Essen. Die Berater der Schuldnerhilfe Essen erwarten, dass die Zahl überschuldeter Menschen wegen Corona wächst. Erste Anzeichen dafür gibt es bereits.

Tausende Essener sind seit Monaten in Kurzarbeit oder haben wegen Corona sogar ihren Job verloren. Die Schuldnerhilfe erwartet deshalb, dass in den kommenden Monaten die Zahl der überschuldeten Menschen in der Stadt weiter zunehmen wird. „Die Corona-Welle wird bei uns in der Beratung erst noch ankommen“, sagt der Geschäftsführer der Schuldnerhilfe, Philipp Hennen. „Aus Erfahrung dauert es eine Weile, bis aus einer Schieflage eine harte Überschuldungssituation wird.“

Bei der Verbraucherzentrale Essen mehren sich bereits die Zeichen, dass es für manche Essener wirtschaftlich schwieriger geworden ist. „Wir haben deutlich mehr Beratungen, bei denen wir merken, dass die Menschen jeden Cent dreimal umdrehen“, meint Manuela Duda, Leiterin der Beratungsstelle in Essen. Sei es, dass Essener häufiger ihre Energierechnung überprüfen lassen oder dass sie um Rückerstattung von Ticketpreisen oder ähnlichem kämpfen.

Philipp Hennen ist Geschäftsführer der Schuldnerhilfe Essen.
Philipp Hennen ist Geschäftsführer der Schuldnerhilfe Essen. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Angesichts dessen klingt es fast paradox, dass die Schuldnerhilfe im Corona-Jahr 2020 weniger Beratungsfälle hatte als in den Jahren zuvor. Laut Hennen waren es knapp 2000 und somit rund 300 weniger als 2019. „Die Zahlen täuschen über die Lage hinweg. Denn das Schuldenproblem ist sicherlich nicht kleiner geworden“, betont Hennen. Rund 70.000 Essener über 18 Jahre galten schon vor der Corona-Krise als überschuldet, können also ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bezahlen.

Schuldnerhilfe in Corona-Zeiten nur telefonisch erreichbar

Dass die Beratungen zurückgegangen sind, hat andere Gründe. Hennen glaubt, dass dies mit der schlechteren Erreichbarkeit der Schuldnerhilfe im Corona-Jahr zusammenhängt. Beratungen finden seither nur telefonisch statt. Die offene Sprechstunde ist ganz weggefallen. Gerade über diesen Zugang, sagt Hennen, „schaffen wir mehr Fälle“.

Zudem war die Schuldnerhilfe vergangenes Jahr selbst von Kurzarbeit betroffen. Sie bekommt etwa die Hälfte der Fälle vom Jobcenter vermittelt. Da die Arbeitsbehörde aber zeitweise nur eingeschränkt arbeitete, fiel auch die Kooperation mit der Schuldnerhilfe kleiner aus.

Corona hat Barrieren für hilfesuchende Menschen größer gemacht

Die Schuldnerberater sorgt, dass mit Corona die Barrieren für verschuldete Menschen größer geworden sind, wenn sie Hilfe suchen. „Die Telefonberatung ersetzt nicht das persönliche Beratungsgespräch“, betont Hennen. Er habe den Eindruck, dass besonders Menschen mit Sprachbarrieren der Schuldnerhilfe fern geblieben sind. „Diese Leute kommen meist in unsere offene Sprechstunde und fallen nun durchs Raster“, glaubt der Chef der Schuldnerhilfe.

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Wie die Beratungsfälle so sind auch die Privatinsolvenzen in Essen 2020 rückläufig gewesen. In den ersten neun Monaten meldeten nur 332 Betroffene Verbraucherinsolvenz an – ein Rückgang um rund 30 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Fachleute vermuten auch hier zum einen Corona-Effekte, weil es nur eingeschränkte Beratungsmöglichkeiten gab. Christoph Zerhusen von der Verbraucherzentrale NRW geht aber noch von einem anderen Grund aus: Im Oktober trat eine Insolvenzrechtsreform zur sogenannten Restschuldbefreiuung in Kraft. Seither können überschuldete Menschen bereits nach drei und nicht mehr erst nach sechs Jahren schuldenfrei werden. Diese Änderung, so glaubt Zerhusen, haben viele abgewartet. Seit Anfang des Jahres habe die Nachfrage bei der Verbraucherzentrale dann auch wieder stark zugenommen.

Große Sorge um Selbstständige in der Corona-Krise

Die größten Sorgen macht sich Philipp Hennen derweil um die Selbstständigen, die durch Corona in eine Schieflage geraten sind oder werden. „Für sie gibt es keine Anlaufstelle, die ihnen helfen kann“, sagt er. Die Betroffenen müssten sich im Zweifel selbst um ein Regelverfahren kümmern. Denn Stellen wie die Schuldnerhilfe oder die Verbraucherzentrale dürfen Selbstständigen nur äußerst eingeschränkt Unterstützung geben.

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