literatur haben. Jemand Neues muss etwas Neues machen, eigene Ideen mitbringen.“ Und damit versucht sie, allen Bedenken vor den zu großen Fußstapfen vorzubeugen. Den Kunden möchte sie im Blick auf ein gutes Weihnachtsgeschäft zurufen: „Wir sind noch da! Wir haben supertolle Bücher.“ Am kommenden verkaufsoffenen Sonntag, dem 29. Oktober, gibt es eine Gelegenheit, sich davon zu überzeugen.
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