Essen. Unter dem Hashtag „ausLiebe“ feiert die Diakonie Essen 100-Jähriges: Die Mitarbeiter zeichne hohe Hinwendung aus. Doch nicht jeder mag das Motto.

Die Stadt trug noch schwer an den Folgen des 1. Weltkriegs, als sich vor 100 Jahren die Diakonie in Essen gründete. Damals noch unter dem Namen „Evangelischer Wohlfahrtsdienst für Stadt und Synode Essen“. Doch die Mission war schon dieselbe: Denen zur Seite zu stehen, die schwach, arm und alt sind, Kinder und Jugendliche zu begleiten. Oder: „Sich von Gottes Liebe inspiriert, den Mitmenschen zuzuwenden“, wie es Diakoniepfarrer Andreas Müller formuliert. Auch sein Amt gibt es nun seit einem Jahrhundert.

[In unserem lokalen Newsletter berichten wir jeden Abend aus Essen. Den Essen-Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen.]

Nun feiert die Diakonie in Essen ein Jahr lang ihr Jubiläum unter dem Hashtag „ausLiebe“. Den nutzt auch die Diakonie Deutschland, die bereits ihr 175-jähriges Bestehen feiert. Dass die Essener Gründung erst 75 Jahre später folgte, bedeute keineswegs, dass es bis dahin keine kirchliche Sozialarbeit in der Stadt gegeben habe, sagt Andreas Müller. Im Gegenteil: „Als der Wohlfahrtsverband im Dezember 1922 gegründet wurde, gab es in Essen Gemeindeschwestern, Kleinkinderschulen, Krankenhäuser, Frauenhilfe, evangelische Bahnhofsmission oder Heime wie die Adophi-Stiftung.“

80 Träger gehören zur Dachmarke Diakonie Essen

Die vielgestaltige Arbeit fand unter dem neuen Wohlfahrtsverband ein Dach, als Essen vier Jahre nach Ende des 1. Weltkriegs unter bitterer Not litt. Der Verband sei Ansprechpartner für die Stadt gewesen, wenn es um die Verteilung von Hilfen ging: Etwa jene 16 Millionen Mark, die der Stadtrat für die Speisung von Schulkindern bereitstellte.

Diakonie Essen: Festjahr beginnt Ende November

Ein Jahr lang feiert die Diakonie in Essen ihr 100-jähriges Bestehen, ausgehend von der Gründung des „Evangelischen Wohlfahrtsdienstes für die Stadt und die Synode Essen“ im Dezember 1922, der später zum Diakonischen Werk Essen wurde. Die Veranstaltungen sind unter dem #AusLiebe gebündelt und enden mit dem Reformationsgottesdienst in der Kreuzeskirche am 31. Oktober 2023.Auftakt des Jubiläumsjahrs ist der Neujahrsempfang in der Marktkirche am Freitag, 25. November, mit Grußwort von Oberbürgermeister Thomas Kufen und Festvortrag von Cornelia Coenen-Marx, Oberkirchenrätin im Ruhestand.Es folgen Diakonie-Gottesdienste in der Adventszeit: Sonntag, 27. November, 15 Uhr, Inklusiver Gottesdienst, Marktkirche, Innenstadt; Sonntag, 4. Dezember, 10 Uhr, Stephanuskirche, Langenberger Straße 434, Überruhr; Freitag, 16. Dezember, 18 Uhr, Bodelschwingh-Haus, Jaspersweg 14, Freisenbruch.In der Reihe „Nachgefragt“ gibt es am Mittwoch, 14. Dezember, 17 Uhr in der Alten Synagoge (Edmund-Körner-Platz 1) eine Führung mit dem Leiter des Hauses, Uri Kaufmann zum Thema „100 Jahre jüdische Sozialarbeit“. Sie soll auch Gelegenheit bieten, über das Verständnis diakonischer und jüdischer Sozialarbeit ins Gespräch zu kommen.Der Historiker Prof. Norbert Friedrich stellt ebenfalls im Rahmen von „Nachgefragt“ am Donnerstag, 26. Januar, um 19 Uhr im Restaurant „Church“, Haus der Ev. Kirche, III. Hagen 39, sein Buch „Praktizierte Nächstenliebe. 100 Jahre Diakoniepfarramt und Wohlfahrtsverband der Diakonie in Essen“ (K-West-Verlag). Anmeldung: info@diakonie-essen.de oder 0201-2205-155. Weitere Infos: diakonie-essen.de

Heute gehören zum „Diakonischen Werk Essen“, kurz Diakonie, 80 Träger unterschiedlichen Auftrags: etwa die Diakoniestationen oder die Johanniter-Unfallhilfe und als Größte die Evangelischen Kliniken Essen Mitte (KEM). Verwirrend: Auch das Diakoniewerk ist einer der Träger unter dem Dach Diakonisches Werk. „Es macht die operative Arbeit“, erklärt Müller. Und ist daher für viele Essener wohl sichtbarer als die Dachmarke.

