Essen-Steele. Heiligabend im Essener Kinderheim: Wie sie das feiern und was sie sich wünschen erzählen zwei Bewohner der Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung.

  • Rund 100 Mädchen und Jungen leben im Kinderheim der Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung in Essen-Steele.
  • Die meisten haben noch Kontakt zu ihren Familien, bleiben aber an Heiligabend dennoch gern im Kinderheim.
  • Corona hat auch im Kinderheim das Leben und lieb gewonnene Traditionen zu Weihnachten verändert.

An seine Ankunft im Kinderheim erinnert sich Christian* (13) nicht mehr, das Datum aber weiß er noch ganz genau. Es war ein Tag vor acht Jahren, als er in die Notaufnahmegruppe kam. Heute lebt der 13-Jährige in der Kindergruppe mit acht weiteren Jungen und Mädchen. Darunter Mira* (14). Die beiden berichten, wie sie Weihnachten feiern, was sie sich wünschen und was sie vermissen.

Christian feiert gern Weihnachten, er verbringt Heiligabend jedoch nicht im Kreis seiner Familie, sondern mit den anderen Kindern und Jugendlichen sowie seinen Betreuern – wie schon in den vergangenen Jahren. Bei seinen Eltern hat der damals Fünfjährige nicht bleiben können, es waren schwierige Umstände, die ein behütetes Aufwachsen für den kleinen Jungen unmöglich machten.

Geregelter Alltag, Menschen, denen er vertraut, und ein eigenes Zimmer

In Steele hat er bei der Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung ein Zuhause gefunden: mit geregeltem Alltag, Menschen, denen er vertraut, und einem eigenen Zimmer in seiner Gruppe, in der fünf Mädchen und vier Jungen im Alter von sechs bis 16 Jahren leben. Früher hat Christian gern Fußball gespielt, jetzt spielt er lieber Schach in der Schule. Zu Weihnachten wünscht der 13-Jährige sich eine LED-Lampe für sein Zimmer, Eragon- und Harry-Potter-Bücher auch. Und fürs nächste Jahr: „Endlich kein Corona mehr.“

Der imposante Bau der Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung in Essen-Steele: Das Kinderheim liegt an der Steeler Straße.
Der imposante Bau der Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung in Essen-Steele: Das Kinderheim liegt an der Steeler Straße. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Zum anstehenden Fest verwandelt sich nun der Wohnraum in der Gruppe wieder zum Weihnachtszimmer, den Baum schmücken Kinder und Betreuer gemeinsam. Bevor unter diesem die bunten Geschenke liegen und die jungen Bewohner diese neugierig auspacken können, machen sie sich auf den Weg über den weiten Innenhof in die Kapelle.

Schon erste Töne von „Oh Du Fröhliche“ lösen einen Schauer auf dem Rücken aus

„Punkt 16 Uhr erklang Orgelmusik, alle Gruppen kamen zum Kaffee zusammen und anschließend war die Kirche knüppelvoll“, erzählt Martin Engler, pädagogischer Leiter, von den Traditionen an Heiligabend – vor Corona. Es waren schon die ersten Töne von „Oh Du Fröhliche“, die einen Schauer auf dem Rücken auslösten. Die friedliche Atmosphäre und das starke Gemeinschaftsgefühl gehörten dazu, wenn sich die Mädchen, Jungen, Betreuer und die Senioren, die ebenfalls auf dem Gelände der Stiftung wohnen, an Heiligabend trafen.

Doch die Pandemie hat auch das Leben im Kinderheim und die Traditionen zu Weihnachten für alle Bewohner verändert – ihre Gemeinschaft nicht. Den Weihnachtsgottesdienst feiern die Mädchen und Jungen jetzt jedoch in zwei Gruppen und zudem getrennt von den älteren Bewohnern, für die es auch zwei Messen geben wird. Statt des Krippenspiels, für das Christian und Mira schon in verschiedene Rollen geschlüpft sind, haben sie eine Szene aufgenommen, die per Video gezeigt wird. Dann bleiben die Wohngruppen unter sich.

Die wenigsten Kinder haben gar keinen Kontakt zu ihren Familien

Seit mehr als 20 Jahren ist Martin Engler der pädagogische Leiter im Kinderheim der Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung in Essen-Steele.
Seit mehr als 20 Jahren ist Martin Engler der pädagogische Leiter im Kinderheim der Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung in Essen-Steele. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Es gibt zwar kaum Kinder, die gar keinen Kontakt zu ihrer Familie haben. „An Heiligabend aber“, sagt Martin Engler, „bleiben viele gern hier.“ Mag es an den gewohnten Abläufen liegen, die beruhigend für sie sind, oder auch daran, dass es an Weihnachten noch niemals Stress oder Streit gegeben hat. Anders, als die Mädchen und Jungen es früher zu Hause oftmals erlebt haben, wo mitunter selbst die Jüngsten von den Problemen der Eltern, der Gewalt des Vaters oder der Sucht der Mutter nicht verschont blieben.

