Essen. Autor Sigi Domke hat die Sprache an Ruhr und Emscher erforscht. Allet, wat man wissen muss, präsentiert er in der Essener „Insel der Bücher“.
Früher war nicht nur mehr Lametta zu Weihnachten, es war auch mehr Ruhrpottslang im Revier. Wie sich unsere Region vom ländlichen Gebiet zum industriellen Ballungsraum mit Zugereisten und schließlich zum Standort für Dienstleistung, Bildung und Kultur gewandelt hat, so hat sich auch die Sprache verändert. Das neue Duden-Werk „Ruhrdeutsch“ ergründet den so genannten Regiolekt. Der Autor Sigi Domke verriet Redakteurin Dagmar Schwalm etwas über die Herkunft, den erotischen Faktor und warum Ruhrdeutsch sich so gut eignet für die Unterhaltung.
Als Texter von Ruhrgebietskomödien und Herbert Knebels Affentheater beherrschen Sie die hiesige Mundart aus dem Effeff. Haben Sie die Sprache mit der Muttermilch aufgesogen?
Sigi Domke: Ich wurde in Hinterpommern geboren, war aber nur wenige Monate alt, als meine Eltern mit mir nach Essen-Schonnebeck ausgereist sind. In der Nachbarschaft hat man Ruhrpott gesprochen. Da kommt man nicht dran vorbei, dass man Wörter übernimmt und den Tonfall. Bis heute rutscht mir noch ein „dat“ und „wat“ durch.
Im Ruhrdeutschen finden sich Einflüsse der Zugereisten, die hier zunächst im Bergbau Arbeit gefunden hatten.
Es gibt einige Vokabeln aus dem Polnischen, aus dem Italienischen, aus dem Jiddischen, die ihre Spuren hinterlassen haben. Das ist eine der Leistungen des Ruhrgebiets, dass verschiedene Kulturen miteinander ausgekommen sind.
Woraus hat sich der Regiolekt entwickelt?
Ursprünglich wurde Plattdeutsch gesprochen. Da kommt auch das „dat“ und „wat“ her.
Sie widmen sich in Ihrem Buch Wortschatz, Wendungen, Aussprache, Schreibung und der Grammatik. Was hat Sie trotz Ihrer Kenntnis erstaunt oder bestätigt?
Dass es so viele Regeln im Unregelmäßigen gibt. Dass „samma“ oder „hömma“ Schmelzwörter heißen. Dass die Umgangssprache sehr kreativ ist und oft mit einer Prise Humor daherkommt. Der Duden hat schon viel Wert auf Grammatik gelegt. Ich musste mich da erst reinfinden. Es ist aber, glaube ich, ganz gut gelungen, das Wissenschaftliche und das Populäre zusammenzubringen.
Haben Sie ein paar Beispiele? Was sind Ihre Lieblingswörter?
Wortschöpfungen wie „rubbeldiekatz“ und „holladieblolla“, die Schnelligkeit ausdrücken. Alles, wo -fott vorkommt wie „Hibbelfott“. Das ist einer, der nicht still sitzen kann. Oder die Schimpfwörter, die nicht so heftig beleidigen. „Hajopei“ ist doch deutlich harmloser als Arschloch. „Kannste Dir vonne Backe putzen“ oder „Spass inne Backen haben“ kann man sich sofort vorstellen.
Klingt locker und flockig, hört sich aber im Film oder auf der Bühne zuweilen gestelzt an. Woran liegt das?
Selbst Schauspieler tun sich schwer, schnodderig zu sprechen. Im Film merkt man deutlich, dass es nicht authentisch klingt, wenn man überakzentuiert. Der Uwe Lyko macht das als Herbert Knebel schon sehr authentisch.
Das Buch aus dem renommierten Duden-Verlag ist lehrreich und unterhaltsam angelegt. Haben Sie deshalb Knebel-Texte mit hineingenommen?
Es sind keine typischen Knebel-Texte. Sie sind für das Buch entstanden und beziehen sich wie „Guste und der Genitiv“ auf den Sprachgebrauch. Man kann eine bestimmte Thematik anschaulicher in einer kurzen Geschichte verpacken. Und er ist der deutlich bekanntere von uns beiden.
Nachdem Sie mit Uwe Lyko Herbert Knebels Affentheater gegründet haben, gelang es Ihnen vor 26 Jahren die Ruhrgebietskomödie aus der Taufe zu heben.
Mundart-Bühnen wie das Millowitsch-Theater oder das Ohnsorg-Theater hatten schon eine Tradition und waren mir geläufig. Im Ruhrgebiet gab es als Vorläufer nur Jürgen von Manger und Zeitungskolumnen.
Warum eignet sich die hiesige Sprache für das Genre?
Die Kreativwörter, die treffenden Bezeichnungen kann man wunderschön in Komödien nutzen. Sie sind ein wichtiges Element, um meinen Figuren Wahrhaftigkeit zu geben. Die geschliffene Sprache passt oft nicht.
In einer Hinsicht schneidet das Ruhrdeutsch richtig schlecht ab . . .
Es landete bei einer Umfrage von TNS Emnid mit dem Pfälzischen auf dem ersten Platz der unerotischsten Dialekte. Besonders verführerisch wirkt es offenbar nicht.
Vermutlich nicht aus diesem Grund befindet sich unser Slang seit Jahren auf dem Rückzug. Warum jetzt ein Buch darüber?
Wenn eine Sprache halbwegs lebendig bleiben will, muss sie Veränderungen aufnehmen. Sie existiert seit ungefähr 100 Jahren und befindet sich in einem fließenden Prozess. Obwohl sie im Alltag immer mehr verschwindet, ist sie auf den Bühnen und in der Literatur umso präsenter und führt ein Eigenleben. Der Duden, der eine Reihe mit Dialekten herausgibt, wollte das Ruhrdeutsch damit als Regiolekt würdigen.
Ist es vom Aussterben bedroht?
In den 1950er, 1960er und 1970er Jahren wurde es noch in Reinkultur gesprochen. Mit den Universitäten im Ruhrgebiet hat sich die Bildungslandschaft und die Sprache verändert. Selten hört man mittlerweile auch typische Ruhrdeutsch-Wendungen wie falsche Fälle („den sein Auto“). Aber bestimmte Wörter werden bleiben.
Welche?
Ich bin kein Hellseher. Ich denke, dass am ehesten die Schmelzwörter überdauern werden („samma“, „hömma“), weil sie die Umgangssprache „schlanker“ machen.