Essen. Ehemalige Bergleute widersprechen energisch: Ein „Leichenhaus“ habe es auf Zollverein nie gegeben. Nun hat die Stiftung reagiert.
Als langjähriger Leiter des Tagesbetriebs von Zollverein verfolgt Heinz Geppert (89) aus Stoppenberg immer noch sehr aufmerksam das Geschehen auf seinem alten Pütt. Die anlässlich eines „Osterspaziergangs“ mit Stiftungschef Professor Hans-Peter Noll gemachte Aussage über ein „Leichenhaus“ auf dem Welterbe-Gelände sei ihm unter die Haut gegangen, sagt er. Denn sie entbehre jeder Grundlage. „Ein Leichenhaus hat es auf Zollverein nie gegeben“, stellt Geppert klar.
Offenbar ist er nicht der einzige Zollvereiner, der irritiert war. Inzwischen hat die Stiftung Zollverein reagiert und das „Leichenhaus“ – salopp formuliert – wieder beerdigt. „Die Informationen zur Leichenhalle haben wir von alten Bergleuten bekommen, können sie aber tatsächlich leider nicht verifizieren. Da es nun Zweifel an der Belastbarkeit dieser Darstellung gibt, werden wir sie auch nicht mehr kommunizieren“, heißt es in der Stellungnahme der Stiftung, die mit diesem Satz schließt: „Wir danken den ehemaligen Zollvereinern für die Hinweise.“
Ehemaliger Tagesbetriebsführer kennt Zollverein wie seine Westentasche
Heinz Geppert hat mehr als 41 Jahre seines Berufslebens auf Zollverein verbracht, das weitläufige Areal rund um den Doppelbock Schacht XII und die Anlage 1/2/8 kennt er wie seine Westentasche, ebenso die Schachtanlagen 3/7/10, 4/5/11 und 6/9.
Als Schlosserlehrling war er am 1. August 1945 auf Zollverein angelegt worden. Schon 1965 stieg er auf zum stellvertretenden Tagesbetriebsführer, von 1973 bis zur Stilllegung 1986 war er Leiter der gesamten Tagesbetriebe der einstmals größten Zeche der Welt. Die letzten vier Jahre verantwortete er außerdem die obertägigen Anlagen von Nordstern, das Teil der Verbundbergwerks geworden war.
Doch was befand sich nun in dem kleinen Backsteingebäude („Nummer 46“), das kein „Leichenhaus“ war? „Da stand die Befahrungswinde von Schacht 8 mit einem knapp 700 Meter langen Förderseil“, sagt Geppert. An diesem 46 Millimeter starken Kreuzschlagseil hing die Befahrungsbühne, die zur Wartung der Schachtröhre, eines Wetterschachtes, diente.
Neben dem Heildiener-Raum gab es einen Raum für lebensgefährlich verletzte Kumpel
Leicht verletzte Bergleute seien im Heildiener-Raum behandelt worden, der in der alten Waschkaue von 1/2/8 (heute Tanztheater Pact) untergebracht war – auf der Seite zu Schacht 2. „Dazu gehörte auch ein eigener Raum für schwer verletzte Bergleute“, fügt der alte Tagesbetriebsführer hinzu. Und weist zugleich auf die immensen Anstrengungen hin, die die Ruhrkohle unternommen habe, um die Arbeitssicherheit auf den Zechen zu verbessern. Die Unfallzahlen seien deshalb rapide zurückgegangen. „Auf Zollverein, einem Bergwerk mit 5000 Mann Belegschaft, hat es mehrere Jahre keinen tödlichen Unfall gegeben.“
Von der Steinkohlenzeche zum Unesco-Welterbe
Auf der Zeche Zollverein ist von 1851 bis 1986 Kohle gefördert worden. Der Gründer des Bergwerks, der Bergbau-Pionier Franz Haniel durchbrach im Essener Norden zum ersten Mal die Mergeldecke und revolutionierte den Tiefenbergbau.Das Doppelbock-Fördergerüst von Schacht XII ist das Symbol des Ruhrgebiets. Der Zentralförderschacht steigerte die Kohlenförderung immens auf bis zu 3,6 Millionen Tonnen im Jahr bei 6900 Mann Belegschaft (1937).2001 erhob die Unesco die Schachtanlagen 12 und 1/2/8 sowie die Kokerei Zollverein zum Welterbe. Sie entstanden nach den Plänen der Architekten Schupp/Kremmer im Stil der „Neuen Sachlichkeit“. Neben dem Kölner Dom zählt Zollverein zu den Touristenmagneten an Rhein und Ruhr.
Auch Bergleute mit lebensgefährlichen Verletzungen seien zunächst im Heildiener-Raum behandelt worden. Sei das Leben des Bergmanns nicht mehr zu retten gewesen sei, habe man entweder einen katholischen oder einen evangelischen Pfarrer als geistlichen Beistand gerufen. In seltenen Fällen seien auch Familienangehörige zur Zeche gekommen, um Abschied zu nehmen. „Wir sind sehr umsichtig und menschlich mit solchen Situationen umgegangen“, sagt Geppert.
1987 übernahm er – bis zur Pensionierung vier Jahre später – den Tagesbetrieb des Bergwerks Haard in Oer-Erkenschwick – und ließ die alte Zollverein-Befahrungswinde zum Schacht Datteln 5 umsetzen. „Sonst hätte ich für den Wetterschacht dort eine neue Befahrungswinde anschaffen müssen.“ Im Geppert’schen Privatarchiv befinden sich sogar seltene Schwarz-Weiß-Aufnahmen des alten Technik-Schätzchens: Die Befahrungswinde hat das Baujahr 1964.