Das Kinderheim der Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung

Im Kinderheim der Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung an der Steeler Straße 642-646 leben Jung und Alt zusammen. Beschäftigt sind bei der Stiftung etwa 200 Mitarbeiter, darunter sind 100 pädagogische Kräfte. Seit 1769 gibt es das katholische Haus der Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung: Es war ein klassisches Waisenhaus, das jeweils 15 Mädchen und Jungen ein Zuhause bot. Es ging um die Vermittlung von Bildung und Erziehung.Heute gibt es in Steele elf Gruppen für bis zu 110 Kinder und Jugendliche. Sie sind zwischen zwei und 20 Jahre alt. Es gibt Regel-, Intensiv- sowie Notaufnahme- und Außenwohngruppen und einen Verselbstständigungsbereich, zu dem Appartements gehören.An der Steeler Straße befinden sich auch Seniorenwohnungen, dazu zählen vollstationäre Pflege, Tages- und Kurzzeitpflege. Diese Wohnformen sind vor 40 Jahren hinzugekommen. Bei den Mädchen und Jungen, die ins Kinderheim einziehen, müssen die rechtliche und die pädagogische Situation geklärt werden. Die Perspektive steht im Vordergrund: Unter welchen Bedingungen und mit welcher Unterstützung können Kinder nach Hause zurück oder kommen sie in Pflegefamilien. Oder bleiben sie im Rahmen einer mittelfristigen Perspektive in Wohngruppen. Etwa die Hälfte aller Kinder, die im Kinderheim aufgenommen werden, wächst auch im Kinderheim auf.

An Familienstress erinnert Mira sich. An Probleme und Eltern, die sich nicht haben einigen können. Die Tochter ging schließlich nicht mehr zur Schule. Das waren die Gründe, warum die heute 14-Jährige im Kinderheim einzog. „Vor zwei Jahren und zwei Monaten“, sagt Mira. „Als ich ankam, war nicht viel los, die meisten Kinder waren draußen“, erzählt sie von ihrer Ankunft, bei der dann einige zu ihr ins Zimmer traten. Zu Hause hatte sie trotz vieler Geschwister ein eigenes, hier hat sie sich zunächst eins teilen müssen.

Inzwischen kennen sie sich alle sehr gut, tauschen Erlebtes aus, wie unter Geschwistern

Langsam lebte sie sich ein. Einen Monat hat es ungefähr gedauert: „Dann fühlte ich mich wohl.“ Mira hat eine Freundin gefunden und längst erfahren: „Wenn ich nett zu den anderen bin, sind sie es auch zu mir.“ Inzwischen kennen sie sich alle sehr gut, tauschen Erlebtes aus, wie unter Geschwistern. „Wie eine große Familie“, sagt die 14-Jährige, die für Pferde schwärmt. Sie mag aber Katzen, Hunde und Wölfe ebenso, möchte sich später beruflich gern mit Tieren oder Pflanzen beschäftigen. Nach den Winterferien ist sie erst einmal gespannt auf die Box-AG in der Schule.

Der große Esstisch in der Küche einer Wohngruppe in der Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung in Essen-Steele. Hier kommen die Mädchen und Jungen regelmäßig zusammen.
Der große Esstisch in der Küche einer Wohngruppe in der Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung in Essen-Steele. Hier kommen die Mädchen und Jungen regelmäßig zusammen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Jetzt freut sie sich sehr auf Weihnachten, das mochte sie immer schon. „Nicht wegen der Geschenke“, sagt Mira, „sondern weil alle zusammen sind“. Im vergangenen Jahr, da waren sie beim Essen allerdings recht albern, waren laut, weil sie sich so gefreut haben, sind vom Tisch aufgestanden. Ein Mädchen fürchtete schon, das Christkind käme nicht. Dann aber läutete das Glöckchen, es war Bescherung. So wie es auch an diesem Heiligabend sein wird.

Christian wird am ersten Weihnachtstag zu seinem Vater fahren

Ob sie nun weniger aufgeregt sein werden, das können Mira und Christian nicht versprechen. Fest steht, dass es wieder Raclette geben wird. In ihrer Gruppe ist das eine Tradition, die bleibt. Nach dem Essen werden sie ihre Geschenke auspacken und dürfen anschließend noch bis halb elf wach bleiben. Mira eine halbe Stunde länger als Christian, weil sie älter ist.

Christian wird dann am ersten Weihnachtstag zu seinem Vater und seinen Halbgeschwistern fahren. Er wird bei ihnen übernachten. Zum ersten Mal an Weihnachten. Mira wird auch Silvester mit ihrer Mutter feiern, berichtet die 14-Jährige und verrät zudem, was sie auf ihren Brief an den Weihnachtsengel geschrieben hat. LED-Lichter, Armbänder und Halstuch lauten ihre kleinen Wünsche. Sie hat aber auch noch einen großen Wunsch: „Alle Menschen auf der Welt sollen gesund bleiben.“

*Namen geändert