Essen. Als geheime Verschlusssache wurde das neue Hochhaus in Rüttenscheid von der Stadt vorangetrieben. Ein Einzelfall ist diese Art zu agieren nicht.

Die Entwürfe für das geplante neue Bürohochhaus an der Alfredstraße sind auf dem Markt, und die meisten Reaktionen sind sehr kritisch. Das war erwartbar. Wir leben nicht mehr in den fortschrittsfreudigen 1960er Jahren, ein Hochhaus wird heute nur selten spontan Beifall auslösen. Dafür ist die Wucht der Veränderung, die ein solches Gebäude zwangsläufig im Stadtraum bedeutet, schlicht zu groß. Doch abseits der Übertreibungen im ökoradikalen Milieu, die hier wieder mal die Rüttenscheider Welt untergehen sehen, gibt es tatsächlich einiges an den Plänen auszusetzen.

Da ist zum einen die grundsätzliche Art, wie solche Projekte das Licht der Welt erblicken. Wenn es um Planung, Bauen und Verkehr geht, hat sich in der Stadtverwaltung in den letzten Jahren eine merkwürdige Geheimhaltungsmentalität durchgesetzt, ein Expertentum, das meint, alles richtig zu machen und besser zu wissen. In kleinsten politischen Zirkeln werden die Dinge soweit vorangetrieben, dass eigentlich schon alles fix und fertig ist, wenn die Öffentlichkeit informiert wird.

Das neue Bürohochhaus mit Messe und Grugahalle im Hintergrund und dem Wohnhochhaus an der Norbertstraße (links). Im Vordergrund verläuft die Alfredstraße (B 224). Die Investoren versprechen einen respektvollen Umgang mit der Grugahalle, allerdings wird der freie Blick auf das Baudenkmal notgedrungen eingeengt.
Das neue Bürohochhaus mit Messe und Grugahalle im Hintergrund und dem Wohnhochhaus an der Norbertstraße (links). Im Vordergrund verläuft die Alfredstraße (B 224). Die Investoren versprechen einen respektvollen Umgang mit der Grugahalle, allerdings wird der freie Blick auf das Baudenkmal notgedrungen eingeengt. © Unbekannt | HPP Architekten

Die Beteiligung sowohl von Stadtteilpolitikern als auch von Vereinigungen interessierter und womöglich auch noch kritischer Stadtteilbürger hat dann bestenfalls noch Alibi-Charakter. Und das, obwohl etwa unter dem Stichwort „Verkehrswende“ tief in den Alltag der Bürger eingegriffen wird. Auch wenn die meisten Betroffenen dies nach außen hin schicksalsergeben hinnehmen, ist die schlechte Laune über dieses selbstherrliche Gebaren der Stadt nicht nur in Rüttenscheid unüberhörbar.

Nur handverlesene Wortführer von Schwarz-Grün waren eingeweiht

Auch das Hochhaus an der Alfredstraße war eine geheime Verschlusssache, die auf städtischer Seite der Oberbürgermeister mit den Spitzen der Fachverwaltung und handverlesenen Wortführern der schwarz-grünen Ratskoalition bis nahezu zur Baureife vorbereitet haben. Als diese Zeitung die Grundsatzpläne Ende 2021 öffentlich machte, galt das als größtmöglicher Unfall, dem dann zunächst umso konsequenteres Stillschweigen folgte.

Die Zech-Gruppe als Investor und künftiger Nutzer hat im Zuge des Prozesses vermutlich rasch begriffen, welche Girlanden man in Essen Projekten umhängen muss. Die Öko-Rhetorik rund um dieses Hochhaus ist selbst für heutige Maßstäbe überwältigend. „Wenn die Fassaden grün sind, sind alle zufrieden“ spottet ein Nichtbeteiligter aus Rüttenscheid. Nun ist gegen Energieeffizienz und anderes Sinnvolle selbstredend nichts zu sagen. Nicht untergehen sollten dabei allerdings einige andere harte Fakten.

60 Auto-Stellplätze für bis zu 450 Mitarbeiter sind viel zu wenig

Nur 60 Auto-Stellplätze sind für die bis zu 450 Mitarbeiter vorgesehen, weil angeblich fast alle mit U-Bahn und Fahrrad zur Arbeit kommen werden. Tatsächlich ist diese absurd niedrige Zahl Ausfluss einer Politik, die es Investoren geradezu aufdrängt, bei Neubauten weniger Stellplätze vorzusehen als früher üblich. Die Erwartung geht dahin, dass die Belegschaft sich in ihrem Mobilitätsverhalten dann mehr oder weniger freiwillig umorientiert.

Weil Tiefgaragen teuer sind, lassen Bauherren sich das natürlich nicht ungern gefallen. Ergebnis ist dann oft allerdings keineswegs eine „Verkehrswende“, sondern von Beschäftigten zugeparkte Anwohnerstraßen, was die Politik dann wieder mit großem Aplomb beklagen kann – natürlich ohne auf die tieferen Gründe für den Missstand einzugehen.

Die Architekten-Poesie rund um die Grugahalle stimmt missmutig

Etwas missmutig stimmt zudem eine blumige Architekten-Poesie, die bei dem recht schlicht gehaltenen Hochhaus Anleihen an die Formensprache der denkmalgeschützten Grugahalle meint erkennen zu können. Für den normal interessierten Bürger ist das zwar nur schwer nachvollziehbar, aber auch dieser Hinweis soll wohl irgendwie gnädig stimmen und die Veränderung des Stadtraums schmackhaft machen. Und ja, selbstverständlich wird der freie Blick auf die Grugahalle zumindest aus Richtung Norden eingeschränkt. Das kann man verschmerzen, aber soviel Ehrlichkeit muss schon sein.

Kein Missverständnis: Hier soll keineswegs das Bauen verteufelt werden, auch nicht das von Hochhäusern und auch nicht an dieser Stelle. Es kann und darf nicht immer alles bleiben wie es ist. Nur für dumm verkauft werden möchte man ungern.