Essen. Beate Scherzer und Peter Kolling wollen den vielfach prämierten Buchladen Proust aus Altersgründen abgeben. Was sie von Interessenten erhoffen.
Ihr Buchladen an der Akazienallee mag klein sein, ihr gewachsenes Renommee ist groß. Das Proust gehört zu den hervorragenden Buchhandlungen landesweit. Fünfmal wurde es mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet für sein literarisches Sortiment und sein besonderes Veranstaltungsprogramm. Mit dem Vorgänger, der Literatur-Buchhandlung im Grillo-Theater, gehören 990 Lesungen mit Nobelpreisträgern wie Herta Müller und Neuentdeckungen zu ihrer Geschichte. „Doch irgendwann muss man sich ausruhen“, sagt Peter Kolling (71). Noch in diesem Jahr möchten er und Beate Scherzer (69) ihr Geschäft aus Altersgründen in jüngere Hände abgeben.
Proust hat mit Partnern Weltliteratur nach Essen geholt
Begonnen hat die Geschichte bereits von 1990 bis 2007 im Grillo-Theater mit Literaturnächten, mit Schauspieler- und Autorenlesungen, oft in Kooperation mit „Schreibheft“-Herausgeber Norbert Wehr. Die Basis für das literarische Erlebnis in Essen war geschaffen. 2005 hob Scherzer mit Kolling von der Heinrich-Heine-Buchhandlung das „Proust. Wörter und Töne“ aus der Taufe. Andere Partner kamen hinzu wie das Museum Folkwang, die Lichtburg, das Kulturwissenschaftliche Institut oder das Deutsch-Französische Kulturzentrum. Mit ihnen gelang es Proust, Weltliteratur ins Ruhrgebiet zu holen, von Stéphane Hessel bis Orhan Pamuk, von Bernhard Schlink bis T.C. Boyle, und sich damit einen Namen bei den großen Verlagen zu machen. Aber es gelang auch, die Wirtschaftskrise, die Dauerbaustelle gegenüber oder die Corona-Lockdowns zu verkraften.
Bereits vor drei Jahren haben die Inhaber angefangen, nach einer Nachfolge zu suchen. „Dann kam die Pandemie dazwischen. Da hat sich keiner getraut, in die Selbstständigkeit zu starten. Das war zu unsicher“, sagt Beate Scherzer. Jetzt, nachdem sie die Corona-Hochphase mit Engagement, Onlinehandel und Bringedienst bewältigt haben, nehmen sie einen zweiten Anlauf. In Anzeigen, Zeitungsartikeln, auf Social-Media-Kanälen und ihrer Internetseite sagen sie, was sie in Essens Innenstadt zu bieten haben: ein attraktives Geschäft nebst technisch aktueller Ausstattung und Café-Bar, eine treue Kundschaft, ein ausgewähltes Sortiment mit Neuerscheinungen, einen Webshop . . .
Statt einer Kopie ist Nachfolge mit eigenem Konzept erwünscht
Wer all das liest, denkt gleich, dass riesige Ansprüche an die Interessenten gestellt werden. Auch Co-Betreiber Peter Kolling bekommt zu hören: „Ihr hinterlasst große Fußspuren.“ Er winkt ab: „Wir suchen niemanden, der uns kopiert. Wir suchen jemanden oder auch zwei Personen, die Kreativität und ein eigenes Konzept mitbringen. Die müssen für Bücher brennen. Da könnte dann die Krimiabteilung oder die englischsprachige Abteilung größer werden. Es kann nicht nahtlos so weitergehen. Es entsteht eine Lücke, die mit anderer Kompetenz gefüllt wird“, meint Kolling.
Um Platz zu schaffen für neue Schwerpunkte, bauen sie in weiser Voraussicht schon jetzt verschiedene Sparten ab. „Der Theatersektor läuft nicht wie früher. Unsere Büchertische bei Festivals wie den Stücken oder der Ruhrtriennale habe ich vergangenes Jahr aufgegeben. Da haben wir in erster Linie Romane verkauft. Mit der Musikabteilung geht es bergab“, erklärt Beate Scherzer. Und die Fotografie könne wegfallen oder ausgebaut werden. Der Kernbereich mit Belletristik, Geschichte, Philosophie und Zeitdiagnosen soll weitergegeben und die kleinen privat geführten Verlage sollen weiterhin berücksichtigt werden. Das gehört zu den Merkmalen, die dieses Literatur-Fachgeschäft neben den guten Empfehlungen ausmachen.
Inhaber bieten zur Übernahme Hilfestellungen aller Art
So eine Übernahme kostet natürlich - den Mut, sich auf das Abenteuer Selbstständigkeit einzulassen, und eine Summe, „die sich im niedrigen sechsstelligen oder im hohen fünfstelligen Bereich bewegt“, so Peter Kolling. Man ließe mit sich reden und biete Hilfestellungen aller Art an, um den Weg zu ebnen. Ende des Jahres soll dann für ihn und Beate Scherzer ein Leben ohne Terminkalender beginnen. Sie möchte sich vorerst noch der Literarischen Gesellschaft Ruhr und den Lesungen widmen, mit dem Fahrrad Europa erkunden und 20 Bände Thomas Bernhard lesen. Er hat ebenfalls einen riesigen Stapel ungelesener Bücher, möchte jedoch erstmal in die Luft gucken und sich dann als helfende Hand im Krankenhaus um Patienten ohne Besuch kümmern.
Dass sie keine Nachfolge für ihre Buchhandlung finden, möchten sie sich beide lieber nicht vorstellen. Und ihre Kundschaft erst recht nicht. „Das Proust ist eine Institution. Es muss bleiben“, zitiert Kolling aus den Reaktionen auf ihr Gesuch. Oder: „Da findet man Bücher, die man gar nicht gesucht hat.“ Damit keine Nachfolgerin, kein Nachfolger in Ehrfurcht erstarrt angesichts all der Lobeshymnen, hat er die Auszeichnungen schon mal abgehängt. Schließlich ist ihr Kapitel bald beendet und ein neues soll beherzt aufgeschlagen werden.