Essen. IHK-Chef Gerald Püchel rechnet mit der Essener Wirtschaftspolitik ab. Neben dem blockierten Weiterbau der A 52 treiben ihn zwei weitere Themen um.
13 Jahre lang war Gerald Püchel Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer in Essen. Zum Abschied in den Ruhestand macht er deutlich, vor welchen Herausforderung die Stadt Essen in den kommenden Jahren steht.
Herr Püchel, worauf freuen Sie sich im Ruhestand nach 32 Berufsjahren bei der Industrie- und Handelskammer?
Püchel: Ich freue mich darauf, mehr Zeit für meine Hobbys, dem Fotografieren und dem Motorradfahren zu haben und auch mein Großvaterdasein etwas mehr ausüben zu dürfen.
Sie waren 13 Jahre Hauptgeschäftsführer der IHK in Essen und sind als kritischer Geist bekannt. Welches Thema wird Ihnen auch weiterhin am Herzen liegen?
Da gibt es gleich mehrere. Ich habe immer dafür gestanden, dass es in dieser Stadt eine ordentliche Gewerbeflächenpolitik gibt, die ich nach wie vor nur sehr rudimentär sehe. Ich habe mich nahezu verkämpft für die Weiterführung der A 52. Und ich habe mich immer bemüht, Kommunalpolitik zu verstehen, wie gelassen sie teilweise mit der atemberaubenden Verschuldung in der Stadt umgeht. Das sind Dinge, die sicher auch über mein Ausscheiden hinaus weiter thematisiert werden.
Sind das die Herausforderungen, die Sie auch künftig für Essen sehen?
Nehmen Sie die Verschuldung. Im Moment sieht das zwar alles nett aus, weil die Stadt viel umgeschuldet hat und die Zinslasten gering sind. Wenn jedoch die Zinsen wieder ansteigen werden, dann wird vieles wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Die Bewegungsfreiheit, die sich die Stadt zuletzt erkämpft hat, kann schnell wieder zu Ende sein. Für dringend notwendige Investitionen wäre dann kaum noch Luft.
Welche Lösung sehen Sie?
Essen wird diesen riesigen Schuldenberg aus eigener Kraft nicht abtragen können. Der Bund muss sich endlich aufraffen und einen Schuldenschnitt machen.
„In Essen werden zu wenig Gewerbegebiete ausgewiesen“
Selbst wenn Essen die hohen Schulden dadurch los würde, blieben immer noch die immensen Sozialkosten. Der Anteil der Bedarfsgemeinschaften sinkt zwar, ist aber immer noch hoch.
Gute Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ist gute Wirtschaftspolitik. Unter den Menschen, die Sozialleistungen beziehen, sind eine ganze Menge, die arbeiten können und sicher auch wollen. Das heißt aber, dass diese Stadt auch in der Lage sein muss, mehr Arbeitsplätze anzubieten. Und da bin ich wieder bei meinem Thema: In dieser Stadt werden zu wenige Gewerbeflächen ausgewiesen. Und zwar auch für solche Unternehmen, die geringer qualifizierten Menschen Arbeit anbieten können. Dieser Ruck muss endlich mal durch die Kommunalpolitik gehen.
Mit der Ansiedlung von Amazon oder dem Paketdienstleister GLS beispielsweise gibt es doch bereits entsprechende Entwicklungen.
Ja, aber es könnten noch mehr sein. Schauen Sie: Im Essener Süden tut sich überhaupt nichts mehr. Für neue Gewerbeflächen dort fehlt die politische Kraft. Oder nehmen Sie im Norden das Gebiet Emil Emscher. Dort könnte man eine große Fläche für Industrieansiedlungen herstellen, die wir dringend brauchen. Stattdessen lese ich in einer Untersuchung der Interessengemeinschaft Essener Wirtschaft: Ziel soll sein, dort nicht das „nächste tote Gewerbegebiet“ zu planen sondern einen zukunftsorientierten und urbanen Industrie- und Technologiestandort.
Das klingt doch erst einmal gut.
Mag sein. Aber warum sagt man nicht einfach: Wir haben diese Fläche und reizen diese insbesondere für Industrieansiedlungen aus. Das haben wir nämlich bitter nötig. In den vergangenen zehn Jahren ist die Beschäftigung in der Industrie um fast 33 Prozent zurückgegangen. Da frage ich mich doch: Was ist denn an einem Gewerbegebiet tot, wenn dort in drei Schichten an sieben Tagen in der Woche Menschen arbeiten? Mir leuchtet es nicht ein, warum auf solchen Filetstücken Industrie allenfalls eine Randgarnierung sein soll.
Sie beklagen, dass es im Süden keine Gewerberaumentwicklung mehr gibt. Wie wäre es mit der Flughafen-Fläche? Da will die IHK aber nicht ran.
