Essen. . Führungen im Denkmalpfad von Zeche und Kokerei sind der Renner auf Zollverein: Zwei Stunden unterwegs mit Gästeführer Heinz Wilhelm Hoffacker
Solange auf Schacht XII das schwarze Gold gefördert wurde, war Zollverein „verbotene Stadt“. Doch die hohen Mauern von früher sind längst eingerissen. Dreißig Jahre nach der Stilllegung fördert das Welterbe erfolgreich den Touristenandrang.
Mit 1,5 Millionen Besuchern im Jahr rangiert die Essener „Kathedrale der Moderne“ landesweit auf Platz zwei hinter dem Kölner Dom. Zum Renner haben sich die Führungen im Denkmalpfad entwickelt.
Mittwochmittag im Besucherzentrum auf der 24-Meter-Ebene: Gästeführer Dr. Heinz Wilhelm Hoffacker zählt durch und teilt die 38 Besucher in zwei Gruppen. Seine Führung lautet: „Über Kohle und Kumpel“. Bärbel Lofent kommt aus Stuttgart und hat mit die weiteste Anreise.
Zollverein, Folkwang Museum und Biathlon auf Schalke
„Wir wollen Biathlon auf Schalke sehen und waren tags zuvor schon im Folkwang Museum.“ Ihr Begleiter Jürgen Hoppe schwärmt von der Fußball-Hochburg Ruhrgebiet, er will auf Zollverein den Kumpel & Kohle-Mythos ergründen, der Legenden wie Kuzorra und Szepan sowie Rahn und Rehhagel hervorgebracht hat.
Hätte sich der Schwabe der anderen, vom Ex-Zollvereiner Detlef Spahn (Jahrgang 1943) geführten Gruppe angeschlossen, wäre er am Mythos sogar hautnah dran gewesen. „Detlef war früher Vorarbeiter in der Kohlenwäsche und bei den Sportfreunden Katernberg hatte er den Boss als Jugendtrainer“, berichtet Heinz Wilhelm Hoffacker.
„Mein Großvater war Hauer auf Kronprinz“
Der Schönebecker, schon seit 2008 Gästeführer, hat selbst keine Kohle abgebaut. Er ist promovierter Historiker und ein exzellenter Kenner des Ruhrgebiets samt seiner schillernden Industriepioniere. Trotzdem ist ihm das Kohle- und-Kumpel-Milieu nicht fremd. „Mein Großvater war Hauer auf Kronprinz und Rosenblumendelle.“
Hoffacker (65), ganz in schwarz gekleidet, nimmt seine Gruppe mit auf eine zweistündige Tour, die wie im Flug vergeht. Er mischt Geschichte mit Dönekes, variiert zwischen lehrreich und kurzweilig. Er beginnt bei Zollverein-Gründer Franz Haniel und konfrontiert die Besucher hoch oben auf dem Dach der Kohlenwäsche in 50 Metern Höhe mit unbequemen Wahrheiten.
Auf den Kirchturm von St. Josef zeigend bemerkt er trocken: „Katernberg ist durch den Bergbau um 25 Meter abgesackt – und das ist nicht das letzte Wort, da kommt noch was.“ Es ist nicht der einzige Augenblick, der die Gruppe sprachlos macht.Eine wintergraue Nebelschicht trübt an diesem Tag den sonst so faszinierenden Revier-Rundumblick. Hoffacker deutet auf den ansteigenden Horizont im Westen und lobt die mächtigen Rheindeiche, er erwähnt die 18 000 Kubikmeter Grubenwasser, die täglich an Schacht XII gefördert werden, sowie die zahlreichen Pumpstationen der Emschergenossenschaft.