Diakoniewerk betreute anfangs junge Bergleute

„Wir wollen im Jubiläumsjahr zeigen, wofür wir heute stehen, was wir tun.“ Schließlich wandele sich die Arbeit mit den Sozialgesetzen wie mit den gesellschaftlichen Realitäten. Das heutige Diakoniewerk etwa wurde 1952 noch als Evangelisches Jugendheimstättenwerk gegründet und betreute Jungbergleute, die teils noch minderjährig aus anderen Landesteilen ins Ruhrgebiet kamen, um unter Tage zu schuften. Das Heimstättenwerk brachte sie internatsmäßig unter.

Der Bergbau verschwand, die Immobilien blieben und wurden neu genutzt: Im Johannes-Böttcher-Haus etwa wohnen heute Menschen mit Behinderungen. Und das Diakoniewerk konzentriert sich jetzt auf Jugend und Soziales. Die Neue Arbeit der Diakonie wiederum entstand 1980 als Reaktion auf den Strukturwandel. Zwei Jahrzehnte später wichen die Gemeindeschwestern den Diakoniestationen, die mit der Pflegeversicherung eingeführt wurden. Das sei ein „Anlass gewesen, sich neu aufzustellen“, sagt Andreas Müller.

Auch ein Gesicht der Diakonie Essen: das Restaurant „Church“ im Haus der Evangelischen Kirche am Salzmarkt in der Innenstadt.
Auch ein Gesicht der Diakonie Essen: das Restaurant „Church“ im Haus der Evangelischen Kirche am Salzmarkt in der Innenstadt. © FUNKE Foto Services | Daniel Helbig

Unverändert blieb die Nähe zum Menschen: Diakonie – das sind die Erzieherinnen in 57 Kitas, die Altenpflegerinnen, Sozialpädagoginnen oder Krankenpflegekräfte. Menschen, die auch in der Pandemie nicht ins Homeoffice ausweichen konnten. „Sie zeichnen sich durch eine besondere Hinwendung aus, haben eine hohe Identifikation mit ihrer Arbeit“, sagt Müller.

Keine Frömmigkeitsprüfung für Mitarbeiter

Identifikation mit der evangelischen Kirche, die in Essen noch fast 130.000 Mitglieder hat, müsse das nicht mehr zwangsläufig bedeuten: Obwohl die Diakonie ein „Markenzeichen des Protestantismus“ sei, gebe es keine „Frömmigkeitsprüfung“. Die 9200 Mitarbeiter in Essen gehören verschiedenen Konfessionen und Religionen an. Trotz dieser Öffnung wird es schwerer, Jahr für Jahr 1500 neue Beschäftigte zu finden, um altersbedingte und andere Abgänge auszugleichen.

Wie andernorts auch fehlen die Fachkräfte: Man sei kurz davor gewesen, einzelne Gruppen der stationären Jugendhilfe zu kippen, weil es an Kräften für die Rund-um-die-Uhr-Betreuung mit Nacht- und Wochenendschichten fehlte. „Wo die Leute für den Ausbau von Ganztagsbetreuung und Kitas herkommen sollen, ist unklar“, sagt Müller.

Nicht allen gefällt das Jubiläumsmotto „ausLiebe“

Folgerichtig plant man im Jubiläumsjahr vom 25. November 2022 bis 31. Oktober 2023 nicht nur Gottesdienste, Passionsweg, Ausstellung, Buchvorstellung, Veranstaltungen zu Inklusion, Kitas, Seelsorge, Einsamkeit und Einwanderung, sondern auch eine Jobbörse. Schmeißt eine Party für die Azubis. Und wendet sich mit einer neuen Homepage, per Facebook und Instagram auch an potenzielle Neuzugänge.

„Viele sehen eine große Sinnhaftigkeit in ihrer Arbeit“, sagt Müller. Der Hashtag „ausLiebe“ gefällt trotzdem nicht jedem: Die einen sprächen lieber von Nächstenliebe, die anderen stellen klar: „Ich mach’ das, um Geld zu verdienen.“

Die rund 2400 Ehrenamtlichen, die ja kein Geld verdienen, können im nächsten Jahr aber etwas gewinnen: Beim Stadtfest „Essen Original“ wird ein Preis für ehrenamtliches Engagement vergeben.