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Unser erstes Ziel bleibt es, diesen Flughafen zu einem Geschäftsflughafen auszubauen. Wenn sich das endgültig nicht realisieren lässt, dann sind wir natürlich dafür, dass dort insbesondere an der Autobahn, Gewerbe entsteht.
„In Essen haben wir nicht mal einen verbindlichen Masterplan Industrie hinbekommen“
Beim Thema Gewerbeflächen waren Sie in den letzten Jahren oft der einsame Rufer im Wald. Haben Sie dafür eine Erklärung, warum Sie so wenig Gehör fanden?
Die Frage beschäftigt mich auch schon all die Jahre. Wir haben in Essen nicht mal einen verbindlichen Masterplan Industrie hinbekommen. Und in Düsseldorf ist er gerade fortgeschrieben worden – einer Stadt, die wesentlich mehr Industrie hat als Essen. Düsseldorf hat erkannt, worum es geht. Das vermisse ich in Essen seit Jahren.
Warum hat die Industrie offenbar einen schlechten Stand in Essen?
Vielleicht ist das alte Montanindustrie-Denke, obwohl es darum nun wahrlich nicht geht. Industrie wird in meinen Augen immer mehr in eine Rechtfertigungsrolle gedrängt. Das sieht man auch in der Klimadiskussion.
Da haben Sie zuletzt mit Ihrer Position viel Kritik geerntet.
Ich habe nur angemahnt, dass in der Stadt und der Region bei den Klimazielen nicht noch etwas oben drauf gelegt wird.
Ein Thema, mit dem Sie auch immer wieder provoziert haben, ist der von Ihnen geforderte Weiterbau der A 52. Viele tun diesen als unrealistisch und unökologisch ab. Warum legen Sie diese Beharrlichkeit an den Tag?
Weil ich von der Sinnhaftigkeit dieser 7,1 Kilometer Autobahn zutiefst überzeugt bin. Da gibt es eine fertige Planung. Da ist viel Strecke in Tunnellage. Der Verkehr wird beschleunigt. Die B 224 im Stadtgebiet würde entlastet. Im Grunde ist das ein Umweltschutzprojekt. Wenn irgendein Autobahnprojekt Sinn macht, dann ist es die A 52.
„Die A 52 kostet vielleicht eine Milliarde – daran wird das doch nicht scheitern“
Aber dann kommt schnell das Argument: nicht finanzierbar.
Der Lebenslauf von Gerald Püchel
Gerald Püchel wurde 1956 in Rheinhausen am Niederrhein geboren. Er ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Der 65-Jährige lebt mit seiner Frau in BurgaltendorfNach dem Besuch der Volkschule und des Neusprachlichen Gymnasiums in Gelsenkirchen-Buer zog seine Familie 1969 in den Taunuskreis. Nach seinem Abitur begann er 1976 ein Jurastudium in Frankfurt und wechselte er vier Jahre später an die Uni nach Münster, wo er 1986 sein zweites juristisches Staatsexamen abschloss. 1989 trat er in die Dienster der IHK Münster, wo er den Geschäftsbereich Recht und Steuern leitete. Nach seinem beruflichen Wechsel zur IHK Köln, wurde er dort 2001 stellvertretender Hauptgeschäftsführer. 2008 übernahm er schließlich die Position des Hauptgeschäftsführers der IHK Essen, Mülheim, Oberhausen.
Das Ganze kostet vielleicht eine Milliarde. Daran wird das doch nicht scheitern. Jetzt haben wir gerade Milliarden gefunden zur Fluthilfebeseitigung. Geld scheint in Berlin doch vorhanden zu sein.
Mit Ihnen gehen altersbedingt drei weitere Geschäftsführer bei der IHK Essen. Ist das Bürde oder Chance für Ihre Nachfolgerin Kerstin Groß?
Kerstin Groß ist schon im Haus und führt Gespräche mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Ich sehe darin eher eine Chance, wenn jemand mit einer neuen und jüngeren Führungscrew beginnen kann. Natürlich gehen Erfahrung und Wissen mit den älteren Kollegen und Kolleginnen weg. Doch wir haben bereits zum Teil hausintern für Nachfolger gesorgt.
Sie waren 32 Jahre bei der IHK. Was nimmt man da mit?
Jede Menge Veränderung. Als ich in Münster anfing, da gingen die Unternehmer noch im dunklen Anzug in die Kammer. Das hatte sich in meinen ersten zehn Jahren in Münster schon gravierend verändert. Der Umgang mit den Unternehmern ist ein ganz anderer geworden. Sie wollen heute viel stärker mitreden, was ich gut finde.
Welchen persönlichen Tipp haben Sie an Ihre Nachfolgerin, was Sie nach Essen mitbringen sollte?
Humor und einen langen Atem.