Damit niemand im Taucheranzug herumlaufen muss
Lauter Vorkehrungen, die sich zu den so genannten „Ewigkeitsaufgaben“ im Ruhrgebiet addieren. „Sie sorgen dafür, dass wir hier nicht im Taucheranzug herumlaufen.“
Beim Rundgang durch die alte Kohlenwäsche lernen die Besucher die Siebtrommel und die Setzmaschine, die Transportbänder und den Kokskohlenbunker kennen. Und sie erfahren, dass man die Männer, die hier hart arbeiteten, im Kumpeljargon „Waschbären“ nannte.
Christian Potthoff aus Mülheim, von Beruf Chemikant, ist ebenfalls zum ersten Mal auf Zollverein. Es ist das Interesse für Technik, das ihn hauptsächlich hier hin geführt habe. „Ich bin beeindruckt von der schieren Größe dieser Schachtanlage“, sagt er. Und bestaunt diese verwirrende, kolossale Arbeitswelt. Eine Superlative mit Boah-Effekt.
Die unsichtbare Zweite Stadt des Ruhrgebiets
Die Übertage-Anlagen von Zollverein machen nur zehn Prozent des Bergwerks aus, 90 Prozent liegen unterhalb der Tagesoberfläche. „Die Zweite Stadt ist das Ruhrgebiet, das Sie nicht sehen“, sagt Hoffacker.
Als Essen Kulturhaupstadt wurde, gab es hochtrabende, aber niemals verwirklichte Pläne, auch diese Zweite Stadt zu öffnen: eine Welt aus Schächten, Strecken und Streben mit Bahnhöfen, so Hoffacker, „die größer sind als der Essener Hauptbahnhof“.
Wo der Wohlstand nach dem Weltkrieg entstanden ist
In Essen ist der Bergbau seit 1986 Geschichte, 2018 wird es in Deutschland keine einzige Zeche mehr geben. Stefan Kautzner (52), selbstständiger Dachdeckermeister aus Hilden, ist mit seiner Frau und den beiden Töchtern (21 und 19 Jahre) ins Ruhrgebiet gekommen.
„Auf Zollverein möchte ich meinen Kindern zeigen, wie der Wohlstand in unserem Land nach dem Krieg entstanden ist: durch harte Arbeit in Zechen und Industriebetrieben.“
„Komma Pütt kucken“: Führungen online buchen
„Komma Pütt kucken“: Im Denkmalpfad von Zollverein erleben Besucher Industriegeschichte als Superlativ. Es gibt 30 verschiedene Führungsformate in acht Sprachen, gut 100 ausgebildete Gästeführer kümmern sich bei monatlich 800 Führungen um 155 000 Besucher im Jahr. Der Zugang zum Denkmalpfad ist nur im Rahmen von Führungen möglich.
Zu den beliebtesten Formaten zählen die Führungen „Über Kohle und Kumpel“ sowie „Durch Koksofen und Meistergang“. Die meisten Führungen finden regelmäßig statt. „Über Kohle und Kumpel“ etwa ist zwischen November und Februar um 11 und 14 Uhr buchbar, in der Hauptsaison (März bis Oktober) um 11, 14 und 16 Uhr. Samstags, sonntags, an Feier- und Brückentagen gibt es stündliche Führungen.
Eine Anmeldung ist für alle Führungen erforderlich: telefonisch unter 246810 oder per E-Mail an denkmalpfad@zollverein.de.
Auf der Webseite denkmalpfad-zollverein.de gibt’s einen Überblick über die Führungen von Januar bis März. Dazu zählen „Über Kohle und Kumpel“, „Steigerführung mit Püttgeschichten“ und „Nachtschicht auf Schacht XII“ (alle Schacht XII) sowie „Durch Koksofen und Meistergang“, „Meine Arbeit auf der Kokerei“, „Von Kohle und Koks“ (Kokerei und Zeche). Angebote für Kinder und Familien: „Familienschicht“, „Die Kokerei für Groß und Klein“, „Mit dem Bergmann durch die Zeche“.
Auch im Online-Shop des Denkmalpfades unter https://zollverein.ticketfritz.de/ können Tickets für Führungen gebucht werden.