Essen. . Heinz Geppert (85), der letzte Tagesbetriebsführer von Zollverein, bedauert, dass nach der Stilllegung keine Zukunftsindustrien entstanden sind.
Heinz Geppert ist ein Zollvereiner aus altem Schrot und Korn. „Ich bin am Fuß von Schacht VI aufgewachsen mit Blick auf Schacht XII“, erzählt der 85-Jährige. Von 47 Dienstjahren im Bergbau hat er allein vier Jahrzehnte auf Zollverein gewirkt – davon zwölf ereignisreiche Jahre bis zur Stilllegung 1986 in der einflussreichen Position des Tagesbetriebsführers. Rückblickend sagt er heute: „Ich habe meine Arbeit geliebt.“
Geppert verkörpert die Aufbaugeneration, die nach Krieg und Diktatur die Karre aus dem Dreck gezogen hat. Als das zerbombte Essen im Sommer ‘45 in Schutt und Asche liegt, legt der gerade einmal 14 Jahre alte Oberschüler als Schlosserlehrling auf Zollverein an.
Im Schreibtisch seines Hauses auf der Arendahls Wiese bewahrt er seinen grünen Lehrlings- und Gesellenbrief von 1948 auf wie einen kleinen Schatz. Darin: die Unterschrift von Fritz Grommek. Jenes charismatischen Betriebsführers, durch dessen Schule eine ganze Riege späterer Leitender Angestellter gegangen ist. Ein Mann, dem Geppert zeitlebens dankbar ist. „Er hat uns Handwerkerlehrlingen nach Feierabend freiwilligen Unterricht erteilt.“
Machtfaktor Bergbau
Noch prägt die Kohle das Ruhrgebiet in jener Zeit fast nach Belieben. Selbst in den Betriebsratsbüros so mancher Zeche ballt sich mehr kommunalpolitische Macht als im Stadtrat. Berühmt ist die Formel „Bundesrecht bricht Landesrecht, Bergrecht bricht beides.“
Doch dann setzt mit den ersten Feierschichten Ende der fünfziger Jahre das Zechensterben ein. Und als sich abzuzeichnen beginnt, dass Zollverein stillgelegt werden würde, dreht sich auch hier der Wind.
Geppert ist mittendrin, als die unterschiedlichsten Interessen von Bergbau und Denkmalschützern, von Politikern und Stadtplanern, von Rathaus und Ministerien aufeinander prallen.
Der Tagesbetrieb: ein riesiges Areal von 200 Hektar
Der Plan der Ruhrkohle, weite Teile von Zollverein zu räumen und die Freiflächen in Industriegebiete zu verwandeln, lässt sich nicht mehr durchsetzen. Zollverein wird per Ministerunterschrift Denkmal – und später sogar Welterbe.
Als Betriebsführer gebietet Heinz Geppert damals über einen der größten Tagesbetriebe im Land: zusammen ein gigantisches Areal von gut 200 Hektar.
Geppert geht heute jede einzelne Schachtanlage (siehe Grafik) durch und zieht Bilanz. Als 6/9 im Südfeld 1979 stillgelegt ist, lassen sie Übertagebauten wie Fördergerüst und Waschkaue abreißen und die Schächte verfüllen. „Mit dem Neubau von 60 bis 100 Ein- und Zweifamilienhäusern hat das Areal eine deutliche Verbesserung erfahren“, sagt er.
Der Doppelbock – ein Leuchtturm für Essen
Auch mit dem Wandel der Anlage 3/7/10 (Handwerkerpark und Altenheim) ist er zufrieden. 4/5/11 – in alten und teils modernisierten Gebäuden – nennt sich jetzt „Triple Z“ und besitze ebenfalls „eine positive Ausstrahlung“.
Und die Zentralanlage XII mit 1/2/8? Jetzt zieht Geppert die Augenbrauen hoch und atmet tief durch. Eine eindeutige Gestik: Begeisterung sieht anders aus.
Gewiss, holt er aus, Schacht XII mit dem Doppelbock sei für Essen ein „Leuchtturm“ und ein „Hingucker“ für die Stadtteile, die Touristenströme belegten dies. Doch Geppert bringt Einwände ganz grundsätzlicher Art vor. „Ich vermisse auf Zollverein innovative Industrien“, sagt er, und verweist auf seine Söhne. „Sie haben im Ruhrgebiet studiert, um jetzt in Bayern in Zukunftsindustrien zu arbeiten.“ Er wünscht sich stabile Arbeitsplätze, mit denen Geld verdient wird.
„Zollverein light“ aus Doppelbock, Werkstätten und Schalthaus
Gepperts Argumente lassen die leidenschaftlichen Debatten wieder lebendig werden, die vor der Stilllegung 1986 ausgefochten wurden. Wäre es nach ihm gegangen, gäbe es heute eine Art „Zollverein light“: ein übersichtliches Ensemble aus Doppelbock, den Werkstätten und dem Schalthaus. Punkt. „Das reicht aus, um den von Schupp und Kremmer geprägten Bauhaus-Stil zu repräsentieren.“
400 Millionen Euro hat die öffentliche Hand seit der Stilllegung nach Zollverein fließen lassen. Aus der Perspektive von 1986 eine fantastische Summe. „Das ist mehr als die ganze Anlage 1932 gekostet hat.“
Wenig Nutzen für die umliegenden Stadtteile
Geppert ist stolzer Zollvereiner und Stoppenberger, geprägt durch ein katholisches Elternhaus. Seine Kritik will er keinesfalls als Miesmacherei verstanden wissen, sondern als ehrlichen Standpunkt. Er lobt die neuen Rad- und Wanderwege auf den Trassen der alten Zechenbahnen.
„Aber ansonsten“, sagt er, „ist von den vielen Millionen nichts in den Stadtteilen angekommen.“ Für die Spektakel am Fuße des Doppelbocks hat er gar nichts übrig. In einer Mischung aus Polemik und Wehmut bringt der alte Zollvereiner seine Kritik auf den Punkt: „Zu viele Events, zu viel Pommes und zu wenig Innovation.“